Schönes, altes Deutsch

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Schönes, altes Deutsch

Von Heiner Hug, 16.11.2018

„Die Herzogin war schon huldvoll grüssend in eine der harrenden Gondeln gestiegen.“
  • „Seine Hand fassend, trat sie mit ihm durch die schmale Pforte.“
     
  • „Mit scharfem Ohr lauschend, liess er sich kein Wort des interessanten Gesprächs entgehen.“
     
  • „An (Pfarrer) Waser sich wendend, fuhr er mit aufgeregter Rede fort.“
     
  • „Gehabt Euch wohl!“ grüsste er, sich rasch in den Sattel schwingend.“

Huldvoll grüssend, seine Hand fassend, mit scharfem Ohr lauschend, sich an den Pfarrer wendend, sich in den Sattel schwingend ...

Diese Beispiele sind 140 Jahre alt. Sie stammen aus der Historiennovelle „Jürg Jenatsch“ von Conrad Ferdinand Meyer.

Heute kommen uns diese alten Formen mehr und mehr abhanden. Nur selten findet man sie noch. Für viele wirken sie antiquiert – oder versnobt.

  • „Die Meeresluft tief einatmend, eröffnet sie ihm, dass sie schwanger ist.“
     
  • „Eine Zigarette rauchend, sah sie ihm tief in die Augen.“
     
  • „Das Handy am Ohr haltend, verzog er etliche Grimassen.“

Grammatikalisch gesehen, handelt es sich um Partizipialsätze mit dem Partizip Präsens.

Solche Konstrukte, also Sätze mit Verben, die auf -nd enden (grüssend, rauchend, fassend), drücken aus, dass zwei Handlungen gleichzeitig geschehen. Sie raucht eine Zigarette und gleichzeitig blickt sie ihm in die Augen.

Im Deutschen sind solche Konstruktionen vor allem noch in alten Romanen anzutreffen. In den Medien fehlen sie fast ganz.

In keiner Zeitung liest man heute: „Die afghanischen Taliban, seit zehn Jahren gegen die Regierung in Kabul kämpfend, haben sich zum Attentat nahe der amerikanischen Botschaft bekannt.“

Niemand schreibt: „Theresa May, schon lange um ihren Ruf und ihre Regierung kämpfend und bangend, konnte am Mittwoch erstmals aufatmen, wenn auch nur für kurze Zeit.“

Um eine Gleichzeitigkeit auszudrücken, verwenden wir heute die Wörter „indem“ oder „während“. Oder wir machen zwei Hauptsätze. „Theresa May kämpft schon lange um ihren Ruf. Am Donnerstag konnte sie erstmals aufatmen.“

In der gesprochenen Sprache, also in Reden, Vorträgen Präsentationen, findet man Partizipialkonstruktionen mit dem Partizip Präsens kaum.

Kein Manager sagt: „Sehr verehrte Aktionäre, mit einem Stein vom Herzen fallend kündige ich ihnen, die miserable Performance der letzten Monate hinter uns lassend, an, dass jetzt alles besser wird.“

Nicht nur in der gesprochenen Sprache: auch in den heutigen Romanen verschwinden Partizipialkonstruktionen immer mehr.

Dies soll kein Plädoyer für die aussterbenden Partizipialsätze sein. Aber charmant waren sie manchmal eben doch. Man denke an die „huldvoll grüssende Herzogin“.

                                                    ***

PS: Dies soll keine Deutschstunde sein. Nur zur Ergänzung. Es gibt auch Partizipialsätze mit dem Partizip Perfekt. Dieses drückt zwei sich folgende Handlungen aus und kommt häufiger vor: „In Buenos Aires gelandet, rief er sofort seine Frau an.“

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Letzte Zeile des Gedichts ging verloren. Hier nochmals komplett:
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Dieses Gedicht ist auch deshalb so interessant, weil Meyer etliche Anläufe unternehmen musste, bis ihm es ihm wirklich gelang. Erst die siebte, letzte Fassung ist vollendet.

Wie stark die vorangegangen dagegen abfallen, mag jeder selbst nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_römische_Brunnen

Als ich den Jörg Jenatsch von Meyer vor etlichen Jahren zufällig bei Freunden fand, war ich von der ersten Seite an hingerissen und las das Buch in einem Zug durch. Es war die Sprache, die mich begeisterte. Kein Wort zu viel und jedes richtig gesetzt. Die Sätze nie geschwurbelt, sondern klar, wie die Bündner Bergluft. Wer wissen will, wie gut man sich auf Deutsch ausdrücken kann, sollte dieses Buch gelesen haben.
Meyer ist ein merkwürdiger Dichter. Dieses Buch ist hohe Kunst, daneben aber findet sich einem Oeuvre vieles, was man besser entsorgt. Unerträglicher Kitsch. Dann aber auch eines der besten und schönsten Gedichte:
Der römische Brunnen

Auf steigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich

Schöner kann man einen Brunnen nicht in Worte fassen.

Im Französischen, Italienischen, Spanischen ist der Gerundium noch gebräuchlich - jedenfalls lernte ich das einmal so. Oder er ist vielleicht mittlerweile auch aus der Mode gekommen?

Sehr geehrter Herr Hug,
auch als Biolog hab ich Freud an Sprache: mir fällt unter andrem auf, wie das in der Literatur übliche Imperfekt in der gesprochenen Sprache nicht vorkommt statt "gestern ging ich shoppen" spricht man: "bin gegangen". In Norddeutschland üblicherweise mit Plusquamperfekt.
Ihr Thomas Esche

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