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16. Februar 2021

Verantwortung und Fracksausen

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Verantwortung und Fracksausen

Von Gisbert Kuhn, 21.10.2013

Wie nicht anders zu erwarten, marschieren SPD und CDU/CSU in Richtung einer "Grossen Koalition". Aber Achtung: Stolpersteine!

Die Verhandlungen zur Bildung einer Grossen Koalition - es wäre die dritte in der deutschen Nachkriegsgeschichte - können beginnen. Ein so "Kleiner Parteitag" der Sozialdemokraten in Berlin hat der Parteiführung Grünes Licht dafür gegeben. Doch ob es am Ende tatsächlich ein schwarz-rotes Regierungsbündnis an der Spree geben wird, steht noch keineswegs fest. An der Genossen-Basis wird zum Widerstand geblasen.

Fast 86 Prozent der Delegierten haben sich am Sonntag dafür ausgesprochen, dass die SPD-Spitze formelle Verhandlungen mit den Führungen von CDU und CSU  und dem Ziel aufnimmt, eine gemeinsame – schwarz-rote – Regierungskoalition zu bilden. Vorangegangen waren zwei Sondierungsrunden, bei denen ausgelotet wurde, ob es überhaupt und, falls ja, welche politischen Übereinstimmungen gebe. Gleiches hatte auch zwischen der Union und den Grünen stattgefunden. Doch obwohl dabei, zur erkennbaren Überraschung auf beiden Seiten, gleich reihenweise über Jahre liebevoll gepflegte persönliche und politisch-inhaltliche Feindbilder in sich zusammen fielen, wagte man bei der einstigen Sonnenblumen-Partei den letzten Schritt doch nicht. Zum einen fürchtete man einen Aufstand bei der mehrheitlich links tickenden Gefolgschaft. Und zum anderen muss - gewiss eine richtige Überlegung - nach der Schlappe bei den Bundestagswahlen zunächst der personelle Neuanfang bewältigt und darüber hinaus der grundsätzliche Weg in die Zukunft gefunden werden.

Was heisst „Politikwechsel“?

SPD-Chef Sigmar Gabriel, unterstützt von der einflussreichen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin (und bislang erbitterten Grosse-Koalition-Gegnerin) Hannelore Kraft, haben am Sonntag vom Partei-Konvent vermutlich auch deshalb so viel Zustimmung für die Aufnahme von Verhandlungen bekommen, weil sie versprachen, der Union genügend Zugeständnisse abzuringen, damit es zu dem während des Wahlkampfs propagierten „Politikwechsel im Lande“ kommen werde. Dieser Begriff klingt nach Totalkorrektur vorheriger Irrwege, radikaler Richtungsänderung, Festlegung völlig neuer Schwerpunkte. Was also heisst „Politikwechsel“ im konkreten Fall?

Bevor wir ins Einzelne gehen, gilt es, zunächst einmal die Stimmung in der Bevölkerung – also beim Wählervolk – zu betrachten. Die SPD-Strategen hatten, gemeinsam mit den Grünen, einen Wechsel der Politik in der Bundesrepublik gefordert und, im Falle eines Wahlsiegs, auch versprochen. Das Ergebnis: Die Sozialdemokraten landeten bei etwa 26, die Grünen bei rund 8 Prozent. Hingegen fuhr die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer CDU/CSU einen Erfolg hart an der absoluten Mehrheit ein. Mit anderen Worten: Ein solcher Wahlausgang spricht ganz sicher nicht für eine hohe Unzufriedenheit der Menschen und den Wunsch nach grossen Änderungen. Aber wie passt in dieses Bild des weiten Auseinanderklaffens der über Monate festzustellende Sympathietrend bei den Bürgern für eine Grosse Koalition? Also für ein politisches Monster, dem die deutsche Öffentlichkeit in früheren Jahren ungefähr so viel Zuneigung entgegen brachte wie der Teufel dem Weihwasser?

Nicht unbedingt ein Gegensatz

Bei näherem Betrachten ist das nicht unbedingt ein Gegensatz. Denn natürlich gibt es genügend korrekturbedürftige Bereiche – nicht zuletzt auf dem sozialen Sektor. So empfinden es die meisten Bürger zu Recht als moralischen Skandal, dass in vielen Bereichen der Erlös von ehrlicher Arbeit nicht ausreicht zur Sicherung des Lebens. Oder sie sehen nicht ein, dass Frauen im Alter schlechter gestellt sind, nur weil sie ihre Kinder vor 1992 geboren haben. Insofern  entspricht natürlich das SPD-Verlangen nach einem gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen – und zwar unabhängig davon, ob ein undifferenziertes Umsetzen dieser Forderung nicht durchaus auch gravierende Nachteile mit sich bringen könnte.

Die Sozialdemokraten jedenfalls gehen am Mittwoch in die Gespräche mit einem Katalog von zehn „unverhandelbaren“ Forderungen. Das hört sich dramatischer an, als es sich am Ende wahrscheinlich erweisen wird. Denn in Wirklichkeit sind beide Lager auf den meisten Gebieten gar nicht so weit auseinander (was der CDU/CSU aus dem konservativen Lager ja schon seit längerem den Vorwurf eingetragen hat, immer „sozialdemokratischer“ zu werden). Das gilt, nicht zuletzt, für den Reizbegriff „Mindestlohn“. Die Hauptdifferenz liegt hier darin, dass die Union es für vernünftiger hält, sich nicht auf eine fixe Zahl für ganz Deutschland festzulegen, sondern das Aushandeln möglichst den Tarifpartnern zu überlassen und dabei regionale und wirtschaftliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Auch beim Thema Leiharbeit bestehen längst Brücken zwischen den Kontrahenten. Desgleichen im Zusammenhang mit Investitionen für Bildung und Infrastruktur im weitesten Sinne.

Das grosse Trauma

Wenn SPD-Chef Gabriel jetzt sagt, seine Partei werde die Verhandlungen mit der Union nicht als Show führen, sondern mit dem Ziel einer schwarz-roten Regierung am Ende, dann ist das absolut glaubhaft. Das Kernproblem bei den Genossen liegt freilich eher im psychologischen als im materiellen Bereich. Die Parteispitze ist ganz einfach hin- und hergerissen zwischen dem (bei der SPD traditionell ausgeprägten) Gefühl der Verantwortung für Staat, Land und Gesellschaft sowie der tief sitzenden Angst, nach einer erneuten, erfolgreichen gemeinsamen Regierungsarbeit von den Wählern vielleicht wieder nicht belohnt zu werden. Das traumatische Erlebnis von vor vier Jahren, als die Partei mit ihrem damaligen Spitzenmann Frank-Walter Steinmeier fast ins Bodenlose stürzte, sorgt heute noch für flatternde Hosen.

Deswegen wollen und müssen) die Genossen die Messlatte jetzt hoch anlegen. So hoch, dass – wie es heisst – jedermann die sozialdemokratische Handschrift auf den ersten Blick erkennt. Das glaubt man auch dem Fussvolk schuldig zu sein, das in weiten Teilen überhaupt nicht angetan ist von dem Gedanken an eine schwarz-rote Koalition in Berlin. Nicht Wenige werden mittlerweile auch von einer geradezu panischen Angst vor der Kanzlerin geplagt – immer wieder in Äusserungen erscheint Angela Merkel wie eine Art Dracula, der seine Umgebung als Helfer benutzt und anschliessend aussaugt. Einmal abgesehen davon, dass in solchen Darstellung ungewollt auch ein Stück Anerkennung mitschwingt – tatsächlich aber ist es lächerlich für eine so bedeutende Partei wie die SPD, derartig das eigene Selbstwertgefühl in den Schrank zu stellen.

Der Ton ist freundlich

Gehen wir also einmal davon aus, dass etwa um Weihnachten herum der Koalitionsvertrag zwischen Christ- und Sozialdemokraten unter Dach und Fach sein wird. Die Verhandlungen scheinen jedenfalls zu Beginn unter keinem schlechten Stern zu stehen. Der Ton ist schon seit einigen Tagen ziemlich freundlich. Die grosse Wahlsiegerin, Angela Merkel, und ihre Leute vermeiden alles, um den gebeutelten, künftigen Partner nicht zu reizen. Klar, so stark die Wähler die Union auch gemacht haben, ohne Hilfe stehen CDU und CSU im Bund verloren da.  Aber auch die sozialdemokratischen Vordermänner halten sich deutlich zurück; unüberhörbar sind zum Beispiel die Mahnungen Sigmar Gabriels, unabwendbare Kompromisse nicht zu diskreditieren. Der Ruf nach Steuererhöhungen und Abschaffung des so genannten Betreuungsgeldes – thematische Zentren während des Wahlkampfs – tauchen in dem Zehn-Punkte-Katalog gleich gar nicht erst auf.

Es bleibt, freilich, eine grosse Unsicherheit. Am Ende dürfen (müssen?) die rund 470 000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen. Im Berliner Willy-Brandt-Haus wird dies als Schritt zu einer neuen, grösseren politischen Kultur im Lande, zu fortgeschrittener Demokratie bezeichnet. So kann man es, in der Tat, werten. Man kann es aber auch als Ausdruck mangelnder Courage sehen; schliesslich ist die Parteiführung ja eigentlich zur Führung gewählt worden. Was würde zum Beispiel sein, wenn bei der Endabstimmung viele (sagen wir: nicht selbst in Verantwortung stehende) Parteimitglieder allein ihrem negativen „Bauchgefühl“ folgten, weil sie lieber „morgens in den Spiegel schauen als sich als ´Merkel-Büttel´ fühlen“ (Originalton) wollen.

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An anderer Stelle wird die SPD-Führungsriege als Schrott bezeichnet,und deren Rücktritt gefordert. Statt dessen wollen die Versager namens Gabriel, Steinmeier, Nahles etc. in exponierte Positionen. Hoffentlich gerät die neue Koalition bald in eine Krise.....

nach der Wahl?
Zuschauen oder (mit)regieren?
Sie kommen aus einer Niederlage, für sie selbst unerwartet, niederschmetternd, verunsichernd.
Deshalb auch nicht viel gerissen in der danach folgenden Opposition, gegen einen starken Gegner.

1.
Jetzt nicht das Ziel erreicht, kein Bündnis mit den Grünen möglich, die Linke schon überhaupt (noch) nicht auf dem Zettel, mit dem ganzen Rest zusammen nur ganz leicht in der Mehrheit, von allen Seiten immer nur gebremst. Wer will denn so etwas?
Das ist keine Lösung für die nächsten 4 Jahre.

2.
Die Angst ist gross, es geht wieder los, mit dem Rivalen gemeinsam eine Schlacht zu schlagen und wieder nur Verlierer zu sein, wo doch die „grösste Arbeit“ von ihnen geleistet wurde.
Keine Frage, das, was für das gemeine Volk in der Zeit abfiel, hat massgeblich die SPD „spendiert“, hat nur keiner gemerkt und sie hat es keinem erklären können.

Und hier liegt die eigentliche SPD-Schwachstelle:
Sie kann und konnte sich noch nie richtig verkaufen!
Ihre Gegner hatten immer die besseren Sprüchemacher und eine gemeinsame Linie, ein Marketing.
So etwas kennt die SPD nicht einmal!

Also kann sie das auch jetzt nicht, kümmert sich nicht darum, ist ihr zu banal und ungewohnt.
Das Showgeschäft ist nicht das Ding der SPD!
So sehen es auch viele Mitglieder und sie werden gegen eine Koalition stimmen (wegen beleidigt, Strafe, will es nimmer und ich weiss nicht).
Regieren und mitregieren könnten sie, das Geleistete ihren Wählern und Nichtwählern nahebringen, das können sie nicht, nicht ansatzweise.
So bleibt jedem SPD-Verantwortlichen es selbst überlassen, ganz zaghaft mal das Licht unter dem Scheffel herauszuholen und zu strahlen. Sofort sind dann immer Nebenbuhler und höherrangige SPD-Mitglieder zur Stelle, um das Licht zu dämpfen oder auf sich selbst scheinen zu lassen.
Das können sie komischerweise wieder alle.

3.
Zukunft:
Nach der „verlorenen“ Mitgliederbefragung werden sie eine Entscheidung fällen müssen.
Das wird die Gretchenfrage für die SPD:
„Gehen wir mit den Mitgliedern oder gehen wir in die Regierung?“

Die Delegierten werden sich für die Regierung entscheiden (das wird ihr Ende sein in 4 Jahren), gegen ihre Basis.
Sie werden es mit dem „Wählerauftrag“ begründen, mit der Verantwortung für das ganze Land und die Leute.
Aber sie tun es wiedermal wegen „flatternden Hosen“ und den lockenden Pöstchen und der ungeschriebenen Zukunft und der Vergesslichkeit des dummen Volkes. Und dann gehen sie unter!

Was kann die SPD eigentlich?
Nichts, nicht mal konsequenterweise „Füsse stillhalten“, in die Opposition gehen, und zusehen, wie die CDU/CSU sich abarbeitet, totläuft, aus dem Graben nicht mehr raus kommt, absäuft und untergeht und mit ihr auch ein Teil ihrer Sponsoren.
Sie können danach nicht mal mit dickem Finger auf diese Versager zeigen, sie kleinreden und selbst dabei „gross raus kommen“, bei der folgenden Wahl.
Das einzige, was die SPD kann ist Opposition und das wollen sie nicht!

Pech!

p.s.
Da waren die Grünen einfach klüger und die Linke wartet, bis die SPD abwärts an ihr vorbeirauscht.

".. dass etwa um Weihnachten herum der Koalitionsvertrag zwischen Christ- und Sozialdemokraten unter Dach und Fach sein wird"
(wenn's eines ist)

Sonst: danke für den vertieften Einblick!

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