Böse Eliten – gutes Volk
Das dauernde Eliten-Bashing geht mir allmählich auf den Geist. Man traut sich ja schon nicht mehr zu zeigen, dass man ein gute Ausbildung genossen und es im Leben zu etwas gebracht hat. Als ich 1953 aufs Gymnasium kam, sagte uns der Rektor bei der Eröffnungsfeier noch, wir gehörten jetzt dann zur Elite der Nation. Wir wussten zwar nicht, was das Wort zu bedeuten hatte, aber wir merkten, dass etwas Gutes damit gemeint war. Heutzutage hat der Begriff Elite all seine positive Bedeutung verloren. Eliten gelten als arrogant, besserwisserisch und abgehoben. Man bringt ihnen Verachtung entgegen und lässt im Gegenzug ein Volk hochleben, das in seiner natürlichen Weisheit den Eliten, sprich Studierten und Etablierten, überlegen ist. Haut es bei Wahlen und Abstimmungen aber doch einmal daneben, hat nicht etwa das Volk versagt, sondern das Establishment, das dem Volk die Vorlage nicht richtig erklärt hat.
Dass der Gegensatz „Böse Eliten – gutes Volk“ ausgerechnet von Leuten konstruiert worden ist, die selbst zur Elite, zum Establishment oder zur Classe politique, wie es gut schweizerisch heisst, gehören, ist perfid und hat nur den einen Zweck, das Volk nicht merken zu lassen, wie sehr es im Interesse exakt jener Kreise manipuliert wird, von denen man sich verbal eben noch so entschieden distanziert hat. Jene verunglimpfen, die einen durchschauen könnten, ist ein probates Mittel, um über eigene Absichten und Positionen hinwegzutäuschen. Populisten kommen in aller Regel nicht aus dem sog. Volk, sondern tun nur so, als ob ihnen am Wohl des Volkes gelegen wäre. Kein Wunder deshalb, dass Eliten- und Intellektuellenfeindlichkeit seit jeher zu ihrer bevorzugten Strategie gehört.
Ich habe zufällig ein weiteres interessantes Kierkegaard - Wort gefunden. Es könnte auch als Antwort auf die Bezeichnung "Populist" benutzt werden: so gesehen an Medien gerichtet.
"Wenn Du mir einen Namen gibst, verneinst Du mich! Indem man mir einen Namen, eine Bezeichnung gibt, verneinst Du all' die anderen Dinge, die ich vielleicht sein könnte. Du beschränkst das Teilchen etwas zu sein, in dem Du es festnagelst...es benennst. Aber gleichzeitig erschaffst Du es. Du definierst es zu existieren."
Dieses Elite-Bashing hat doch System: Die Wirtschafts-Eliten, die das System am besten zu ihrem Gunsten auszunutzen wissen, ahnen sehr wohl, dass sie mit ihrer verantwortungslosen und masslosen Gier sehr viel angerichtet haben und dass die Party nicht mehr lange so weitergehen kann.
Nun haben sie andere Sündenböcke gefunden - Ausländer und "Eliten" - die an allem schuld sein sollen, was nicht klappt. Sie verbreiten das gerne in allen Medien, die ihnen gehören. Und gleichzeitig haben sie z.B. in den USA einen der ihren als Präsident gewählt, der sie optimal bedient und gleichzeitig die Probleme verschärft, z.B. indem er die Gelder für Bildung der Armen zusammenstreicht.
Es liegt an uns allen, ob wir uns so einfach um den Finger wickeln lassen, denn auch bei uns sind solche Leute aktiv, freuen sich über Trump, kaufen Medien und sehnen sich nach einer ähnlichen Bewegung bei uns.Ihr Ziel ist klar: Geld und Macht und von beidem nicht zu knapp.
Für einmal kann ich Klara Obermüller, die ich sehr schätze, nicht zustimmen.
Zunächst ist sie – selbst eben auch Journalistin – in eine Falle getappt, die seit vielen Jahren von Journalisten selbst aufgestellt wurde. Sie schreibt von der "Classe politique". Dieser Begriff ist doch in einer direkte Demokratie einfach unbrauchbar, denn wenn es tatsächlich eine solche classe politique gäbe, wäre das ja eine Bankrotterklärung für die direkte Demokratie.
Es ist auch bezeichnend, daß es nie die Leute aus der Politik selbst sind, die diese Bezeichnung verwenden würden. Es sind immer Journalisten und andere Kritiker, die den Politikbetrieb zu recht oder zu unrecht attackieren. Oft habe ich den Eindruck, das enthalte Elemente des Ärgers über das Halt-doch-nicht-ganz-Dazugehörens.
Klara Obermüller hält das Elite-Bashing für unerträglich. Damit spricht sie etwas an, das wichtig ist: Jedes Land, jede Gesellschaft braucht für das Weiterkommen Eliten in verschiedenen Bereichen. Aber mit der Gleichsetzung von "Elite" und "Establishment" begeht sie eben einen entscheidenden Fehler: Sie vermengt selbst zwei Dinge, die auseinanderzuhalten sind.
Im neuesten Heft NZZ-Geschichte gibt es ein bemerkenswertes Interview mit der französischen Philosophin und Publizistin Elisabeth Badinter. Sie bringt es auf den Punkt:
F: "Brauchen wir keine Eliten?"
A: <Ein Land ohne Elite – dem wünsche ich viel Glück! Ohne Eliten, seien es intellektuelle, künstlerische oder wissenschaftliche, kann ein Land nicht überleben. Sie machen große Augen. Sage ich Unerhörtes?>
F: "Überhaupt nicht. Nur stehen die Eliten gerade nicht sehr hoch im Kurs."
A: <Halt! Die derzeitige Kritik zielt auf etwas, was zwar Elite heißt, eigentlich aber das bezeichnet, was man auf Englisch 'Establishment' nennt, nämlich einen abgeschotteten Zirkel. Diese Form des 'Establishments', die kaum neue Leute eintreten läßt, ist im Kern undemokratisch und unerträglich.>
Das ist genau der springende Punkt. Es ist eben nicht per se falsch, wenn Leute, die durchaus zur Elite gehören, dieses Establishment, das sich eine abgeschlossene Welt gezimmert hat und das verteidigt, kritisiert. Und am Aufbau der falschen Deklaration – Elite statt Establishment – sind die Medien mindestens gleich beteiligt wie die Kritiker.
Populismus - das neue Feindbild unserer Eliten
Sogenannte Populisten stellen die politische Themensetzung und Deutungshoheit der Hauptstrom-Journalisten, Politiker und Kulturgrössen (Eliten) infrage. Wo die dringende Lösung politischer Probleme verschleppt wird oder Probleme verharmlost werden, reagieren diese „Populisten“ und ihre Anhänger verständlicherweise verärgert. Ihr Ärger ist als Aufruf zum Handeln für die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen zu verstehen. Da sie diesen Ärger heute auf den sozialen Medien verbreiten können statt wie früher die Faust im Sack zu machen, meinen unsere Eliten, diese Sorte Leute an den Pranger stellen zu müssen.
Sehr geschätzte Frau Obermüller. Ich kann Ihren Zorn nachvollziehen. Erlaube mir dennoch ganz spontan ein paar subjektive Ergänzungen. (Was sind übrigens Beiträge ohne Reaktionen, wenn ich das so salopp erwähnen darf.) Ich halte mich so kurz wie möglich und gehe daher vor allem auf den sogenannten Populismus ein. Allem vorweg erlaube ich mir dazu, Slavoj Zizek in einem NZZ – Beitrag vor einigen Tagen
zum Thema „Political Correctness“ zu zitieren: „ Der Versuch der politischen Korrekten, das Sprechen zu regulieren, ist in sich falsch, weil es die realen Probleme verschleiert, statt sie zu lösen.“ Obschon diese Meinung nur indirekt Ihre Aesserungen zum Vorwurf an die Eliten und Experten tangiert: Ein Vorwurf, der an sich nicht falsch ist. Um kurz zu bleiben, möchte ich hier aber nicht näher auf ihn eingehen, zumal auch er komplex ist. Ein Teil dieser Komplexität wäre u.a. der Hinweis, dass wir uns alle doch meistens in immer gleichen Milieus bewegen. Eine Tatsache, die schnurstracks in Subjektivität führt. Aber jetzt, hoffentlich auch kurz genug, zum Populismus.
Deutschland, als Beispiel, befindet sich inzwischen mitten im Wahlkampf. Täusche ich mich, dass sich z.B. der neue Messias der SP, oder insgesamt der Linken, bislang sehr populistisch verhalten hat? So nach dem Motto: viel versprechen ohne Konkretes. Die sogenannten bürgerlichen WählerInnen haben am Sonntag bereits u.a. auch darauf reagiert. Ob bewusst oder nicht; man scheint den versteckten Populismus von Schulz wahrgenommen zu haben. Kein Politiker, keine Politikerin ist in Wahlzeiten davon gefeit, auch in der Schweiz nicht. In den kommenden Monaten werden wir wohl in Deutschland noch viele populistische Aeusserungen hören, hüben wie drüben.
Wäre dort übrigens nicht AfD – Wähler. Würde die FdP wählen, damit Sie mich orten können. Hierzulande wäre ich mir indes nicht sicher, ebenfalls FdP zu wählen.
Alles ist nicht falsch, was im AfD – Programm steht. Ich habe es gelesen. Ein bekannter AfD – Vertreter (Gauland) hat sich übrigens neulich in einem TV-Interview erstmals öffentlich als Populist bezeichnet – zur Ueberraschung auch des Interviewers.
Könnte vielleicht eine neue Masche jener Partei sein, so nach dem Motto: „Taxiert uns ruhig als Populisten, wir kommen eh nicht aus dieser (Medien-) Ecke. Hauptsache unsere WählerInnen gehen nicht darauf ein.“ Zugespitzt könnte man dazu Kierkegaard zitieren: Wenn du „Hans“ über „Fritz“ sprechen hörst, erfährst Du mehr über „Hans“. Dieses Zitat könnte zumindest in Wahlzeiten nicht falsch sein.
Zum Schluss noch die Frage: Sind zum Beispiel ARD + ZDF völlig neutral bei Ihrer Wahlberichterstattung? Oder agieren sie in diesen Zeiten nicht auch sogenannt populistisch? Slavoj Zizek würde diese Frage wahrscheinlich bejahen. Womit wir zugegebenermassen bei der Definition dieses inflationsgeschwäng-erten Ausdrucks wären.
Eine Binsenwahrheit: Lassen wir fragwürdige Abweichler – früh genug! – Verantwortung übernehmen. Nur so können sie frühzeitig an ihrem wahren Gedankengut gemessen werden.