Die Käseglocken-Gesellschaft

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Die Käseglocken-Gesellschaft

Von Heiner Hug, 06.04.2017

Die Gesellschaft besteht immer mehr aus einzelnen Gesellschaften, die sich abschotten und nichts miteinander zu tun haben wollen.

Gleichgesinnte raufen sich zusammen und mauern sich ein. Wer nicht ihrer Meinung ist, wird von ihnen nicht mehr zur Kenntnis genommen. Oder sie überschütten ihn mit Hass und suhlen sich in Verschwörungstheorien.

Als ob die Gesellschaft aus aneinandergereihten Käseglocken bestünde. Unter jeder Glocke befinden sich Gleichgesinnte, die überzeugt sind, recht zu haben und die eigentliche „Wahrheit“ vertreten. Sie konsumieren die gleichen Medien; man ist unter sich, feiert und indoktriniert sich. Fakten, die ihnen nicht in den Kram passen, lassen sie am Glas der Käseglocke abprallen.

Die Bereitschaft, sich zusammenzuraufen, auf die Argumente der andern einzugehen, nimmt dramatisch ab. Das wird dann deutlich, wenn Einzelne aus den einzelnen Käseglocken hervorkriechen und miteinander debattieren. Zum Beispiel am Fernsehen oder auf einem Podium.

Einst nahm man sich die Mühe, die Argumente der andern zu zerpflücken. Das ist vorbei. Man will die Argumente der andern gar nicht hören. Man ignoriert sie. Man wartet nur auf seinen Einsatz. Dann legt man los und spult seine Sichtweise ab. Was die andern gesagt haben, was kümmert’s mich. Statt eines Dialogs erleben wir ein Aneinanderreihen sattsam bekannter Ansichten.

Deshalb sind Diskussionen immer unproduktiver. Man spricht aneinander vorbei. CVP-Präsident Gerhart Pfister schrieb kürzlich, man debattiere nicht mehr, um eine gute Lösung zu finden. Selbst in Kommissionssitzungen würden einfach Parteiparolen deklamiert. „Die Parlamentarier lassen sich immer weniger auf eine gute Debatte ein.“

Deshalb auch sind viele politische Diskussionen am Fernsehen so unsäglich langweilig und vorhersehbar. Die Teilnehmer wollen nur eins: ihre vorbereiteten populistischen Phrasen platzieren – welcher Couleur die auch immer sind. Auf die Fragen der Moderatoren antwortet man längst nicht mehr: Man sagt, was man will, Frage hin oder her. Ganz nach dem Motto: Was die andern fragen, denken oder sagen, ist mir doch egal.

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Teile und herrsche ...

Ihr Artikel spricht mir aus dem Herzen denn selbst in meinem persönlichen Umfeld musste ich bereits solche Erfahrungen machen. Statt mir diese unsäglichen Talkschos anzusehen nutze ich die Zeit liber sinnvoller mit lehrreiceh Vorträgen, die man bei YouTube finden kann wie z.B. https://www.youtube.com/watch?v=Rk6I9gXwack
Auch KenFM hat viele interessante Gesprächspartner.

Das "immer mehr" - und dessen Gegenstück :"Früher war alles besser" - täuschen vor, dass da etwas abläuft, was sozusagen naturgesetzlich vorbestimmt ist. Als 70jähriger glaube ich mich sehr gut daran erinnern zu können, dass die gesellschaftlichen Schranken -"Mehrbessere" versus "Büezer" - früher sehr hoch waren. Oder man denke an die konfessionellen Gräben, die noch in den 1950er Jahren abgrundtief waren. Und die ach so vielfältige Presse bestand aus Parteiblättern, die ihre sakrosankten Dogmen repetierten. Kein "Sozi" wäre auf die Idee gekommen, einen Blick in die NZZ zu werfen, und kein Bürgerlicher hätte je Argumente von Gewerkschaftern auch nur zur Kenntnis genommen. Und gab es für den "Vaterland"-Leser damals eine Alternative zu katholisch-konservativen Weltsicht? Tatsächlich können wir heute - wenn wir wollen - eine Vielfalt an Meinungen und Argumenten vergleichen. Der konstante Prozentsatz an Hohlköpfen und Nachplapperern bleibt sich über die Generationen gleich.

Sehr geehrter Herr Gerber, danke für diese in bestem Sinne "altersweise" Replik! Mit freundlichen Grüssen, M. Brönnimann

Aus Charakter sind Sätze geworden.

Ja, ich bin eine Wutbürgerin, meine Wut richtet sich gegen ein Tabu, das Tabu!
Jetzt kommt ein Psychopath, seien sie so nett, hören sie ihm trotzdem zu. Das kommt vielleicht noch!
Ankündigungen wie ein umstrittener Verschwörungstheoretiker möchte seine Meinung äussern ist bereits gang und gebe. Immer mehr nicht diskutierbare Tabus sorgen für zunehmendes Réduit-Verhalten. In vielen Belangen werden wir gezwungen, durch das Tabu gezwungen, Meinungen hinter der Hand auszutauschen. Und warum? Weil eben nicht alle gleicher Meinung sind, deswegen. Man müsste darüber und auch über dies und das wenigstens reden können ohne gleich zugeordnet zu werden. Meine grosse Frage: Opinion Leader unfehlbar? Keineswegs, die Welt- Geschichte zeigt dies deutlich!... cathari

Ein treffender Kommentar. Im Zeitalter von mannigfachen Meinungshalbgöttern haben es die Dialektik und der Dialog schwer. Ein Beweis hierfür ist auch der explodierende Markt von Ratgeberbüchern. In der heutigen Zeit hat ein Mensch durch die fortschreitende Digitalisierung und Roboterisierung an Wichtigkeit und Einzigartigkeit verloren. Dies verleitet viele Menschen dazu, sich eine neue Identität zu verleihen und sich einer Gruppe, Sekte, Interessengemeinschaft anzuschliessen, in der es eine Gemeinsamkeit gibt: Eine Meinung, die unantastbar ist. Wer sich in einer solchen Gruppe erlaubt, eine andere Meinung einzubringen, gilt als Verräter. Eine einheitliche Meinung vermittelt einer Gruppe Sicherheit, Stärke und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Der Einzelne fühlt sich aufgehoben und bekommt die Gewissheit, dazuzugehören. Was auffällt, ist, dass in den Fernsehstudios der deutschsprachigen Sender immer die gleichen Köpfe zu sehen sind. Der Sender Arte mal ausgenommen. Von den hinlänglich bekannten Köpfen neue Denkansätze zu hören, wäre etwa so vermessen, wie von Spitzenbankern zu erwarten, dass diese sich in Boniverzicht üben würden. Das Perfide an der Sache ist, dass eigentliche Querdenker (auch Dialektiker, Dialogbereite), und da meine ich nicht Populisten, die Fernsehstudios nur vom Hörensagen kennen. Die Fernsehjournalisten mögen gerne Altbewährtes, Quotengarantierendes, Meinungen, die bereits an der Oberfläche zerbröseln. Systemkritische Zeitgeister mit genauen Analysen über den Zustand einer Gesellschaft, eines Landes sind Störenfriede. Die Verlogenheit besteht darin, dass die so genannten immer gleichen Meinungsmacher und mit ihnen die Fernsehmacher so tun, als würden sie in das Innere der Problemzonen vordringen. Wenn es um sie gehen würde, müssten die Köpfe ausgetauscht werden. The Show must go on - vermutlich bis zum bitteren Ende.

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