"Geld ist für mich eine Art Rohstoff, wie für den Schreiner das Holz"

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"Geld ist für mich eine Art Rohstoff, wie für den Schreiner das Holz"

Von André Pfenninger, 19.07.2012

Zwei Tage vor seinem 87. Geburtstag fand am vergangenen Dienstag im Berner Münster die Trauerfeier für Charles von Graffenried statt. Er war Herausgeber der Berner Zeitung BZ und des Bund. Und eine einflussreiche Persönlichkeit in der bernischen Wirtschaft und Finanzwelt.

Charles von Graffenrierf betrachtete sein Tätigkeitsgebiet wie eine Art Bühne. Wenn er am Montagmorgen bis Freitagabend im dunklen Anzug auftrete, so sei das wie wenn ein Schauspieler vor sein Publikum trete, so schilderte er einmal seine Arbeitswelt. Mit dem gleich hohen Respekt wie der Schauspieler „spielte“ er seine Rolle. „Fac recte – neminem time“, „Tue Recht und scheue Niemanden“, so lautet der Spruch im Familienwappen der von Graffenried.

Ruhestand war nie seine Sache

Für Charles war der Spruch Leitmotiv. „Er bedeutet für uns Unabhängigkeit, Übernahme von Verantwortung für die übertragenen Aufgaben und Offenheit mit den Mitmenschen“, so interpretierte er die Wappen-Botschaft. Er war eine markante, beeindruckende Persönlichkeit. Anwalt, Notar, Verleger, Bankgründer um nur die dominantesten Funktionen zu nennen. Bis vor wenigen Wochen war er im Einsatz.

Ruhestand war nie seine Sache. „Jahrgänge weiss ich nicht und zähle sie nicht. Geburtstage brauchen nicht stattzufinden“, so umschrieb er die Philosophie seines Aktivismus. „Ich höre auf wenn man mir das sagt, wenn ich spüre, dass die Luft raus geht, wenn es mir verleidet und nicht mehr Spass macht oder wenn ich verblöde“, hat er immer wieder erklärt. „Ich sehe mich nicht mit einer Einkaufstasche in die Stadt gehen, um Kommissionen zu machen“, meinte er einmal schalkhaft. Ein Krebsleiden hat ihn nun gestoppt, nur wenige Tage vor seinem 87. Geburtstag.

Viele Facetten

Sein Auftreten, seine Präsenz blieben nie unbemerkt obwohl er wie kaum einer typisch bernische Bescheidenheit verkörperte. Freundlichkeit und Höflichkeit haben stets seinen persönlichen Stil geprägt, zugleich auch eine gewisse Distanziertheit markiert. Manche sahen und empfanden ihn als unnahbar. Charles von Graffenried konnte sich aber auch durchaus jovial geben, unkompliziert und mit ausgeprägtem Sinn für Humor. Eine gewisse Geselligkeit konnte ihm nicht abgesprochen werden. Für Freunde war er schlicht und einfach „Charly“. Stammtische blieben ihm allerdings fremd. Er hatte auch Schwächen: die Dessert-Buffets...

Das GR-Imperium

Von Graffenried war in erster Linie Geschäftsmann. Weitsichtig, extrem intelligent, raffiniert, zielstrebig und ehrgeizig. In jeder Hinsicht facettenreich. Als ehemaliger Kommandant einer Panzereinheit, Oberst im Generalstab, wusste er stets was er wollte und sein strategisches Denken war in allen seinen Projekten und Verwirklichungen massgebend. Er wurde immer wieder als ein Mann des Geldes bezeichnet. Eine im bernischen Journalismus einst führende Persönlichkeit, die von Graffenried bestens und aus nächster Nähe kannte, sagte mir einmal, „von Graffenried kennt nur ein Wort, ein einsilbiges: Geld“.

Das war sicher eine etwas zu sehr zugespitzte Aussage. Den Finanzen war er aber uneingeschränkt zugetan. Seine Beziehung zum Geld liess sich jedoch kaum eindeutig definieren. Wie weit hier eine emotionale Bindung bestand, bleibt mysteriös. Er selber sah sich eher losgelöst von materiellem Wert. „Geld ist für mich eine Art Rohstoff, sowie für den Schreiner das Holz“, sagte er mir einmal. Ein Rohstoff, den er meisterhaft zu bearbeiten verstand. Und ihm stets Mehrwert zu verleihen, gleich wie viel Späne „beim Hobeln“ durch die Luft flogen...

Die einzige Privatbank in Bern

Dass er sich schon früh mit dem Gedanken befasste, eine eigene Bank zu gründen, vermag kaum überraschen. Die Idee wurde in die Tat umgesetzt. Die Bank von Graffenried ist heute die einzige Privatbank auf dem Platze Bern. Der Erfolg blieb nicht aus. Die Bank ist eine der tragenden Säulen des Imperiums, das von Grafenried im Laufe der Jahre lückenlos auf- und ausbaute. Liegenschaften, Treuhand und Recht sind die übrigen Geschäftsbereiche überschrieben. Die ganze Gruppe versteht sich als „Dienstleistungsunternehmen für das Vermögen“. Keine einzige Nische wurde übergangen. Die Buchstaben „GR“ wurden zum Label, zum Markenzeichen für höchste Kompetenz. Ausgangspunkt und Grundlage für dieses vielschichtige, weitverzweigte und vernetzte Geschäft ist die bescheidene Anwalts- und Notariatskanzlei des Vaters.

Zum Vermögen gehören Immobilien. Sie hatten bei von Graffenried einen besonderen Stellenwert erhalten. Bauen und Sanieren haben zur Stärkung der finanziellen Grundlage der Gruppe von Anfang an wesentlich beigetragen. Spezialisiert ist man bei der GR-Gruppe u.a. auf stilgerechte Umbauten. Dem denkmalschützerischen Aspekt wird jeweils höchste Beachtung geschenkt. Davon zeugen die mit viel Sorgfalt und eben auch viel Geld erneuerten und umgebauten historischen Gebäude, die zum Besitztum von Graffenried zählen: der sogenannte Holländerturm am Berner Waisenhausplatz, die Staldenwache an der Gerechtigkeitsgasse in Bern und schliesslich das Neuschloss Worb, das heute als zweiter Wohnsitz der Familie dient – neben dem Haus an der vornehmen Berner Junkerngasse. Charles von Graffenried war also auch stolzer Schlossherr.

"Notabeln, Patrizier, Bürger"

Die Geschichte dieser drei Liegenschaften wurde, reich bebildert, in Buchform herausgegeben. Und der Abschluss dieser originellen Reihe bildete zu Beginn dieses Jahres die Saga von Graffenried, ein Portrait der Familie von ihren Anfängen im Spätmittelalter bis heute. Dies unter dem Titel „Notabeln Patrizier Bürger“. Hier widerspiegelt sich das Geschichtsbewusstsein des Charles von Graffenried, die tief wurzelnde Verflechtung mit dem Patriziertum. Viele Familienmitglieder haben während Jahrhunderten die Geschicke Berns auf verschiedene Arten, sei es im Militär, im Staatsdienst usw. nachhaltig mitgeprägt.

Der Weg zu den Medien

Geld und Vermögen führten Charles von Graffenried zu Beginn der 70er Jahre zu den Medien. Vermutlich eher zufällig, so wie ein Nicolas Hayek zur Uhrenindustrie kam. Er wurde in den Verwaltungsrat der damaligen AG Berner Tagblatt berufen. Ein Mandat wie manch anderes. Hier öffnete sich von Graffenried eine neue Welt, in der er zum Verleger und Medienspezialisten heranwuchs und bald nationale und internationale Aufmerksamkeit erlangte. Es war die Zeit, in der sich die Zeiten in der Zeitungswelt zu verändern begannen.

So kam es auch bald zu einem Zusammenschluss zwischen den Landzeitungen aus Münsingen und Langnau sowie der Stadtzeitung Berner Tagblatt. Es entstand die Berner Zeitung BZ. Neben dem elitären Bund leitete die Berner Zeitung BZ eine neue Ära in der bernischen Medienlandschaft ein. Und Charles von Graffenried erwies sich als die treibende Kraft. Der Neuanfang durfte aus seiner Sicht auf keinen Fall ein Stillstand sein. Der Stratege erkannte die Zukunft. Auch die elektronischen Medien wurden einbezogen, Lokalradio und Lokalfernsehen. Der geniale Visionär wusste die Weichen zu stellen. Ein neues Imperium wurde aufgebaut, das weitgehend von Graffenrieds Handschrift erkennen lässt.

Kein "Bund"-Killer

Und als das Konkurrenzblatt Der Bund Schwächen zeigte, hatte von Graffenried sogleich ein Heilsrezept zur Hand: die sogenannte Berner-Lösung, das heisst, dem Bund unter dem BZ-Dach einen Platz einzuräumen. Enttäuscht musste er zur Kenntnis nehmen, dass die Bund-Besitzer jedoch einer Anlehnung an Ringier den Vorzug gaben. Als der Erfolg ausblieb nahm sich die NZZ des Blattes an. Ebenfalls nicht für sehr lange und ohne Ergebnis. Die Skepsis gegenüber der BZ blieb bestehen. Charles von Graffenried wurde verdächtigt, den Bund in der Berner Zeitung BZ untergehen zu lassen. Er betonte jedoch immer wieder, er wolle auf keinen Fall die Zeitung seiner Freunden und Bekannten aufgeben und als Bund-Killer in die bernische Mediengeschichte eingehen.

Ein kluger Taktiker

Wenige Jahre zuvor wäre die Berner Zeitung BZ bereits ungewollt im Zürcher Tages-Anzeiger Verlag gelandet. Ein Schock für Charles von Graffenried. Es waren nämlich damals die Partner und Freunde, die hinter seinem Rücken nach Zürich reisten und dem Tagi ihre BZ-Anteile anboten. „Wir fuhren in Zürich vor, um das Mädchen zu präsentieren“, schildert Peter Dällenbach, der Partner aus Münsingen und einer der wichtigsten Baumeister der Berner-Zeitung BZ. „Wir führen ihnen ein gesundes, wunderschönes Berner-Meitschi vor. Da spricht man bei uns im Emmental nicht über den Preis“, so habe er den Zürchern das Angebot schmackhaft gemacht, präzisiert Dällenbach.

Die Vertreter der Landzeitungen waren mit „Charly“ nicht mehr einverstanden und fühlten sich hintergangen. Sie sahen ihren Einfluss schwinden. “Wir wollten nicht noch mehr unter die Obhut von Charles von Graffenried kommen“, erklärte Dällenbach die Demarche der Landpartner. Für Charles von Graffenried begann ein hartes Ringen um die Macht. „Bleich war er, als er zur Verhandlungsrunde antrat“, erinnert sich der ehemalige Verleger aus Münsingen.

Von Graffenried erwies sich aber als kluger Taktiker und geschickter Diplomat, der wieder einmal eine anfangs aussichtslose Situation zu seinen Gunsten kehren und das Schlimmste vermeiden konnte. Es kam zu einer Einigung. Der Tages-Anzeiger begnügte sich schlussendlich mit einer 49prozentigen Finanzbeteiligung und die BZ blieb in Berner bzw. von Graffenrieds Hand. Es war dies im Februar 1990 und kostete ein paar Millionen. „Es ist nicht gleichgültig, wer eine Zeitung mehrheitlich kontrolliert“, hat der Verleger und Medienguru von Graffenried mehr als einmal festgehalten und für eine bernische Verwurzelung plädiert.

Eine Frage ohne Antwort

Doch nichts ist von Dauer, wie weiter oben aufgezeichnet worden ist. Zum Schluss darf noch auf die Frage hingewiesen werden, die der Kommunikationsberater Iwan Rickenbacher in einem Beitrag in der von Georges Bindschedler und Peter Ziegler im Berner Haupt-Verlag herausgegebenen Festschrift zum 75. Geburtstag von Charles von Graffenried antönt: “Die Frage stellt sich, ob Medienunternehmen und ihre Produkte wie Erbschaften zu behandeln sind, ob in einer vernetzten Welt und ihren Informationsflüssen lokal sichtbare und verankerte Verantwortung, letztlich in der Person eines Verlegers wie Charles von Grafenried repräsentiert, noch Sinn macht“. Eine Frage ohne Antwort.

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