Verkorkste Reform
Vor zehn Jahren trat die überarbeitete Rechtschreibreform der deutschen Sprache in Kraft. Die Jubiläums-Bilanz ist ernüchternd. Denn das Ziel, mit vereinfachten Sprachregeln deren Erlernung zu erleichtern und deren Beherrschung zu erhöhen, wurde weit verfehlt. Die Kritiker der Neuordnung wiesen auf die Unzulänglichkeiten und Widersinnigkeiten hin und sagten das Debakel voraus.
Es führte zu einer babylonischen Verwirrung. Schulen und Behörden folgen der verunglückten Reform, Buchverlage, Zeitungen, Zeitschriften und Presseagenturen ihren plausiblen Hausregeln und Private ihrem Bauchgefühl. In Schulaufsätzen, Geschäftstexten, Zeitungsartikeln, Büchern und E-Mails zeigt sich ein Chaos, das Lesbarkeit und Verstehbarkeit erschwert.
Deutsch ist nicht leicht zu haben. Es bleibt der Irrtum der Reform, die Regeln jenen anpassen zu wollen, denen der schriftliche Ausdruck Mühe bereitet. Eine versimpelte Sprache vermag eine Welt, die bis in den Alltag hinein komplexer wird, immer weniger zu beschreiben.
Die Hoffnung auf eine vernünftige Revision der von Glaubenskriegern durchgestierten Reform ist vergeblich. Das ausgerechnet auch von unseren Erziehungsdirektionen zur Pflicht erhobene Stümpern und Wursteln geht weiter.
Ich vertrete eine andere Ansicht, die Rechtschreibreform ging nicht weit genug.
Insbesondere beim Thema groß und Kleinschreibung hätten wir uns den übrigen Sprachen anpassen können. Großgeschrieben werden Namen, wird bei einem Satzbeginn und die eigene Anrede (Ich).
Die Verwirrung um dt/tt, ss/ß hätte man auch viel leichter lösen können.
Wenn man der Rechtschreibreform etwas vorwerfen kann dann, das sie nicht mutig genug war.
Wenigstens in deutscher Sprache herrscht Anpassung und keine Eigenbrötlerei. Ob es uns der deutsche Nachbar jemals zu Gute halten wird?
Der polemische Artikel enthält die beiden klassischen Denkfehler:
1. Er impliziert, die frühere Rechtschreibung sei besser (widerspruchsfrei, logisch, klar, einfach o. ä.) gewesen.
2. Er verwechselt Rechtschreibung mit Sprache.
Wem wirklich etwas an einer Verbesserung der Situation gelegen ist, der hört auf zu stänkern und übernimmt die Regeln, die seit einer halben Generation an den Schulen gelernt werden und die beispielsweise im Duden dargestellt sind.
Stimmt. Wer immer noch die geltende Rechtschreibung schlechtredet, ist Bestandteil des Problems, nicht der Lösung.