„Auf Erden das Beste“

Christoph Kuhn's picture

„Auf Erden das Beste“

Von Christoph Kuhn, 27.08.2018

Ein anderes Wort für Feigheit?

Wer das Werk des Schweizer Autors Thomas Hürlimann kennt und schätzt, wird sich auf den neuen Roman „Heimkehr“, der in diesen Tagen ausgeliefert wird, freuen. Nach langer, schwerer Krankheit meldet sich einer unserer besten Autoren wieder zu Wort – man darf gespannt sein.

Eher Widerspruch denn Freude dürfte eine andere, ein paar Wochen zurückliegende Wortmeldung unseres Autors hervorrufen. Es geht um eine 1. August-Rede, die Hürlimann aus gesundheitlichen Gründen in Walchwil nicht halten konnte. Sie wurde in der „Schweiz am Wochenende“ veröffentlicht, unter einem Titel, der allein schon gewaltig provoziert. „Toleranz ist ein anderes Wort für Feigheit“ liest man da und glaubt, nicht recht gelesen zu haben.

Im ersten Teil seiner Rede geht Hürlimann, mit der verbalen Hellebarde bewaffnet, auf die Sprachpolizisten oder Sprachfundamentalisten los, die im Namen der political correctness unsere Sprachgewohnheiten neu regulieren und, nach ihrem Verständnis, purifizieren möchten. Da ordnet sich Hürlimann in die Reihen vieler seiner Kolleginnen und Kollegen ein, die ihr Recht auf ein anarchisches, kreatives Sprachgebaren reklamieren und sich gegen engstirnige und oft nur noch lächerliche Regulierungsmassnahmen wehren. So weit so gut. Man kann ihm nur beipflichten.

Was aber hat unseren Autor geritten, seine Empörung auf den Begriff „Toleranz“ zu richten? Warum soll Toleranz „ein verlogener Begriff“ sein, „ein anderes Wort für Feigheit“? Natürlich gilt der Begriff für ein weites Feld und an den Rändern dieses Feldes kann das Wort auch mal für Gleichgültigkeit, Duckmäusertum und Feigheit stehen. In der Hauptsache und im Allgemeinverständnis bleibt Toleranz eine erstrebenswerte Haltung, ein Bekenntnis zur Offenheit, zum Geltenlassen anderer Meinungen zum Beispiel, was ja eher ein schmerzlicher denn ein feiger Akt zu sein pflegt. Voltaire, Champion der Aufklärung, hat in seinen Büchern viel über Toleranz, hauptsächlich in religiösen Zusammenhängen, geschrieben. Im „dictionnaire philosophique“ nennt er die Toleranz ein Erbgut der Menschheit und anderswo hält er sie gar für „auf Erden das Beste“.

Neben den möglichen, herbeigeredeten Problemen mit dem Toleranzbegriff gibt es doch heutzutage ein sehr viel virulenteres Problem: die weit verbreitete  Intoleranz.

Interessante Gedanken von Herrn Hürlimann. Bei der Minarett-Initiative habe auch ich mich intensiv damit beschäftigt. Indem ich etwas toleriere (befürworte) muss ich mich nicht mehr damit beschäftigen. Es ist ja OK für mich, ich kann somit wegschauen. Und schon sind wir nahe beim Wort Feigheit.

Eine Wiederaufführung von "Biedermann und die Brandstifter" täte not. Wie man sieht, ist das Stück hoch aktuell.

Der Rede Sinn hat sich mir schon erschlossen. Nicht der Unterschied zwischen Toleranz und Intoleranz soll beleuchtet werden, sondern, wie richtig angeführt, die Duldung der Sprachpolizei der political correctness. Darüber hinaus aber auch der Aufruf nach Aufrichtigkeit und der gedanklichen Freiheit, daran laut und deutlich Kritik zu üben. Üben wir das! Und üben wir das aus! Das war der Aufruf. Und der verdient keinen Verriss, sondern Anerkennung

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren