Vom lokalen Krieg zum Flächenbrand

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Vom lokalen Krieg zum Flächenbrand

Von Pierre Simonitsch, 29.08.2016

Den Grossmächten sind die Fäden entglitten – nicht nur im syrischen Bürgerkrieg.

„Wir haben Klarheit über den Weg zur Lösung des Syrienkonflikts erzielt“, tönte US-Aussenminister John Kerry nach den Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow am Wochenende in Genf.

Eingeständnis der Ohnmacht?

War es ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Beendigung des Kriegs in Syrien oder ein weiteres Eingeständnis der Ohnmacht? Kerry und Lawrow erklärten nach mehr als zwölfstündigen Verhandlungen, sie seien sich hinsichtlich der Durchsetzung einer Waffenruhe näher gekommen, doch die Einzelheiten müssten in den kommenden Tagen auf Expertenebene geklärt werden.

„Wir wollen keine Vereinbarung, die nicht durchsetzbar wäre“, sagte Kerry auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Lawrow. Laut Lawrow hat Russland von den USA eine Liste jener syrischen Gruppen erhalten, die sich einer Waffenruhe anschliessen wollen. Der russische Aussenminister konnte allerdings keine Garantie geben, dass auch das von Moskau unterstützte Regime Baschar Al-Asads zu einer Einstellung der Kampfhandlungen bereit ist.

Türkische Bodentruppen

Die syrischen Regierungstruppen befinden sich derzeit stellenweise auf dem Vormarsch. Sie haben nach vierjähriger Belagerung Daraja eingenommen, eine Vorstadt von Damaskus. Die 8'000 Einwohner erhielten unter dem Schutz der Uno freies Geleit, um den Ort verlassen zu können. Kerry nannte den Vorgang eine „erzwungene Kapitulation, die den Waffenstillstand vom Februar verletzt“. Daraja ist für die Regierungstruppen von strategischer Bedeutung, weil sich in der Nähe ein Militärflugplatz befindet.

Der Fall von Daraja ist vielleicht nur eine Frontbegradigung, die den Krieg nicht entscheiden wird. Grössere Auswirkungen hat der Einmarsch türkischer Bodentruppen im Norden Syriens. Die Regierung in Ankara rechtfertigt diese Verletzung fremden Territoriums mit dem Kampf gegen den selbst proklamierten „Islamischen Staat“ (IS), doch die türkischen Truppen kämpfen vor allem gegen die Kurdenmiliz YPG, die den IS bedrängt und jetzt einen breiten Streifen entlang der Grenze mit der Türkei kontrolliert. Erdogan will die Schaffung eines autonomen Kurdengebiets verhindern, doch die kurdischen Verbände werden in ihrem Kampf gegen den IS von den USA und Russland unterstützt. Mit Rücksicht auf die Türkei üben die beiden Grossmächte jetzt Druck auf die YPG aus, sich auf Stellungen hinter dem Fluss Euphrat zurückzuziehen.

Russland und die USA im Abseits

Washington und Moskau stehen erstmals unter echtem Zeitdruck, den grausamen Spuk in und um Syrien zu beenden. Aber die Fäden sind den Grossmächten aus den Händen geglitten. Was in Syrien nach Demonstrationen als ein Bürgerkrieg mit ausländischer Einwirkung begann, droht den gesamten Nahen Osten in Brand zu stecken. Der Syrienkrieg besteht in Wirklichkeit aus mindestens vier Kriegen mit unterschiedlichen Motiven, deren Ursprünge in der kolonialen und osmanischen Vergangenheit liegen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Ajatollahs in Teheran, das saudi-arabische Königshaus und einige andere Akteure lassen sich nicht mehr von den USA oder Russland lenken. Diese schmerzliche Erfahrung musste auch Wladimir Putin machen, als die Iraner kürzlich den Russen ihre frühere Erlaubnis entzogen, die Luftwaffenbasis Hamadan für Missionen in Syrien zu benutzen.

Ringen um Waffenstillstand

Kerry und Lawrow erklärten sich in Genf im Hinblick auf die Notwendigkeit einig, die Kämpfe in Syrien zu beenden und die Friedensgespräche zwischen den Konfliktparteien wieder aufzunehmen. Die USA und Russland wollen auch ihre Luftangriffe gegen den „Islamischen Staat“ und die „Eroberungsfront Syriens“ (die bis vor kurzem „Al-Nusra-Front“ hiess) koordinieren. Wie aber die übrigen Gruppen zu einem Waffenstillstand gezwungen werden sollen, bleibt im Dunkeln. Die beiden Aussenminister gaben die Aufgabe an ihre „Experten“ weiter, die in den kommenden Tagen in Genf die Einzelheiten ausklügeln sollen. In erster Linie geht es darum, sicherzustellen, dass keine Seite aus einer Waffenruhe militärische Vorteile ziehen kann.

Die Vereinten Nationen, denen eigentlich die Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit obliegt, geben sich bescheiden. Ihr Syrienbeauftragter Staffan de Mistura fordert bloss einen Waffenstillstand von 48 Stunden, um den Transport und die Verteilung von Hilfsgütern vor allem in Aleppo zu ermöglichen. Im Ostteil der umkämpften Grossstadt warten 80'000 Menschen auf das Lebensnotwendigste. Die vollen Lastwagen stehen bereit. Das Uno-Personal will auch das in beiden Teilen Aleppos zusammengebrochene Stromnetz reparieren, von dem 1,8 Millionen Menschen abhängig sind.

De Mistura hofft darauf, dass eine vorerst für 48 Stunden abgeschlossene Waffenruhe verlängert werden könnte. Denn solange der Krieg wütet, hat nach seiner Einschätzung die im Februar unterbrochene Friedenskonferenz keine Erfolgschance.

Wer sagt denn, dass die USA (und Israel) den Syrienkrieg beenden WOLLEN)?
Siehe J. Assange (author/editor): "The Wikileaks Files”: Ein ganzes Kapitel (10) ist Syrien gewidmet Robert Naiman zeigt da, wie US-Diplomaten (der prominenteste davon William Roebuck) alles getan haben um die Syrische Regierung zu destabilisieren; schon lange vor dem Arabischen Frühling. Diesen Krieg zu STARTEN war eine Langzeit-Politik der USA.
Auch zur Rolle Israels (Bibi) in der gemeinsamen Strategie mit den Neocons, den Libanon, Syrien, Irak und Iran zu Wracks zu machen sind Bibliotheken geschrieben worden. Am kürzesten "A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm" in Wikipedia (E). Nur Putin hat bisher mit seiner Verhinderung eines Teilkrieges um Chemiewaffen AUCH Beweise einer Deeskalationspolitik geliefert.

Dennoch: BITTE machen Sie weiter so. Es muss ettwas vorwärts gehen, bevor Hillary kommt.

MfG
Werner T. Meyer

Offenbar kommt nun doch langsam Bewegung in diesen Krieg. Inzwischen fordert man sogar Hilfe für die Menschen in Aleppo, nachdem man einige Jahre weggeschaut hatte.
Der Westen will hier anscheinend die Situation nach eigenen Vorstellungen umgestalten, aber auch dieses Vorhaben wird nicht aufgehen. Die Menschen in der Region werden erst Friegen erlangen, wenn sich der "Westen" ganz aus dem Mittleren Osten heraushält.
Zu hoffen bleibt, dass die ca. 6 Millionen Flüchtlinge in der Region bald wieder in ihre Heimat kommen, gerade im Interesse Europas.

In Syrien gab es keinen "Bürgerkrieg mit ausländischer Einwirkung" sondern Katar, Saudiarabien und dieTürkei haben mit Hilfe der NATO-Staaten dschihadistische Terrorgruppen finanziert und bewaffnet um "Regime Change" nach libyschem Vorbild herbeizuführen. Für dieses Ziel war und ist bis heute keine Propagandalüge zu schade. Zum Beispiel die Behauptung, Assad sei für den Giftgasangriff bei Damaskus im August 2013 verantwortlich. 50 hochrangige ehemalige US-Geheimdienstleute haben diese Behauptung als gezielte Falschinformation entlarvt. Unsere "Leitmedien" und viele Journalisten wollen davon nichts sehen und hören. (Vgl. Ray McGovern)

Lieber Herr Scheben,

ich stimme mit Ihnen überein, dass der Krieg in Syrien zuallererst ein "regime-change" Versuch (von Aussen) ist. Dass dies in unseren Medien wenig thematisiert wird und insbesondere der westliche Anteil am Beginn dieses Krieges kaum ein Thema ist, befremdet mich sehr. (Wenn von westlicher Verantwortung die Rede ist, dann höchstens weil man "zu wenig" tue...)

Was aber diesen Giftgasangriff 2013 bei Damaskus betrifft, bin ich mir weniger sicher. Von dem was ich gelesen habe, scheint es wahrscheinlicher, dass das die Regierungsseite war. (Wobei was heisst das? Es könnten auch eigenmächtige bis abtrünnige Truppen gewesen sein, was weiss ich, in solchen Kriegswirren ist vieles möglich...) Für mich hängt in jedem Fall die Gesamtbeurteilung dieses Krieges nicht von solchen einzelnen Streitpunkten ab, d.h. ich würde die auch nicht so in den Vordergrund rücken.

liebe Grüsse,
Christof Zalka

Vor allem den Feuerteufeln in Washington und ihrem Anhang sind die Fäden entglitten. Der Rest ist unter russischer Führung um Schadensbegrenzung bemüht.

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