Kleine Schlappe für Marine Le Pen

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Kleine Schlappe für Marine Le Pen

Von Hans Woller, Paris - 24.04.2017

Den grossen Durchbruch schaffte sie nicht. Brechen jetzt die grossen Volksparteien auseinander? Emmanuel Macron, der Freund Europas, geht als Favorit in die Stichwahl. Ein Kommentar.

Was in Frankreich seit Monaten möglich schien, von den einen befürchtet, von den anderen herbeigesehnt wurde, ist tatsächlich eingetreten: Erstmals in der Geschichte der 5. Republik wird bei einer Präsidentschaftswahl keiner der beiden Kandidaten der so genannten grossen Volksparteien von links und rechts, dem „Parti socialiste“ und „Les Républicains“ in der entscheidenden Stichwahl vertreten sein.

François Fillon, der Kandidat der traditionellen Rechten, hat seine Affären nicht überlebt und ist trotz 20% der Stimmen ausgeschieden.

Benoît Hamon, der Kandidat vom linken Flügel der sozialistischen Partei, wurde geradezu erniedrigt.

Die Partei von François Mitterrand ist bei 6% angekommen! Das heisst dort, wo eine sozialistische Rumpfpartei 1969 war und nach der 68-er Zeit und De Gaulles Rückzug bei den Präsidentschaftswahlen 1969 mit dem Kandidaten, Gaston Deferre, 5,1% erzielte.

Frankreichs gesamte Linke, mit den zwei Trotzkisten und Jean-Luc Mélenchon, der es tatsächlich auf über 19% gebracht hat, holte insgesamt gerade noch 27% der Stimmen.

Die Chancen stehen nun gut, dass die Sozialistische Partei und Sarkozys Partei, „Die Republikaner“, schon in den nächsten Monaten auseinanderbrechen. Besonders bei den Konservativen zeichnete sich der grosse Streit bereits gestern Abend bei den Diskussionrunden in den Fernsehstudios ab – zwischen der harten, reaktionären und der liberalen Rechten.

Und Frankreichs Sozialisten dürften für zwei Jahrzehnte weg sein vom Fenster. Manuel Valls wird wahrscheinlich versuchen, eine sozialdemokratische Bewegung auf die Beine zu stellen.

Man kann auch sagen: Jean-Luc Mélenchon hat geschafft, was er seit zehn Jahren versucht hat: die Sozialistische Partei zu zerstören.  

Emmanuel Macron, der Sieger des gestrigen Abends, übertrieb kaum, wenn er davon sprach, diese Wahl habe eine neue Seite im politischen Leben Frankreichs aufgeschlagen.

Er selbst inszenierte sich vor rund 3‘000 Anhängern bereits wie der künftige Staatspräsident, machte auf amerikanisch, bestieg mit seiner Frau Hand in Hand die Bühne und sagte ansonsten das Übliche. Worte, die sich gut anhören, im Grunde aber wenig Konkretes aussagen – es war erneut eine Hymne auf den Optimismus, die grosse Hoffnung und auf Europa, die der 39-Jährige anstimmte, der Mann, der in Frankreichs Politik vor fünf Jahren noch ein völlig unbeschriebenes Blatt war und erst vor drei Jahren als Wirtschaftsminister wirklich in Erscheinung trat.

Macron darf sich zugute halten, dass er in den zwei Stunden nach seinem Sieg bereits die Unterstützung zahlreicher Persönlichkeiten von links und rechts erhielt: vom gedemütigten sozialistischen Kandidaten, Hamon und auch von François Fillon – wobei dessen Anhänger, als er dies verkündete und dazu aufrief, der rechtsextremen Kandidatin den Weg zu verstellen, so gut wie keinen Beifall spendeten – ein erstes Anzeichen dafür, dass ein Teil der Fillon-Wähler zu Marine Le Pen wandern dürfte.

Für Marine Le Pen war der gestrige Abend eine kleinere Schlappe. Ihre Umgebung hatte ein Ergebnis von annähernd 30% erwartet, die Kandidatin selbst sprach trotz ihrer „nur“ 22% von einem historischen Tag. Immerhin hat sie in der Tat 4% mehr als bei den Wahlen 2012 erzielt, das heisst fast acht Millionen Stimmen – über eine Million mehr als bei ihrem bisher besten Ergebnis. Doch der ganz grosse Durchbruch war es nicht.

Eine Blitzumfrage gestern Abend sah sie im 2. Durchgang bei 38%, Emmanuel Macron mit 62% als den künftigen Präsidenten.

Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass Frankreich hauptsächlich aus Regionen ausserhalb Paris und seinen Problemen besteht. Zum Beispiel in der Bretagne gibt es eine fixe Wählerschaft für M. Le Pen, die ungefähr bei 24-30% liegt. Das haben die letzten Wahlergebnisse gezeigt. Neben Sicherung des Besitzes ist die Brauchtumssicherung der wichtigste Aspekt. Die Jungen oder besser ausgedrückt, die noch erwerbstätigen Bürger sind hin und her gerissen. F. Fillon geht gar nicht, E. Macron ist der Vertreter des Grosskapitals, des Establishments.
Viele stellen sich die grossen Fragen: Welches Gesellschaftssystem wird die Republik in die Zukunft tragen können? Ihnen ist bewusst das FR total überschuldet ist, und jeder kennt die Summen, die der Staat an Sozialunterstützung in die südlichen Regionen sendet. Und da kommt J. L. Mélenchon und bietet eine radikale, sozialistische Vision der Egalität, eine Idee, etwas Neues. Das macht ihn für viele attraktiv. Und man darf nicht vergessen, die Franzosen haben mit Umstürzen und Revolutionen geschichtlich gesehen eher gute Erfahrungen gemacht. Bis dato hätte man E. Macron am Ende vorn gesehen. Die Wahl wird von historischer Dimension sein. Salut!

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