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16. Februar 2021

Anschwellendes Endzeitposaunen

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Anschwellendes Endzeitposaunen

Von Eduard Kaeser, 24.12.2016

2. Teil: Endzeit-Industrie: Der Clash der Eschatologien

Das Weltende verkauft sich gut. Es gibt eine regelrechte Endzeit-Industrie, vor allem in den USA. Man denke nur an den ganzen Apokalypse-Kitsch aus der Filmbranche. Aber auch an Mega-Bestseller wie „The Late Great Planet Earth“ (deutsch: Alter Planet wohin?), geschrieben im Jahre 1970 vom Evangelisten Hal Lindsey. Die Kernbotschaft: Bereite dich auf das Ende vor. Lindsey ist Verfasser anderer erbaulicher Ratgeberliteratur für den jüngsten Tag, zum Beispiel „Countdown to Armageddon“ (1981) oder „The Apocalyptic Code“ (1997), allesamt mit hohen Verkaufszahlen. Die Frage stellt sich deshalb dringlich: Was ist das für ein soziokultureller Boden, auf den apokalyptischer Mist in rauhen Mengen verzettelt werden kann? Wie der Theologe Harold Attridge von der Yale School of Divinity schreibt, könnte „vieles an der apokalyptischen Faszination als irreführender Unsinn abgetan werden, allein aufgrund der Tatsache, dass so viele Leute ihn ernst nehmen und aus ihm ihr Bild eines Rambo-artigen Christus formen, dessen zukünftiger Gewalt gegen die Mächte des Bösen sie schon jetzt nacheifern.“

Die „Armageddon-Lobby“

Diese Worte erhalten gerade nach der Wahl des neuen US-Präsidenten und der anschliessenden Debatte um „das Volk“ und „die Elite“ eine akute Bedeutung. Sie verraten die – vielleicht naserümpfende – „höhere“ Frömmigkeit des Akademikers angesichts „niederer“ Frömmigkeit, die sich von primitiven Vorstellungen eines religiösen Machismo verleiten lässt. Solche Vorstellungen reichen aber hinauf bis in die höchsten Etagen der Politik. Präsident Reagans Vorlieben für Endzeittheaterdonner sind bekannt. Man hat den Clan um Reagan als „Armageddon-Lobby“ bezeichnet, und das Lachen darüber bleibt einem im Hals stecken, wenn man vernimmt, dass sie durchaus ihre Rolle in der militärischen Durchsetzung „von Gerechtigkeit und Frieden“ spielte. Dazu ist auch eine Gut-Böse-Dichotomie unverzichtbar, mit der George W. Bush 2003 im Irak operierte. Gegen 15 % der Amerikaner sollen in der Irakinvasion den Beginn der letzten Schlacht gesehen haben. O-Ton Bush: „Gott sagte mir ‚George, geh und bekämpfe diese Terroristen in Afghanistan.’ Und ich tat es. Und dann sagte mir Gott ‚George, geh und beende die Tyrannei im Irak.’ Und ich tat es.“

Mit solchem beinah-biblischen Gebrabbel kommt man wahrscheinlich gut an beim „einfachen“ frommen Geist; darin manifestiert sich freilich auch eine Mentalität, die im Weissen Haus herrschte. In Bushs Umkreis bewegten sich Einflüsterer wie der Massenprediger John Hagee, Gläubiger des nahen Weltendes und religiöser Demagoge. Er vertrat zumal die Meinung, der Holocaust sei gottgewollt; Gott habe Hitler den Juden sozusagen als Schlepper ins gelobte Land geschickt. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass nun Leute dieses Schlags unter der neuen US-Regentschaft wieder vermehrt Gelegenheit bekommen, ihren apokalyptischen Mief aus der evangelikalen Käseglocke zu verströmen.

Ein hässliches Einvernehmen

Die Gefährlichkeit solcher christlicher Endzeitideologien liegt darin, dass sie sich als Mobilisierung gegen den islamischen Fundamentalismus tarnen, und aus dieser Position heraus sogar noch eine gewisse Plausibilität und „Legitimität“ erhalten. Der Islamismus im Allgemeinen und der Islamische Staat im Besonderen stellen zweifellos eine grosse Gefahr dar, und Abu Bakr al-Bagdadi ist der zurzeit wohl schlimmste Terrorist. Aber die groteske Ironie des gegenwärtigen Clashs liegt darin, dass bei aller fundamentalen Opposition zwischen Predigern wie dem Christen Hagee und dem Muslim al-Bagdadi ein hässliches Einvernehmen besteht: Für beide gibt es keinen Frieden auf der Erde, solange nicht ein Teil der Menschheit den anderen in einer entscheidenden Schlacht vernichtet haben wird; beide brauchen einander als Widersacher in einem teuflischen Spiel. Die Greueltaten des IS sind Spielzüge, die den Gegner zu neuen Zügen provozieren, und auf diese Weise hält man „spielerisch“ Kurs auf Armageddon. Als die Republikanerin Michele Bachmann Barack Obama aufforderte, iranische Nuklearanlagen zu attackieren, nahm sie ausdrücklich eine Ausweitung des Atomkonflikts in Kauf. Sie frohlockte, dies sei ein Zeichen für das zweite Kommen Jesu Christi. Die Beraterkamarilla der Militärköpfe, die der neue US-Präsident um sich schart, scheint einem apokalyptischen Showdown auch nicht ganz abgeneigt zu sein.

Ideologie und Technologie kommen zusammen

Wir stossen hier von einer anderen Seite her wiederum auf die technologischen Risiken. Für die letzte Schlacht braucht man potente Kriegsmittel. Und die gibt es dank der heutigen Dual-Use-Technologien in Hülle und Fülle. 2015 spielte ein Artikel in Dabiq, dem ideologischen Hochglanzmagazin des IS, auf die „Milliarden von Dollars“ an, mit welchen die Terroristen nukleares Material in Ländern wie Pakistan beschaffen könnten – Pakistan steht auf dem Index sicherer Atomstaaten fast zuunterst. Man würde, so der Artikel, Beamte in Pakistan kontaktieren, um eine Nuklearbombe über Waffenhändler und korrupte regionale Verbindungsmänner zu beschaffen. Biotechnologie steht ebenfalls hoch im Kurs der martialischen Apokalyptiker. Im Sommer 2014 fand man auf dem konfiszierten Laptop eines tunesischen IS-Kämpfers und Studenten der Chemie Dokumente über die Verbreitung von Beulenpest.

Armageddon wird exportiert

Nun sind solche Manöver typisch für terroristische Propaganda und Angstmache.  Es wäre allerdings fatal, in ihnen nur Bluff und Maulheldentum zu sehen. Technologie und globale Vernetzung machen den Endzeitterror virulent. Wenn die letzte Schlacht nicht auf mythischem Boden im Mittleren Osten stattfindet, exportiert man sie nach Europa oder in die USA. Heute kann ein Endzeitkrieger in Europa mit dem Lastwagen in eine Menschenmenge rasen, warum sollte es nicht auch gelingen, dass er sich, sagen wir, mit Ebola infiziert und eine Epidemie auslöst. Der abartigen Imagination sind kaum Grenzen gesetzt.

Das eröffnet keine rosigen Aussichten. Obwohl von Phantasten ausgeheckt, ist der „Clash der Eschatologien“ eine Realität, eine schreckliche Realität. Er entstammt religiösem Denken, gewiss. Und die sogenannten neuen Atheisten werden nicht müde, auf die Religion als Grundübel zu zeigen. Aber wir sollten den Blick nicht zu sehr darauf fixieren. Vielleicht könnte es sogar vorteilhaft sein, ihn von der Religion zu lösen und näher auf „endzeitliche“ Phänomene zu richten wie lokale Kriege, Epidemien, Hungersnöte, Dürren, Überschwemmungen, schwindende Ressourcen, Artensterben, und vor allem auf den Klimawandel – sie nähren apokalyptische Visionen, und Religion wirkt hier zweifellos als grosse Verstärkerin. Wie wäre es aber, wenn wir uns konzentrierter und mit grösserem Aufwand als bisher mit den realen globalpolitischen Ursachen solcher Katastrophen abgeben würden, statt mit Gottes Willen.

Eine Toxikologie der Gedanken

Gott mag existieren oder nicht, so oder so hat er bereits eine Menge Unheil in den Köpfen angerichtet. Zum Beispiel in jenem des Kongressabgeordneten John Shimkus. Vor dem Unterhausausschuss für Energie und Umwelt verwarf er 2009 die Gefahren des Klimawandels mit schlichter Einfalt, indem er Gottes Versprechen an Noah zitierte, Genesis 9,11: „Ich habe meinen Bund mit euch geschlossen: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.“ Mit der gleichen Logik kann man argumentieren: Wenn Gott will, dass die Welt untergeht, so sei es.

Solches Vertrauen in Gott – oder auf der anderen Seite: Hingabe an Gott – ist eine Katastrophe eigener Art. Ohne sie rundweg als religiöse Toxikomanie zu bezeichnen, bin ich trotzdem versucht, eine Toxikologie der Gedanken zu fordern, die Giftklassen definiert. Die Endzeitidee stünde weit oben – neben den Ideen der Rasse und der Reinheit. Man kann nicht in die Köpfe der Leute hineinsehen. Aber man kann hören, wenn sie wirres Zeug reden und toxische Ideologien versprühen. Man kann mit dem Finger auf sie zeigen, wenn sie vom Ende der Welt quasseln. Machen wir die Gedankengiftmischer inakzeptabel und entlarven wir sie als das, was sie sind: die übelsten Feinde und Verächter des Menschen.

Der kleine Planet.
Mutterseelenalleine kreist er um seine Sonne, Pale Blue Dot, acht leblose Verwandte tun es ebenso. Am Rande der Milchstrasse irgendwo und es ist Leben auf ihm. Brüder und Schwestern nennen sie sich diese Lebewesen und wissen, sie haben nur sich. Keine signifikanten Signale aus dem All, niemand da. Kein Schwein hört ihnen zu, dabei bemühen sie sich Kontakt aufzunehmen mit irgendwelchen Anderen, aber es klappt nicht. Ja sie sind bedroht und wissen es auch. Die Tektonik, die Stürme, die Evolution der Viren und Bakterien, ihre Vulkane und natürlich durch uns, die Asteroiden. Trotzdem schlagen sie sich bis heute noch die Köpfe ein, als ob? 160ig Millionen Jahre haben da unten die Saurier gelebt, denen gebe ich, wenn sie so weitermachen keine tausend Jahre mehr, sagte der grössere Asteroid Didymos zu seinem Kleineren. Wake Up, möchte man ihnen zurufen, meinst du nicht auch, werdet vernünftig, geniesst die Zeit die euch bleibt. Brüder und Schwestern, sind doch alle Eins auf diesem kleinen Sandkorn am Rande eurer Galaxie, einer unter Milliarden, mein Gott wann erwachen die endlich. Kämpft doch da wo es Sinn macht und nicht gegen euch selbst. Beide flogen an der Erde vorbei, weit ab ins dunkle All und sie werden wieder vorbeischauen, ob sich was getan hat. Die Hoffnung stirbt zuletzt murmelten die zwei und schauten nochmals zurück. Schönen Rutsch noch und bleibt gesund… cathari

Ja, und unsere 68-er Spätlese posaunt auch eine Eschatologie namens Trump. Er hat zwar noch keinerlei Befugnisse oder gar Taten vollbracht, aber die 68er Spätlese hat über ihn schon den Stab gebrochen und bricht ihn täglich weiter, siehe westeuropäische etablierte Medienschaffende. Es geht nach dem 11.9.16 ungebrochen weiter..............

Sehr geehrter Herr Käser, ich folge Ihrer Analyse dankbar und teile weitgehend Ihre Schilderung des tatsächlichen Unheil-Potentials. Aber einer Kennzeichnung muss ich widersprechen: hier geht es in keinster Weise um "christliche Endzeitideologien", nur deshalb weil sich diese Fundamentalisten auf die Bibel beziehen (bewusst als Zitatensammlung, ohne jede Übersetzung), nur deshalb weil es solche End-Szenarien in der Bibel selbst gibt und sie schon wiederholt missbraucht worden sind. Wenn "christlich" noch eine Kennzeichnung sein soll für einen lebensrelevanten Glauben, dann haben diese Fundi-Prediger und ihre Adepten bis ins weisse Haus nichts damit zu tun ausser einem Etikettenschwindel. Leider kann auch christl. Glaube als Alibi einer Gewaltpolitik missbraucht werden. Dies gilt es zu durchschauen wie in jeder (degenerierten) Ideologie.
Eine andere Wirklichkeit scheint mir "unheilsschwanger" zu sein: der Bruch zwischen der Welt des Fortschritts, Wohlstands, Luxus und der Welt der wachsenden Slums, der Verelendung ganzer Volksteile, der Aussichtslosigkeit für ganze Generationen...
Das Gewaltpotential dieser immer noch nicht wirklich angegangenen Spaltung ist in einer Zeit der leicht zugänglichen Gewaltmittel und Waffen beängstigend und die internat. Politik erweist sich, abgesehen von immer neuen Hilfsprogrammen, als unsensibel, unkreativ und wenig mutig und vor allem als praktisch nicht mehr konsensfähig. Der Terror hat nicht-zählbare Legitimationsgründe, auch wenn er sie als blosses Alibi aufnimmt.
A. Imhasly

Endzeitfantasien hat es seit jeher gegeben, aber über Diskussion und Entlarvung der Fantasien sollte man die realen Gefahren nicht vergessen:

Z.B. haben wir durch Dummheit multiresistente Keime gezüchtet und irgendwann wird einer ausbrechen und es wird zu langsamen oder schnellen Pandemien kommen, halt wie früher Cholera oder Pest.

Auch keine Fantasie ist die Klimaerwärmung: Naive Inspektion der Temperaturkurven scheint eine Beschleunigung in den letzten Jahren anzuzeigen, wie aus den steigenden CO2-Konzentrationen auch zu erwarten ist. Politiker faseln von einem Ziel von 2 Grad Erwärmung bis 2100, wir sind aber auf dem besten Weg, dieses schon in wenigen Jahrzehnten zu erreichen. Niemand kann sprunghafte Beschleunigungen ausschliessen, z.B. durch positive Rückkoppelungsmechanismen bei Auftauen des Permafrostes. Dann Gnad Gott der Biosphäre.

Könnte man auch die völlige Absage an Gott - genauer an jede Metaphysik, an das Absolute -, wie es das Kennzeichen der relativistisch-subjektiven Moderne ist, als Ursache des nihilistischen Chaos sehen, wie es sich derzeit auftut?

Die Moderne kann man auch als permanente Hybris des rationellen Menschen sehen, mitsamt seiner sendungsbewussten Impulse, seien dies PC oder Neokonservatismus. Und damit als ständige Provokation für alle metaphysisch-mystischen Kulturen, zuvorderst der Islam.

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