Inflation des Schwülstigen

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Inflation des Schwülstigen

Von Eduard Kaeser, 15.09.2018

Byung-Chul Han, Peter Sloterdijk, Jean Baudrillard und schon ihr Ahnherr Theodor Adorno betreiben mit ihrer Sprache Verunklärung statt Aufklärung. Kleine Analyse eines Denkstils.

Ein Stilphänomen macht sich breit auf dem Markt der Zeitdeutungen, ein Geistesschwulst, dem es es primär nicht um Inhalte geht, sondern um den selbstbezüglichen Gestus: Seht Leute, ich denke – und wie ich denke! Schon die Etymologie des Wortes „Schwulst“ suggeriert das Schwellen, Quellen, Blähen, Ballen – das Ochsenfroschartige. Es handelt sich nicht um ein speziell postmodernes Phänomen, aber Schwulst bietet eine gute Gelegenheit, drei Stilmerkmale zeitgenössischen Denkens kurz unter die Lupe zu nehmen.

Serielle Philosophie

Zu diesen Merkmalen gehört zunächst die Themenschwemme. Als Beispiel dafür stehen die Bücher des Kulturphilosophen Byung-Chul Han im Regal. Sie sind sind von der Statur her schlank, aber thematisch zum Platzen vollgestopft: Neoliberalismus, Biopolitik, Big Data, Social Media, Sinnleere, Müdigkeit, Entschleunigung, Überwachung, Transparenz, Gamifizierung, Pornographie. Der Stil bedient sich dabei des Werbetext-Duktus: „Die Transparenzgesellschaft ist eine Hölle des Gleichen“; „Das digitale Medium ist (...) ein Affektmedium“; „Der Dataismus erweist sich als digitaler Dadaismus“; „Der Geist gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet“.

Die Beispiele sind aus „Die Transparenzgesellschaft“ (2012), „Im Schwarm“ (2013), „Psychopolitik“ (2014) und „Die Austreibung des Anderen“ (2016). Ein schnelles Fliessband lockerer und adretter Thesen. Man könnte in Analogie zur seriellen Kunst von „serieller Philosophie“ sprechen. Diese Sorte von Schwulst tritt zwar mit dem Anspruch der Kulturkritik auf, aber die Themenflut verrät im Grunde nur eines: analytische Dürre.

Warme Luft

Mit der Themenschwemme korrespondiert das Schwelgen in Begriffskopulationen und volatilen Assoziationen. Hören wir kurz einem prächtigen Schulbeispiel zu: „Das morphologische Leitbild der polysphärischen Welt, die wir bewohnen, ist nicht länger die Kugel, sondern der Schaum (...) Die aktuelle erdumspannende Vernetzung (...) bedeutet daher strukturell nicht so sehr eine Globalisierung, sondern eine Verschäumung. In Schaum-Welten werden die einzelnen Blasen nicht, wie im metaphysischen Weltgedanken, in eine einzige, integrierende Hyper-Kugel hineingenommen, sondern zu unregelmässigen Bergen zusammengezogen (...) In den Schaumwelten ist aber keine Blase zur absolut zentrierten, allumfassenden, amphiskopischen Kugel erweiterbar; kein Mittellicht durchdringt den Schaum insgesamt in seiner dynamischen Trübheit (...) Denken im Schaum ist Navigieren auf labilen Strömungen.“

Ein Ausschnitt aus Peter Sloterdijks Sphären-Trilogie „Blasen“, „Globen“, „Schäume“, einer Anthropologie des erlebbaren Raumes, die vor Materialfülle buchstäblich überschäumt. Sie bietet sich als „sphärologische“ Gesamtschau an, von der Vertreibung aus der „Blase“ des Paradieses bis zum „Schaum“ des Internets.

Womöglich wäre schon die Ambition eines solchen Unternehmens als „schwülstig“ zu bezeichnen. Das Problem dieses Monumentalfreskos liegt darin, dass es sich einer Metaphorik bedient, die das Unklare und Ungestalte zum „amorphologischen“ Leitbild und das „Verschäumen“ zum Stilprinzip erklärt. Damit wird einer, wie man sie nennen könnte, Begriffsflatulenz Vorschub geleistet. Aus der Physik kennen wir die Dissipation, die Umwandlung von nutzbarer Energie in unnutzbare Wärme. Eine Analogie drängt sich hier auf: denkerische Dissipation, das Verpuffen von nutzbaren Begriffen in warme Luft.

Theorrhö

Wissenschaft und Technik prägen unsere Zeit. Schwulst, der sich up to date gibt, kann sich deshalb nicht lumpen lassen. Entropie, Chaos, Quantensprung, Nichtlinearität, Irreversibiltät, Unschärferelation, Fraktal, Attraktor, Algorithmus, Komplexität, nichteuklidischer Raum – man entnimmt solche Termini den avancierten Wissenschaften, trennt sie in einer semantischen Zentrifuge von ihrer spezifischen Bedeutung und bläst sie zu neuem terminologischen Schwulst auf.

Einem Wortführer der Postmoderne, dem Literaturwissenschafter Ihab Hassan, verschlägt es angesichts der Heisenbergschen Unschärferelation buchstäblich den Atem (und wahrscheinlich auch den Verstand): Heisenberg „zeigt, dass Mechanismus, Determinismus, Materialismus vor dem Bewusstseinsstrom zurückweichen, vor einer Art von neotischem heraklitischem Feuer (...) In derart evakuierten Reichen des Geistes ringt ein Humanist, Modernist oder Postmodernist nach Atem“.

Als Klassiker dieses Genres dürfte der verstorbene Jean Baudrillard gelten. Unter Berufung auf Physik und Chaostheorie versuchte er unter anderem zu zeigen, dass die Geschichte nicht nur kein Ende hat, sondern auch quasi endlos in sich dreht. Das tönt dann so: „Selbst wenn es sich um das Jüngste Gericht handelt, werden wir unsere Bestimmung nicht erreichen. Wir sind heute von unserer Bestimmung durch einen Hyperraum mit variabler Brechung abgeschnitten. Man könnte die Rückwendung durchaus als eine Turbulenz dieser Art interpretieren, die sich aus einer Beschleunigung von Ereignissen ergibt, welche ihren Lauf umkehrt und ihre Bahn auslöscht. Das ist eine Version der Chaostheorie, die Version der exponentiellen Instabilität.“

Ein inkontinenter Fluss theoretischer Fragmente. Und darauf träfe am besten ein Terminus zu, den ich mir vom Neurologen und Philosophen Raymond Tallis ausleihe: „Theorrhö“.

Verunklären statt Aufklären

Auf den Vorwurf der Unverständlichkeit erwiderte schon Friedrich Schlegel, dass es nichts absolut Unverständliches gebe. Eine solche, mittlerweile zum Standard beförderte Relativierung bietet sich leicht als universelle Rechtfertigung verblasenen Schwulstes an. Mehr noch: Unklarheit mutet die Anstrengung der Exegese zu;  im Unklaren steckt die Nobilität der Tiefe. Deshalb darf sich gratulieren, wer immer nach Verstehen strebt.

Theodor Adorno erhielt nach einem Radiovortrag Briefe von Hörern, die sich über die unverständliche Sprache beklagten. Seine Rechtfertigung daraufhin: „Versuche, die, um die gemeinte Sache genau zu treffen, gegen das übliche Sprachgeplätscher schwimmen und gar sich bemühen, verzweigtere gedankliche Zusammenhänge getreu im Gefüge der Syntax aufzufangen, erregen durch die Anstrengung, die sie zumuten, Wut.“

Das ist erstens arrogant und zweitens ein Denkfehler, nämlich der Schluss von der Kompliziertheit der Sprache auf die Kompliziertheit der Sache, die sie beschreibt. Ohnehin dürfte Angestrengtheit als Armutszeichen des Stils sich verraten. Aber im Grunde tritt hier die Strategie des Schwulstes in aller Deutlichkeit zutage: Verunklärung statt Aufklärung, Imponieren statt Argumentieren, Überwältigen statt Überzeugen. Schwulst errichtet ein Ehrfurchtsgefälle.

Sloterdijk beherrscht die Strategie meisterlich. Er ist den Lesern in seiner Belesenheit stets meilenweit voraus. Und in der Aura des „Vorausseins“ kann er sein Gefolge nicht nur beeindrucken, er tut dies auch aus der nötigen Höhe des verkündenden „zarathustrischen“ Sehers. „Das Streben nach Erleuchtung bringt naturgemäss die völlige Verdunkelung“, tönt es bei Sloterdijk. Er muss es wissen. Er kann sagen und schreiben, was er will, er wird gehört. Der Text ist eine Devotionalie. Und so haben es die Devoten immer schon gehalten: Nicht verstehen, nur vernehmen.

Viagra für den Geist

Kurzum, es geht um Wortführer-Hegemonie auf dem Markt der Aufmerksamkeitserregung. Er ist eine Kampfzone, und hier drängelt sich der Schwulst vor mit seinem blickhascherischen Moment der Performance. Um vor der Konkurrenz zu bestehen, braucht es die permanente, ja, wachsende Schwellung als Grundvoraussetzung. Schwulst ist Viagra für den Geist.

Der heute vergessene Philosoph Aurel Kolnay hat in seiner Abhandlung „Hochmut, Ekel, Hass“ (1929) vom „ungerichteten ‚Gedankenreichtum’“ gesprochen, „den man besser die Geilheit des Geistes nennen würde“. Schwulst ist „Geistigkeit am falschen Orte“. Das erinnert natürlich an den Schmutz, der bekanntlich nichts anderes ist als Materie am falschen Ort. Und die Parallele von Schwulst und Schmutz suggeriert sogar so etwas wie geistigen Ekel. Er kommt auf, so Kolnay, „wo das Flackern und Qualmen des Geistes die intentionale Beziehung, das schlichte Sagenwollen verdunkelt und erstickt“.

Die angemessene Reaktion auf Geistesschwulst erfolgt aber nicht aus den Eingeweiden, sondern aus dem Kopf. Der Wille zum schlichten Sagen kann als Antidot gegen die Erstickung durch Schwulst wirken. Hauptbestandteile dieses Willens sind geduldige Exaktheit, harte Begriffskanten, Metapherndiät, Sachkenntnis, durchdachtes Weglassen („kill your darlings“), Sinn für Eindeutigkeit, wo sie nötig ist, kritische Selbsteinschätzung (der Verfasser nimmt sich von dieser Ermahnung nicht aus). Gefragt ist aber vor allem ein scharfes Auge für den linguistischen Putz, in dem heute intellektuelle Brachenleader ihr „Denken“ feilhalten – sprich: für des Kaisers neue Kleider.

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Sehr geehrter Herr Kaeser, vergessen Sie die Schwurbler und geben Sie ein Beispiel für eine klare Aussage. Sie sind nur einer von vielen aus der Mint- Klasse die glauben, sie wüßten was der Fall ist; denken Sie nur an Schrödingers Katze.
Mit freundlichem Gruß, Heinrich A. Wildt.

"Schwarz war die Nacht, voller Dampf". Nur diesen einzigen Satz hatte der Schauspieler auf der Bühne zu rezitieren. Von sich selbst ergriffen ertönte bei der Uraufführung aus seinem tiefsten Inneren: "Schwampf!"

Wie Sie mir aus dem Herzen sprechen bzw. schreiben, Herr Kaeser! Bei dem einen oder andern Schreiberling kann man wenigstens noch die schiere Sprachbrillanz bewundern (z.B. Sloterdijk), wenn sich auch hinter so mancher Formulierung beim besten Willen kein Sinn erschliesst. Bei andern wird nach wenigen Seiten klar, dass sich die Lektüre solch leeren Geschwafels nicht lohnt (aus diesem Grund las ich, als 68er, Adorno nicht). Nicht, dass ich schwierige Texte einfach abschreiben würde, es kann schon lohnen, sich in einen nicht auf Anhieb verständlichen Text hineinzuarbeiten (z.B. Heidegger, oder Spinozas Ethik, etc.), aber man spürt, wann es v.a. um Selbstgefälligkeit geht. Analoges gibt's in der Politik, z.B. in Kulturen, in denen Politiker v.a. Wert auf das schöne Sprechen, auf die perfekte Formulierung legen; ob das Gesagte zutrifft bzw. eingehalten wird, ist irrelevant, angepeilt ist, Eindruck zu schinden.

Solch schwülstiges Philosophengeschwurbel erinnert an einen Sandsturm in der Wüste, der einem in Augen und Nase dringt und jede Sicht und den Atem nimmt.
Nur würde ich Adorno nicht unbedingt als Vater nennen, sondern wenn schon Nitzsche. Und auch er war ja nicht der Erste. Man könnte durchaus eine Philosophigeschichte des schwülstigen Geschwurbels schreiben.
Ein reicher Fundus an Beispielen wäre nach wie vor Bertrand Russells brillante Philosophiegeschichte.

Herrlich, diese Blossstellung der "Gscheitschwätzer". Habe 1967/68 noch deren stilistischen Vater (Theodor Wiesengrund) an der Goethe-Universität gehört. Ein krasses, selbstverliebtes Geschwurbel, das allerdings einige Lichtenberg-artige Aphorismen aufblitzen liess.
Was auffällt: alle diese Besserwisser leben vom Steuerzahler.

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