Nichts ist von Dauer!

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Nichts ist von Dauer!

Von Christoph Zollinger, 06.04.2019

Die Gegenwart ist eine Zeit des Umbruchs. Neue Einsichten in Politik und Wirtschaft sind überfällig. Die nächste Gesellschaft wird die ganzheitlichen Zusammenhänge des Weltgeschehens wieder vermehrt erkennen und beachten müssen.

Es blitzt und donnert am Wirtschafts-Himmel. Stürmische Windböen wirbeln Bruchstücke des abgedeckten staatlichen Politgebäudes durch die Lüfte. Die Gesellschaft reagiert verängstigt, verkriecht sich im vermeintlich sicheren Luftschutzkeller des Nationalismus. Wir schreiben das Jahr 2019.

Alles hängt mit allem zusammen

Auch wenn das Primat des Marktes vor dem des Staates seit über 100 Jahren von berühmten Ökonomen verkündet und bald 50 Jahren tatkräftig von politischen neoliberalen Staats-Präsidenten durchgepeitscht wurde – das Ende dieser Ära ist sicht-, ja greifbar. Jahrzehntelang hat man sich gestritten, welche Gesellschaftsform effizienter sei und ebenso lang lehrten Hochschulen die Vorteile des alles regelnden Marktes. Doch seit mehreren Jahren, vor allem seit der Weltwirtschaftskrise 2008, verstärkt sich das mulmige Gefühl des eigentlichen Kontrollverlusts – für den, der je der irrigen Meinung war, Wirtschaft und Politik kontrollieren zu können.

Der freie Markt regelt eben nicht alles. Deregulierung und Privatisierung – das Mantra des Neoliberalismus – zeigen unerwartete Spätfolgen. Die zu sture, alleinige Ausrichtung auf wirtschaftliches Wachstum, die sklavische Unterordnung der Geschäftspolitik nach dem modischen Diktat des Marktanteil-Wachstums, der Gewinnsteigerung und des Hochtreibens der Aktienkurse durch Aktienrückkäufe; diese Agenda der Global Leaders ist der eigentliche Grund des Ideen-Vakuums, das um sich greift. Bei den ersten Anzeichen der Wachstumsstagnation greift Nervosität um sich. Da hilft auch kein Davos-Weltwirtschafts-Treffen der Eliten weiter.

Die liberale Marktwirtschaft

Wer sich zurückerinnert an den einstigen klassischen Liberalismus weiss, was damit gemeint war: der Staat soll uns möglichst in Ruhe lassen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die liberale Marktwirtschaft hat nicht nur grosse Verdienste, willkommenen Wohlstand und berechtigte Akzeptanz hervorgebracht – sie hat diese Auszeichnungen auch verdient. Im Verbund mit der freiheitlichen Politik vieler Staaten ist sie nach wie vor z. B. jeder kommunistischen Staatsform überlegen. Leider hat dieser Erfolg auch falsche Jünger gezüchtet. Im Verlauf der Jahrzehnte wurde die ursprüngliche, liberale Idee immer mehr durch Übertreibungen und egoistische Zuspitzung pervertiert – schliesslich profitierten immer weniger selbsternannte Spitzenmanager in Grosskonzernen. Gleichzeitig vergrösserte sich die Masse der abgehängten, arbeitslosen Arbeitnehmer in vielen Gegenden (Produktions-Auslagerung). Zwar ist der Wettbewerb als Antrieb zur Leistungssteigerung nach wie vor dem staatlichen Diktat überlegen. Doch Wettbewerb allein macht nicht alles möglich.

Die ganzheitliche Sicht aller Zusammenhänge ging verloren. Dies rächt sich in der Gegenwart. Zwar sind wir in der Schweiz mit unserem Netz der KMUs und der direkten Demokratie etwas weniger direkt betroffen, doch ausklinken aus dem globalen System können auch wir uns nicht.

Weltwirtschaft mit Zukunft

Sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft wollen die Anhänger überholter Doktrinen immer noch nicht wahrhaben, dass ihr Erfolg zukünftig davon abhängen wird, ob sie rechtzeitig die neuen Trends erkennen: Weder ausschliesslich Links-, noch Rechtsorientierung (Politik) und weder nachfrage- noch angebotsabhängige Strategien (Wirtschaft) werden allein einen nachhaltigen Erfolg garantieren. Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Schliesslich hängt das Wohlergehen der Gesellschaft davon ab, dass sich politische und ökonomische Systeme ideal ergänzen, unter gemeinsamer Berücksichtigung von Abhängigkeiten und Folgen. Dass dazu auch – je länger je mehr – das ökologische System gehört, wäre eigentlich seit langem bekannt. Der Klimawandel geht alle an, auch jene, die das nicht wahrhaben wollen.

Neuer Wind aus der Verhaltensökonomie

Seit die Verhaltensökonomie neue, vormals ignorierte Kriterien zu den alten Erfolgsfaktoren lehrt und dafür weltweit ausgezeichnet wird, sind die notwendigen Kursänderungen bekannt. Damit ist auch klar, dass – wer die Gesellschaft nur als gigantischen Markt begreift – mitverantwortlich ist dafür, dass dort Gezänk, weltfremde Meinungen und Fake-News überhandnehmen. Da stehen wir heute. Es droht dem öffentlichen Raum, dass er immer mehr zum Markt von Likes, Klicks, ungehobelten Meinungs-Tweets verkommt. Die Reaktion vieler Menschen auf diese vermeintlich ausweglose Entwicklung: Zuwendung zum starken Mann, der radikale Änderung und sichere Problemlösung verspricht.

Das Missverständnis Trump

Nicht alle wissen, was damit gemeint ist. Dass das „System“ Trump überhaupt an die Mach gespült wurde, ist der Höhepunkt einer fatalen, demokratieverachtenden Entwicklung in einer Serie von Nationen – vor allem auch dort, wo egoistische Autokraten die Attribute einer friedensstärkenden Politik verächtlich ignorieren. Wer sich jetzt fragt, wie das möglich sei – siehe oben. Dieser Trend muss für ein Alarmzeichen gehalten werden. Damit kommt zum Abschluss, was über die Jahrzehnte unter der Oberfläche gebrodelt hat. Der neoliberale Markt hat den Menschen vergessen. Die neoliberale Politik ist dem Spuk aufgesessen.

Die Zeit für Rückbesinnung ist gekommen. Die nächste Gesellschaft wird wieder zur Besinnung kommen. Anzeichen dafür sind vorhanden. Wenn sich die Jugend verstärkt den grossen Problemen und Aufgaben zuwendet, wird sich dieser Druck in Regierungsbeschlüssen und Geschäftsleitungs-Dekreten bemerkbar machen. Offensichtlich geht Demokratie nach wie vor von unten nach oben, System Grassroot. Nicht umgekehrt.

Politische Parteien, die diese Entwicklung ignorieren, werden gewaltig an Einfluss und Kompetenz verlieren. CEOs, welche die Gebote der Nachhaltigkeit verdrängen, werden dies mit katastrophalen Umsatz- und Gewinneinbrüchen zu bezahlen haben. „Kommt Zeit, kommt Rat“ – für einmal wird er zu spät kommen.    

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Aber Sie wissen sicher auch, dass der Begriff "Nachhaltigkeit" heute für alles und jedes missbraucht wird. Vor allem werden die ökologischen Interessen systematisch von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen übertrumpft.

Ich muss leider zustimmen und weise nochmals auf Rana Foroohar: How Wall Street Destroyed Main Street (2016) hin, welches nachweist, wie Regulierung, Politik und Revolving Doors zwischen Top-Finanzfirmen und Top-Regierungsjobs seit den früher 80er Jahren in der bei weitem stärksten Volkswirtschaft, den USA, zu einer regelrechten Pervertierung des Kapitalismus geführt hat, mit Ausläufern in Europa, namentlich im Finanzsektor, der von Zentralbanken und tolerierten Schatten-Finanzinstitutionen über Gebühr aufgeblasen worden ist.
Wie schon zu F. Derendingers Artikel angemerkt, gibt's m.E. keine Alternative zur Marktwirtschaft, nur unterschiedliche Spielarten der Beziehung Staat - Privatwirtschaft; wenn man das System zugunsten von wenigen (=unfair) ausgestaltet wie in den USA oder sich um Regeln futiert wie in Ländern mit korrupten Regierungen(+Grossfirmen), kann nicht erstaunen, dass Politik und Wirtschaft Glaubwürdigkeit verlieren. Ich bin überzeugt, dass nicht der Liberalismus als solcher das Übel ist, sondern welche Regeln und Politiken angewandt werden und ob sie durchgesetzt werden. Wenn keine Alternative zu einem zunehmend als ungerecht empfundenen System in Sicht ist, wächst halt die Gefahr, dass viele marktschreierischen Heilsbringern nachrennen.

Herzlichen Dank für diesen Artikel, Herr Zollinger. Ich kann da fast jedes Wort unterschreiben und ich fände es auch enorm wichtig, viel mehr solche Einordnungen zu lesen, die dem Tanz um das Goldene Kalb gewidmet sind und die versuchen, unserer geldgetriebenen Gesellschaft wieder vor Augen zu führen, dass das Geld eben nicht der Zweck des Lebens, sondern ein Mittel zum Zweck des Lebens ist.

Wenn man nur mal diese hohlen Leitsätze der Marktgläubigen auf ihre Richtigkeit prüft, dann sieht man sofort, dass der allmächtige Markt eben nur ganz wenige Dinge regelt und dass Steuersenkungen oder auch Erhöhungen nur sehr wenig Einfluss auf das Wachstum oder Bruttosozialprodukt haben.

Vielmehr führt diese Marktgläubigkeit dazu, dass inzwischen an alles und jedes ein Preisschild geklebt wird und dass wir selbst zwischenmenschliche Beziehungen zu beziffern versuchen und nach deren finanziellem Nutzen taxieren. Lohnt sich diese OP noch für einen ganz normalen Arbeiter, oder bekommt sie nur noch der, der sie selber bezahlen kann und ähnliches, werden schon bald die Fragen sein, die uns umtreiben. Das Unmenschliche an unserem kapitalistischen System ist es doch, dass es alle Mensch als grundsätzliche Egoisten betrachtet und daher genau die Menschen bevorzugt, die reine Egoisten sind, während es die benachteiligt, die eher in sozialen Kategorien denken.

Früher hiess das Gegenmodel zum Kommunismus ja auch noch «Soziale Marktwirtschaft» und es ist bezeichnend für unsere Zeit, dass in den knapp 30 Jahren des Siegesrausches des Raubtier-Kapitalismus, wie ihn Jean Ziegler gerne bezeichnet, das Wort «Sozial» klammheimlich wegfiel und wir inzwischen an einem Punkt angekommen sind, wo unsere Gesellschaft, durch das Streben nach Kapital, derart pervertiert wurde, dass es für uns selbstverständlich ist, dass jemand der unseren schnöden Mammon hütet, ein zigfaches von dem «verdient», was derjenige erhält, der das Wertvollste hütet, was ein Mensch hervorbringt; - Seine Kinder nämlich!

Wer nicht rechtzeitig vorbeugt, der muß später nachbeugen.

Ja, ja, ja! Ihre Analyse über den heutigen Zustand der westeuropäischen Welt, welcher primär durch die (super-reichen) Ideologen der neo-liberalismus Religion zustande kam, ist leider sehr zutreffend. Befördert wurde diese Entwicklung auch durch viele Menschen, welche den Rattenfängern nachliefen, in der falschen Hoffnung, von der Globalisierung und der wirtschaftlichen Macht der Gross-Konzerne profitieren zu können. Die Realität zeigt, dass dem nicht so ist und z.B. in den USA gerade die Mittelschicht unter die Räder gekommen ist. Leider hat diese nichts gelernt und läuft nun dem nächsten Rattenfänger nach. Kürzlich zeigte ein Bericht in der NZZ, dass Schweizer Unternehmen viele hunderte von Millionen in umliegenden EU-Ländern investieren. Was sagen die EU-Gegner dazu? Das sind alles Investitionen und Arbeitsaufträge, die den Schweizer KMU's verloren gingen. Und damit auch der arbeitenden Bevölkerung in der Schweiz.
Erfreulich und Mut-machend ist das Erwachen junger Menschen in Sachen Bewahrung der Schöpfung. Hoffentlich unterstützen deren Eltern und Paten diese Jugendlichen. Immerhin geht es um deren lebenswerte Zukunft.

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