Kartoffeln statt Fussball
Um eine drohende Hungersnot abzuwenden, stellt Friedrich Traugott Wahlen, der spätere Bundesrat (BGB/BE), am 15. November 1940 seinen Anbauplan vor – und dies ohne Wissen seiner Vorgesetzten. Wahlen ist Chef der Abteilung für landwirtschaftliche Produktion und Hauswirtschaft im Eidgenössischen Kriegsernährungsamt. Schon 1935, als die Nazis immer dreister wurden, hatte er mit der Ausarbeitung seines Plans begonnen.
Der Plan sieht vor, dass Fussballplätze, Parkanlagen, Gärten und brachliegendes Land zu Ackerland wird. So werden auf der Zürcher Sechseläutewiese plötzlich Kartoffeln angepflanzt, ebenfalls vor dem Bundeshaus in Bern. Schon Ende November 1940 wurden die ersten Gärten umgepflügt.

Die Anbaufläche sollte von 180'000 auf 500'000 Hektar erhöht werden. Dieses Ziel wird nicht ganz erreicht. Doch hungern muss die Schweiz nicht. Während der sechs Kriegsjahre müssen keine Kartoffeln, kein Gemüse und kein Obst importiert werden.

Die Produktion von Brot wird verdoppelt, die Kartoffelernte verdreifacht und die Gemüseproduktion vervierfacht. Der Selbstversorgungsgrad kann von 52 auf 70 Prozent gesteigert werden.

Die Anbauschlacht schützt die Schweizer und die aufgenommenen Flüchtlinge nicht nur vor Hunger: Laut dem Historischen Lexikon der Schweiz förderte der Plan „die gesellschaftliche Integration nachhaltig“. Er wurde „zum Symbol für die Volksgemeinschaft, den Widerstandswillen und die Selbstbehauptung der Schweiz“. Die Propaganda setzte den Wahlen-Plan – laut Historischem Lexikon „immer mit dem Kampf für Vaterland und Unabhängigkeit gleich und stellte damit das Anbauwerk auf die gleiche Stufe wie die militärische Landesverteidigung.“
Da die Sechseläutewiese nun ein Acker war, musste 1943 der Sechseläutenböögg umziehen. Der Scheiterhaufen wurde am See beim Hafendamm Enge aufgebaut - mit wenig Glück. Der brennende Holzstoss kippte ins Wasser - und der Böögg ging baden.

(J21)
Eine Referenz dazu:
Dr. h . c . Arnold Muggli - Thiele
Wirtschaftsfachmann und Organisator der Rationierung im 2.Weltkrieg, von Bäretswil
5. August 1905 - 7. Juni 1961
Am 7. Juni starb im Kreisspital Männedorf Dr. h. c. Arnold Muggli. Dr. Muggli wuchs in Zürich und Bern auf, und er übernahm 1930 mit seinem Bruder zusammen das vom Vater hinterlassene Büromaschinengeschäft. Dann schuf er sich in Zürich ein eigenes Unternehmen, das der Organisation und Beratung von Firmen diente. Zu Anfang des Zweiten Weltkrieges wurde er in das Kriegsernährungsamt berufen, wo ihm die Organisation der Abteilung Rationierung übertragen wurde. Nach Kriegsbeendigung verlieh ihm die Zürcher Universität den Ehrendoktor. Die Eidgenossenschaft übertrug ihm Expertisen über zwei Verwaltungszweige. Seit 1945 übernahm er Organisationsarbeiten in der Industrie. Er wurde Verwaltungsrat bei Georg Fischer, Schaffhausen, bei Landis & Gyr, Zug, und bei der Akkumulatoren Fabrik Oerlikon. Ferner war er Mitbegründer der Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie. Das Meisterstück seines Lebens aber war das schweizerische Rationierungswesen während des Zweiten Weltkrieges. Es ist das allerpersönlichste Werk des Verstorbenen, und es wurde von keinem Land übertroffen und auch nicht nahezu erreicht. Bundespräsident Wahlen, auf dessen Empfehlung Arnold Muggli seinerzeit nach Bern berufen worden war, sprach eindrucksvolle Abschiedsworte für den Freund bei der Trauerfeier in Küsnacht.
Dr. h . c . Arnold Muggli - Thiele stand in enger Beziehung mit Pfarrer Dr. Ferdinand Sigg, dem späteren Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche.
Ich liebe diese alten Fotos. Sie zeigen gut, was sich in den letzten siebzig Jahren alles verändert hat. Eigentlich ist es fast nicht zu glauben, in welch rasendem Tempo sich die Welt und auch die Schweiz verändert hat. Die Bilder zeigen, welche Bedeutung das Land und die Scholle hatten. Sie waren überlebenswichtig, zumindest im Kopf. Und heute: Heute wird die Scholle zubetoniert, mit was auch immer. Das nennt sich dann Fortschritt. Ob es auch ein Fortschritt ist, dass die Handarbeit, wie auf den Fotos sichtbar, immer mehr abhanden kommt und Arbeiten und Dienstleistungen verrichtet werden, die kaum mehr sichtbare Ergebnisse zeitigen, darf hinterfragt werden. Wir haben uns soweit von der Scholle entfernt, dass wir keine Ahnung mehr vom Mikroorganismus des Bodens haben. Dafür haben wir eine Ahnung von Tablets und Smartphones, obwohl sie die Menschen zusehends madiger machen.