Wer soll noch SP wählen

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Wer soll noch SP wählen

Von Jürg Schoch, 02.11.2010

Den Kapitalismus überwinden. Die Armee abschaffen. Der EU beitreten. Es herrschte Aufbruchstimmung am Parteitag der SP Schweiz in Lausanne. Was sie inszenierte, war ein Aufbruch zu neuen und alten Ufern. Fragt sich nur, ob ihr auf dem neu-alten Programmpfad überhaupt jemand folgen wird.

Wer sich nicht zu den Jusos, der Alt-Orthodoxie oder zum Klerus der Partei zählt, versteht die linke Welt nicht mehr. In den vergangenen Jahren hat die SP praktisch bei allen kantonalen Wahlen verloren – mal wenig, meist deutlich. Die realen Verhältnisse bewegten sich rascher, als die linken Politiker und Politikerinnen auf die Veränderungen reagieren konnten. Eingeholt bzw. überholt von den Ereignissen, standen sie oft neben den Schuhen.

Vom SVP-Virus befallen

Dass Sozialdemokraten Werte, Grundhaltungen oder Prinzipien wie Gerechtigkeit, Solidarität, Chancengleichheit hochhalten, spricht für sie. Doch Politik erschöpft sich nicht darin, mit wehenden den Durchmarsch zu proben. Politik, die den (benachteiligten) Menschen etwas bringen soll, ist Arbeit im Unterholz, ist die mühsame Suche nach Mehrheiten und Kompromissen. Dieser Arbeit scheinen die Sozialdemokraten überdrüssig. Man konnte es in der unlängst zu Ende gegangenen Herbstsession verfolgen:

  • Der 11. AHV-Revision, die einen Schritt hin zur finanziellen Abfederung von Frührentnern gebracht hätte, zeigte die SP die kalte Schulter.

  • Das Mietrecht, das die Stellung der Mieter gestärkt hätte, wurde dank welscher SP-Unterstützung ebenfalls bachab geschickt.

  • Vergleichsweise harmlose Massnahmen zur Senkung der Gesundheitskosten wurden mit Hilfe der SP ebenfalls versenkt.

Auffallend bei diesen Versenkungen war, dass die SP ausgerechnet mit der SVP zusammenspannte. Die beiden ungleichen Akteure legten sich, zwar Rücken an Rücken, ins gleiche Bett und posaunten ihre Dogmen in die Welt hinaus. Bei der AHV-Vorlage etwa tönte es nach links: „Mehr Geld für die Frührentner“, und nach rechts: „Sparen und nur Sparen“. Es macht den Anschein, dass sich der SVP-Virus mittlerweile auf die SP übertragen hat: Man will alles oder nichts!

Derselbe Dogmatismus manifestiert sich bei den Parolen zu den Ausschaffungsvorlagen, über die am 28. November abgestimmt wird. Die SP weiss, dass die SVP-Initiative, obwohl völkerrechtswidrig und schludrig formuliert, grosse Chancen hat. Und sie weiss, dass ihr nur mit dem gemässigteren Gegenvorschlag, für den auch ihre neue Bundesrätin Sommaruga eintritt, Paroli geboten werden kann. Und dennoch sagt sie nein, weil dieser Gegenvorschlag dem Gedankengut der Partei angeblich nicht entspricht. Das ist ein gefährliches Spiel.

Den Kapitalismus überwinden – aber wie?

Doch die SP Schweiz, über den tagespolitischen Dingen schwebend, hat noch weit Höheres im Sinn. Sie will die Armee abschaffen. Man begreift nicht recht, weshalb sie gerade diese Front eröffnet. Wie die gesellschaftliche Entwicklung die einst dominante Stellung der Kirche auf ein vernünftiges Mass reduzierte, so reduziert sich heute die Armee fast von selbst. Sicherheitspolitik ist damit nicht passé. Schreibt die SP die Armee aber generell ab, wird sie in den sicherheitspolitischen Debatten an Gewicht verlieren.

Die zweite Kirsche, die die Partei pflücken möchte, hängt noch höher: die Überwindung des Kapitalismus. Da ist man nun wirklich gespannt, wie sie die Leiter in den Baum stellen wird. In der Finanz- und Bankenkrise, die noch lange nicht ausgestanden ist, hat der Kapitalismus seine Schwächen allen überdeutlich offenbart. Wie verhielt sich die SP Schweiz in dieser Phase? Was hatte sie zu bieten? Sie war, sehr verständlich, empört. Sie protestierte. Sie surfte (auch hier: wie die SVP) auf den Wellen, die Thomas Minders Abzockerinitiaitve warf. Sie widersetzte sich dem UBS-Vertrag mit den Vereinigten Staaten. Aber hat jemand etwas von einem eigenen und kohärenten Gegenkonzept gehört? In den 80er Jahren hatte sie mit der Banken-Initiative ein solches Konzept präsentiert – und war massiv abgestraft worden. Heute, da vielen die Augen geöffnet sind, steht sie mit leeren Händen da. Die von den Jusos lancierte „l zu 12“-Initiative (ein Manager soll nicht mehr als 12mal mehr verdienen als die unterste Charge) kann wohl kaum als ernsthafte Gegenposition in Betracht fallen.

Natürlich hat Parteipräsident Christian Levrat recht, wenn er die extrem ungleiche Verteilung der Vermögen in unserem Land anprangert. Mit einer eidgenössischen Erbschaftssteuer könnte dieser Zustand zumindest korrigiert werden. Nur, es ist die Evangelische Volkspartei, die eine solche Initiative im Köcher hat. Abgesehen davon müsste der SP zur Überwindung des Kapitalismus noch einiges mehr einfallen.

Die Sozialdemokraten haben nun ihr neues Programm mit Utopien, Dogmen, Verheissungen. Vielleicht brauchen sie das. Aber die Schweiz braucht auch sie. Diese Partei ist zu wichtig im innenpolitischen Gefüge, als dass sie sich mit dogmatischen Eskapaden selber aus dem Spiel nimmt. Deshalb sollte sie wieder ein paar Sprossen herunter steigen - auf den Boden der Realität. Sonst muss man sich wirklich fragen: Wer soll noch SP wählen?

Lieber Jürg Schoch, nun drischst Du also auch noch aus linksfreisinniger Warte auf die SP ein. Und auch Dein Rat an die Genossen lautet: Drängt doch auch noch in die (langweilige) 0815-Mitte. In jenes 30prozentige Minderheitenprogramm nota bene, in dem sich schon jede Menge kaum von einander unterscheidbare Politiker der Grünliberalen, der BDP der FDP und der CVP tummeln – nebst zugehöriger einheitlich-eintöniger Kommentatoren und Experten. Diese lassen einem nicht nur das Gesicht einschlafen. Sie kennen meist nicht mal den Unterschied zwischen Markt und Kapitalismus. Und sind darum zu Tode erschrocken, wenn eine Partei letzteren (der weltweit gerade 5000 Milliarden hart erarbeiteter Franken vernichtet hat) überwinden will. Fürchtet Euch nicht, liebe Kollegen. Denn siehe da: Migros, Coop und die Mobiliar Versicherung (zum Beispiel) sind zwar im Markt erfolgreich. Den Kapitalismus müssen sie jedoch gar nicht mehr überwinden: Sie waren von Anfang an anders organisiert. Und das hat gar nichts mit "dogmatischen Eskapaden" zu tun. Sondern mit dem "Boden der Realität". Und auf diesem Boden zahlt die Mobiliar jetzt gerade 100 Millionen aus. Aber nein, nicht an Abzocker in den Chefetagen oder an Coupon-Schneider auf der faulen Haut wie Ihr es in Eurem Gott-gewollten oder naturgesetzlich verinnerlichten Kapitalismus dumpf akzeptiert habt – und immer wieder wohlwollend kpmmentiert: Sondern an ihre Versicherten und Genossenschafter. Gell, da staunts Ihr mal nicht schlecht, was uns mit der "Überwindung" blühen könnte. Und wie Jürgs "Kirschen" jetzt schon ohne jede Leiter (Suva-Warnungen beachten!) via Postkonto von der erschreckend unkapitalistischen Mobiliar breit verteilt werden Und was die "kantonalen Wahlen" angehen: Die JurassierInnen haben gerade gezeigt, was von derlei Unkenrufen zu halten ist. Und die: Die "sind doch nicht blöd"!
Die Armee abschaffen? Da ist die SP nur konsequent: Jene traurige aber teure Angriffs- und Besatzungs-Truppe nämlich, welche sich die eher marginale "SP Militar" (Bodenmann) in den letzten Jahren in dicken Papieren am Schreibtisch zurechtgebastelt hat, will sicher kein vernünftiger Linker. Darum haben die SP-Delegierten in Lausanne diesem Unfug, den SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey schon gegen Piraten vor Afrika in See stechen lassen wollte, laut und deutlich befohlen: "Ruhn, abtreten!"

In dem Sinne beste Grüsse! Niklaus

Sehr geehrter Herr Schoch

Zustimmung zu Ihrem Artikel.

Die abgehobenen Spiele einiger Fantasten bringen sowohl eine Partei in Verruf als sie auch verhindern, in entscheidenden Fragen Einfluss zu nehmen, indem man sich hinter der eigenen Ideologie verschanzt, ohne wirkliche Alternativen aufzuzeigen (siehe Ausschaffungsinitiative).

Ich bin erfreut über das Parteiprogramm der SP. Das ewige pragmatische Lavieren mit den Bürgerlichen schreckt die Jungen ab, sich mit SP-Politik zu befassen. Die SVP mit ihren ressentimentgeladenen Parolen hat sowieso zur Zeit "Erfolg", und wenn nicht, dann badet sie in der Opferrolle. Dass mit ihren sogenannten "Erfolgen" keine Lösungen zustande kommen, wird die Zukunft deutlich zeigen. Die Erpressung der Classe politique durch die SVP zu Gegenvorschlägen, welche dann von der SVP- Propaganda erneut mit höhnischen Kommentaren eingedeckt werden, ist nur noch mehr Wasser auf die Mühle der Rassisten. Levrat, kürzlich im Rendez-Vous am Mittag von Radio DRS mit Susanne Brunner im Gespräch, hat sehr schön die Details des SP-Programms herausgearbeitet, durchaus mit Bodennähe.

Sie hassen eben das Erfolgsmodell Schweiz rufen aber immer öfter nach mehr Staat. Seit ihre Mutter, die Sowietunion gestorben ist, orientieren sie sich wieder eher am ehemalig verhassten Vater USA Eigenständiges Denken und Handeln scheint ihnen fremd.Sozial verträglich sind ihre Programme schon lange nicht mehr und der Schaden für unser Land kann nur eingeschränkt werden wenn die Menschen ihre neues Spagatverhalten hinterfragen. Cüplisozialismus gepaart mit unendlicher Marienverehrung ( nicht einmal die kath.Kirche kann mehr mithalten ) führen zu geistigen Unruhen im Land und bedrohen den sozialen Frieden. Sozialismus wie er früher gedacht war und heute wichtiger den je wäre fehlt fast ganz. Ausgerechnet sie die Revolutionäre wollen uns entwaffnen!

Die eingesessene SP-Führung ist schon so pragmatisiert worden, dass die ursprünglichen Ziele total aus den Augen verloren wurden, in voreilendem Kompromis-ismus wird den bürgerlichen Parteien eine Politik geboten die von deren eigener nur noch knapp zu unterscheiden ist.

Ich bin sehr erfreut über das neue SP-Parteiprogramm, endlich zieht sich die SP wieder aus dem Einheitsbrei und differenziert sich klar von den Mitte- und Rechtsparteien. Die Linke muss aufhören für Kompromisse zu kämpfen. Kämpfen tut man für seinen Idealismus! Kompromisse werden eingegangen wenn die ursprünglichen Ziele nicht erreicht werden.

Ich kenne viele junge Menschen die sich über diese Entwicklung freuen, es wird Zeit, dass die SP etwas frischen Wind in die Segel bekommt.

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