Besetzte Gebiete sind "nicht besetzte Gebiete"

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Besetzte Gebiete sind "nicht besetzte Gebiete"

Von Peter Philipp, 10.07.2012

Eine israelische Kommission empfiehlt der Regierung Netanyahu, das seit 1967 besetzte Westjordanland als "nicht besetztes Gebiet" zu interpretieren. Diese Lesart widerspricht der völkerrechtlichen Auffassung aller anderen Staaten und ist selbst in Israel stark umstritten.

Man sollte eigentlich meinen, dass es 55 Jahre nach der Eroberung der Palästinensergebiete auf der Westbank und im Gazastreifens durch israelische Truppen höchste Zeit ist, den völkerrechtlichen Status dieser Gebiete endlich einmal verbindlich zu definieren und seine politischen und rechtlichen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Wie reagiert Natanyahu auf die Levy-Empfehlungen?

Eine Untersuchungskommission unter Leitung des ehemaligen Richters Edmond Levy hat jetzt der Regierung Netanyahu die Empfehlungen einer längeren Untersuchung vorgelegt und wenn die Regierung bisher auch noch nicht darauf reagiert hat, so hätte die von ihr eingesetzte Levy-Kommission kaum vorteilhafter für sie befinden können: Die 1967 eroberten Palästinensergebiete westlich des Jordan seien „nicht besetzte Gebiete“. Zumindest nicht in völkerrechtlichem Sinn.

Sollte Benjamin Netanyahu sich diese – ihm natürlich äusserst genehme – Interpretation zu eigen machen, dann stehen der Region erneut schwere Zeiten bevor, und dann dürften die ohnehin fast völlig geschwundenen Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses endgültig abgeschrieben werden. Denn eine der Grundvoraussetzungen eines Friedens wird durch diese juristische Interpretation nachhaltig torpediert.

Gegen die Zweistaaten-Theorie

Die Zweistaaten-Theorie scheitert dann daran, dass Israel seinen Besitzanspruch auf das gesamte Gebiet westlich des Jordan – das historische Palästina – mit solch einer juristischen Formel untermauert.

Die Kommission befindet nämlich (in ihrer Denkweise folgerichtig), dass Israelis oder Juden das Recht haben, sich überall in diesen Gebieten niederzulassen. Ein Recht, das diametral entgegengesetzt ist dem Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat – so, wie er von der internationalen Gemeinschaft schon längst zum festen Bestandteil der sogenannten „Road Map“ für einen Nahostfrieden gemacht worden ist.

Andere Lesarten auch in Israel

Nicht immer haben israelische Juristen die Lage so beurteilt. Selbst das Oberste Gericht hat immer wieder Entscheidungen gegen den Bau neuer Siedlungen oder die Enteignung von palästinensischem Eigentum gefällt. Und es war die ultranationalistische Regierung Ariel Sharons, die den Begriff der „illegalen Siedlungen“ und „illegalen Siedlungsposten“ erfand. Nur was die Regierung beschlossen und abgesegnet hatte, sollte „legal“ sein, alles andere nicht.

Meist war das nur Augenwischerei. Vor allem, um in Washington den Eindruck zu erwecken, Jerusalem handle ja doch nach Recht und Gesetz. Kein Wort davon, dass es das eigene und nicht das international gültige Recht und Gesetz war. So basiert die Annektierung Ostjerusalems oder der syrischen Golan-Höhen auf einem vom israelischen Parlament verabschiedeten Gesetz, obwohl das Völkerrecht (besonders die Vierte Genfer Konvention) klarstellt, dass ein Besatzer nichts am Status von besetzten Gebieten ändern darf.

"Befreite Gebiete" für Ultranationalisten

Schon früh aber entwickelte Jerusalem die von eigenen Juristen abgesegnete Theorie, die Vierte Genfer Konvention sei auf die im Sechstagekrieg eroberten Gebiete nicht anwendbar und wenn Israel trotzdem Teile dieser Konvention beachte, dann freiwillig und als Geste des guten Willens. Die Begründung: Diese Gebiete haben vor und zur Zeit des Sechstagekrieges keinem souveränen Staat gehört und nur wenn sie einen solchen weggenommen worden wären, wäre die völkerrechtliche Voraussetzung für den Status der „Besatzung“ gegeben.

Ultranationalisten begannen damals in Israel, von den „befreiten“ Gebieten zu sprechen, so weit mochten aber selbst nationalistische Regierungen nicht gehen. Die „Westbank“ aber wurde schon früh in „Judäa und Samaria“ umbenannt – wie diese Gegend zu biblischen Zeiten hiess. Und keine israelische Regierung liess Zweifel daran aufkommen, dass man je bereit sein würde, diese Gebiete wieder zu verlassen.

Taten und Worte

Ganz besonders die Regierung Netanyahu tat bisher alles, um eine Aufgabe der Westbank zu verhindern. Sie nahm sogar in Kauf, mit der Ablehnung eines Siedlungsstopps die zaghaften Verhandlungen mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas zu sabotieren. Verbal versichert Netanyahu zwar immer seine Friedensbereitschaft, aber seine Taten sprechen eine andere Sprache. Macht er nun die Empfehlungen der Levy-Kommission offiziell zu seiner Maxime, dann vereint er Worte und Taten. Dass er die Empfehlungen ablehnen könnte, dafür sind die Aussichten aber mehr als gering.

Sehr geehrter Herr Büchi

Die Genfer Konvention dient in erster Linie dem Schutz der Zivilbevölkerung, der ausser Kraft gesetzten Kämpfern und der Verletzten. Dazu gehört auch die Respektierung der Eigentumsrechte dieser Menschen. Wenn Israel die Konvention einhält, obwohl es sich 'nur' um umstrittene, nicht aber um "besetzte" Gebiete handelt, dann ist das für ein Land, das nicht oft genug wiederholen kann, wie demokratisch und rechtsstaatlich es ist, nichts als selbstverständlich.

Goodwill gibt es auch auf der anderen Seite. Die PLO ist schon vor über 20 Jahren von ihrer Maximalforderung abgekommen. Und die Arabische Liga hat sich auch bewegt (siehe Arabische Friedensinitiative, z. B. auf www.bpb.de)

Wenn Israelische Politiker diese Friedensinitiative mit Hinweis auf die Flüchtlingsfrage verwerfen, kann ich dies aus demographischen Gründen nachvollziehen. Ich kann es aber nicht akzeptieren, dass das Schicksal der arabischen Flüchtlinge mit jenem der jüdischen aufgerechnet wird (siehe dazu den offenen Brief von Nachkommen jüdischer Flüchtlinge an die Heinrich Böll-Stiftung: schmok.blogsport.eu/2011/01/12/offener-brief-an-die-heinrich-boll-stiftung/

Herr Büchi, nur eine kleine Korrektur: Die Geschichte der "Heimstätte für die Juden" beginnt weit vor der Balfour-Deklaraton in 1917. Sie begann mit der Dreyfus-Affaire, die Theodor Herzl bewog, den politischen Zionismus zu begründen.

Viele Politiker und Journalisten täten gut daran, erst einmal diverse Rechte des jüdischen Staats zu studieren. Die Geschichte der "Heimstätte für die Juden" beginnt mit der Balfour Deklaration 1917, die anlässlich der Konferenz von San Remo 1920 auf eine internationale rechtliche Basis gestellt wurde. 1922 folgte das Palästinamandat des Völkerbundes, alles heute noch gültige Rechte, geschützt durch Art. 80 der UN-Charta. Nach Abtrennung von 77% des Mandatgebiets durch die Engländer zur Schaffung "Transjordaniens" (ein "Palästinenserstaat!") wurde der Jordan zur Ostgrenze des den Juden versprochenen Gebiets. Das ist keine "historische Formel" sondern RECHT! Daran änderte auch der Teilungsvorschlag der UN-Generalversammlung von 1947 nichts, da dieser von den Arabern abgelehnt wurde. Nach der Staatsgründung marschierten die Armeen von 5 arabischen Ländern gegen Israel, um es zu vernichten. Dieser Angriffskrieg der Araber trägt auch die Schuld an den Flüchtlingsbewegungen der Palästinenser (sowie an der Vertreibung von 800,000 Juden aus arabischen Ländern). Obwohl Israel aus dem Krieg 1948-49 als Sieger hervorging, musste es die Besetzung Judäas und Samarias (heutiges Westjordanland) sowie Ostjerusalems durch Jordanien hinnehmen. Diese Gebiete wurden judenfrei gemacht. 1967 eroberte Israel sein 1949 verlorenes Territorium zurück. Die Genfer Konvention findet deshalb keine Anwendung, weil jene Gebiete vor 1949 auch von Juden bewohnt waren. Zudem sehen San Remo/Völkerbunds-Mandat klar vor, dass Juden Palästina bis zum Jordan besiedeln dürfen. Der Autor vergisst die Resolution 242, die Direktverhandlungen über neue gemeinsame und anerkannte sowie sichere Grenzen vorsieht. Sind diese klar, wird sich Israel sich auf diese zurückziehen, aber nicht vorher. Res.242 verbietet Siedlungen nicht. Eingeflochten sei hier, dass es rechtlich keine "Grenzen von 1967" gibt. Mit einem Friedensvertrag müsste Abbas allerdings Israel anerkennen, was er ablehnt und damit jeden Friedensprozess torpediert. Sein Ziel ist nicht Frieden, sehen doch die Charta von Hamas und Fatah die Auslöschung Israels vor, woraus auch sonst kein Geheimnis gemacht wird. Es ist Sache Israels, ob und wieviel Land es für einen Palästinenserstaat abtritt. Die Palästinenser haben nicht einfach "ein Recht" darauf. Die Internat. Gemeinschaft sollte sich mit ihren politisch verfärbten, oft rein antiisraelischen Motiven nicht einmischen. Ostjerusalem gehört nach internat. Recht zu Israel. Die Namen "Westbank" oder "Westjordanland" (statt Judäa/Samaria) sind übrigens moderne Erfindungen, entstanden nach der Besetzung durch Jordanien. Neben all den Punkten erstaunt, wie einmal mehr die permanente Bedrohung seitens der islamischen Kräfte, deren Raketen, Attentate, Terror, Hetze gegen Israel etc. ausgeblendet werden. Absicht?

Man denke als Analogie: Die Schweiz annektiert Balzers (FL), und eine "Rechtskommission" des Bundesrates meldet der Regierung und dem Fürsten von und zu Liechtensetin nach Vaduz, das sei eindeutig rechtens, weil der Rhein nur wegen einer zufälligen Laune der Natur einen Bogen nach Nordwest um den Fläscherberg herum macht ...
Zugegeben - der Tragik der Palästinenser im Westjordanland bei weitem nicht angemessen. Aber vielleicht trotzdem illustrativ.

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