Keine Lösungen

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Keine Lösungen

Von Christoph Kuhn, 07.10.2015

Wozu braucht es die Intellektuellen?

Wenn es derzeit in Europa ein immenses, ein endgültig nicht lösbares Problem gibt, dann die dramatische Situation der Flüchtlinge. Logisch, dass alle darüber reden. Wer allerdings behauptet, er oder sie wisse, was zu tun sei, der redet fahrlässig und irrt sich.

In dieser Situation ohne sichtbaren Ausweg sind die Intellektuellen gefragt. Nicht weil ihre Meinung wertvoller wäre und mehr gelten sollte als die eines Coiffeurs oder eines Tennisstars, die sich mit dem gleichen Recht zum Thema äussern wie die Denk- und Sprachspezialisten, einem Thema, das alle überfordert. Die Intellektuellen aber sind tatsächlich nicht über- sondern ge-fordert. Weil sie die Sprache beherrschen (sollten), haben sie einen Zugang zum Problem, der, wenn schon keine endgültigen Lösungen, so doch Ansätze, Strategien, Denkwege aufzeigen kann.

Sie sollen und müssen irritieren mit ihren Texten, das Problem analysieren, mit aller Deutlichkeit Konflikte, Unvereinbarkeiten, die damit im Zusammenhang stehen, benennen. Das ist nicht wenig. Zu den profiliertesten Intellektuellen, die sich mit der Flüchtlingsproblematik intensiv auseinandersetzen, gehört die deutsche Autorin Jenny Erpenbeck, von der eben ein Roman zum Thema („Gehen, ging, gegangen“ heisst er) erschienen ist. Nach ihrer Motivation befragt, antwortet sie einem Interviewer: „Ich fange immer dann zu schreiben an, wenn ich mit einer Frage, die sich mir stellt, nicht fertigwerde, wenn ich keine Lösung habe.“

Keine Lösung, keine festgefügte Meinung haben, nicht wissen, wohin man sich bewegt: das mag ein denkbar schwieriger Schreibansatz sein. Wenn es um das Flüchtlingsproblem geht, ist es vielleicht der einzig richtige.

Bewahrt uns vor den Intellektuellen! SIe lobten Stalin und liessen sich gerne einladen, sie fanden stets Argumente, um jeden Unsinn zu legitimieren.
Nein, wenn schon, dann Leute aus dem Volk, das mit den Problemen täglich leben muss, während die Intellektuellen und die Politiker in ihren Nobelghettos aus der Ferne darüber debattieren.

Verzeihung, aber wegen dem "ein endgültig nicht lösbares Problem" würde ich meinen, dass man doch zuerst mal analysieren sollte, welches Modell denn am besten funktioniert. Das wurde auch beim Fixerproblem und dem Needle-Park Zürich so gemacht, und dann mit kontrollierter Abgabe und so weiter wurde das Zürcher zu einem Vorzeigemodell.
In Europa scheinen es mit den Flüchtlingen aktuell gerade die Schweden am besten zu machen. http://www.woz.ch/1539/fluechtlingspolitik/schwedische-rezepte
http://www.woz.ch/1539/fluechtlingspolitik/schwedische-rezepte

Es ist schon richtig, dass es ungemein schwierig ist, Lösungsansätze für die grösste Flüchtlingsbewegung seit dem zweiten Weltkrieg zu finden. Die Gründe für die Wanderung von Massen sind Krieg, wirtschaftliche Not und Umweltzerstörung. Der Krieg in Syrien ist ein Musterbeispiel dafür, dass die Grossmächte verschiedene Interessen haben und somit aneinander vorbei politisieren und wirtschaften. Putin will das Regime Assad stützen, sekundiert vom Iran. Obama hat die Wahl zwischen Pest und Cholera: Assad oder ein Schmelztiegel für den Terrorismus. In Syrien herrscht das blanke Chaos und es würde nicht erstaunen, wenn sich selbst die Grossmächte bei ihren verschieden gelagerten Interessenlagen für Luftangriffe in die Quere kommen. Das nächste gröbere Problem dürfte Lybien sein. Auch dort herrscht Chaos, was weitere Flüchtlingsströme auslösen könnte. Die wirtschaftliche Not vieler Flüchtlinge geht Hand in Hand mit den Kriegen. In der Türkei lagern zwei Millionen Flüchtlinge. Erdogan bekämpft vehementer die Kurden als den IS. Wo man hinsieht: Nationalstaatliche Partikularinteressen. Solange das so bleibt, werden die Flüchtlingsströme anhalten. Gelingt es den Grossmächten und den von Flüchtlingsströmen betroffenen Länder nicht, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik durchzusetzen, wird aller Voraussicht nach, das Problem nicht zu lösen sein. Was in der Wirtschaftspolitik Gang und Gäbe ist, dies trotz der Zunahme von Freihandelsabkommen, also der Protektionismus von den wirtschaftlichen Grossmächten, findet in der Politik Nachahmung. Ohne globales politisches Denken und Handeln, und zwar in allen Bereichen, die Flüchtlingsströme begünstigen, werden Menschen flüchten. Die multinationalen Konzerne wirtschaften schon lange global - mit all den daraus resultierenden Verheerungen. Eine global ausgerichtete Politik könnte den Multis zeigen, wie es auch geht. Es wird sich zeigen, ob die Menschheit lieber auf einem Pulverfass sitzen will - mit all den wüsten Folgen - oder ob sie doch noch - der Aufklärung verpflichtet - zur Vernunft kommt.

Bei Journal21 muss man der Aufklärung verpflichtet sein. Aber man darf nicht ausführlicher vom direkten Zusammenhang zwischen Waffenproduzenten und Krieg und Flüchtlingen berichten. Tut man
dies trotzdem, wird man vom journalistischen Mehrwert zensuriert.
Come d'habitude.

Wahre Intellektuelle, am ICH und DU, am Volkswohl interessierte,
finden im tempoverseuchten, digitalen Medienraum keine Beachtung. Mediale Aufmerksamkeit gehört den Meistern der Spezialisation und den Trendsettern jener Bewusstseinstufe, die problemlos zur neuen Ersatzreligion passt. Oberflächlichkeit und Naivität hin oder her. Alles zum Nutzen der Veranstalter. Geiz ist ja
bekanntlich geil, besonders für die Nutzniesser. Das Diabolische
von heute zeigt sich in drei Facetten: 1.) Wie präsentiert sich ein
ICH gegenüber den Andern (z.B. egoman oder sozial?) 2.) Es mag den Andern Nichts gönnen. 3.) Bis zum St.-Nimmerleinstag - es kann sich nie für Zentrales entscheiden. Lebt einfach so dahin.

Alles schön und richtig was Sie sagen, Herr Hofstetter, aber nicht zu Ende gedacht. Glauben Sie im Ernst die Politik sollte von der globalisierten Wirtschaft lernen? Dieses globalisierte Wirtschaften, das einseitig nur die allergrössten Globalplayer reichlich belohnt, ist der wesentliche Teil des Problems und insbesondere auch der Flüchtlingsproblematik. Die USA z.B., der grösste Waffenproduzent der Welt (Industrie-/Rüstungskomplex), liefert an alle "Bedürftigen"
seine Waffen. Auch EU-Staaten wie Frankreich (dieses Land ist auch gerne bereit selbstfabrizierte Waffen nebst zu verkaufen auch
noch selbst "auszuprobieren" etwa in Libyen oder aktuell in Syrien),
GB, Italien und (etwas zurückhaltender) auch Deutschland sind in
aktuelle Kriege verwickelt und dazu braucht man, nebst kriegerischem Handwerk, entsprechende Waffen.
Nun, wer wiederum irgendwo auf der Welt waffengewalttätig wird, erzeugt Flüchtlinge. So wie wer Strassen baut, Verkehr erntet. Oder
gilt etwa bei kriegerischen Auseinandersetzungen, wie in der sog. freien Marktwirtschaft, das Verursacherprinzip nicht mehr?
In Tat und Wahrheit ist der Zusammenhang des katastrophalen, globalen Wirtschaftens (einseitig auf Wirtschaftswachstum für die Eliten programmiert) und (Wirtschafts-)Kriegen mit flüchtigen Menschenmassen (wobei eben zu unterscheiden ist zwischen sog.
Wirtschaftsflüchtlingen und an Leib und Leben Gefährteten, die Recht auf Asyl haben).
Hören Sie auch gut zu, was die 13'000 "weisen" Finanzexperten, die sich in Peru zum jährlichen IWF-Gipfeltreffen einfinden, zu besprechen haben. Was sie zum Abschluss verlauten lassen, nehme ich das Wichtigste vorweg: "Die Schwellenländer werden sich noch mehr verschulden..." etc. etc. Wo bleibt Hoffnung? Dazu
ein anderes Mal.

Nun, es braucht keine Intellektuellen um Lösungsansätze vorzuschlagen!
Normalerweise gilt das Verursacherprinzip. Europa stellt der Koalition der Willigen die Rechnung, genauso wie die uns damals und bis heute die Subprime-Krise verrechnet haben. Auch falsche Politik muss teuer werden!.. cathari

Es wird ganz sicher teuer, aber anders als Sie denken, Catharina: Zuerst werden Rentenansprüche und Steuern, v.a. Mehrwertsteuern steigen. Aber gleichzeitig werden die liberalen Rechte eingeschränkt, Eigentumsbeschränkungen, Meinungsäusserung, Notrecht etc. Und simultan werden die Rechtsaussenparteien kommen und nationale + sozialistische (keynesianische) Wunderrezepte anbieten, was auf Anklang stösst. Damit ist nicht nur der innere Frieden futsch, sondern auch der langfristige Wirtschaftserfolg des Westens.

Aber Sie haben im Kern schon recht: Das Problem sind die Neokonservativen, die die Demokratie auf der Welt "aktiv" durch den Staat befördern wollen (auch Obama gehört dazu, s. Syrien). Wir halten es einfach nicht aus, die Tyrannen am TV unbehindert agieren zu sehen, wir MÜSSEN eingreifen, was tun.

Das Gleiche gilt für die Wirtschaft: Die Neoliberalen haben den Staat eingespannt, um Wirtschaftskrisen zu glätten. Ständige Eingriffe - Fiskalpolitik, Geldpolitik - sollen Krisen verhindern. Das Geschrei der Medien ist sonst zu laut, da haben die klassischen Wirtschaftsliberalen keine Chance.

Sprich: Wir zahlen politisch und wirtschaftlich den Preis für den Aktionismus. Der geht übrigens von den Intellektuellen aus.

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