Zum Tod von Charles Aznavour

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Zum Tod von Charles Aznavour

Von Hans Woller, Paris - 01.10.2018

Einer der letzten Giganten des französischen Chansons ist in der vergangenen Nacht im Alter von 94 Jahren gestorben.

Er wirkte streng und war doch witzig, von sich selbst eingenommen und doch für vieles offen, ein kultivierter Autodidakt und stolz darauf. Und wenn der Sohn armenischer Flüchtlinge sich in den letzten Jahrzehnten für etwas einsetzte, so konnte man sicher sein, dass seine Stimme Gehör fand.

Entscheidende Begegnungen

In einer Künstlerfamilie geboren, stand Aznavour schon mit 9 Jahren erstmals auf den Theaterbrettern, lernte die Welt der Operette kennen und schrieb sein erstes Chanson in der unmittelbaren Nachkriegszeit – in den Jahrzehnten danach sollten es rund 800 werden. Insgesamt hat der vielleicht populärste französische Künstler 1’400 Titel aufgenommen.

In Frankreich, in vielen Ländern Europas und darüber hinaus gibt es Abermillionen Menschen, die zumindest den Refrain einer seiner grossen Erfolge summen können: „La bohème“, „Tu te laisses aller“ oder „For me Formidable“.

Drei Begegnungen, so erzählte der Altmeister des Chansons gerne, seien für ihn ganz entscheidend gewesen: Edith Piaf, Maurice Chevalier und Charles Trenet. Piaf hatte ihn 1946 entdeckt und ihn danach erst auf eine Frankreich- und dann auf eine Amerikatournee mitgenommen. Von ihr, so betonte er immer wieder, habe er das Wichtigste gelernt: Man müsse sein Publikum lieben, um vom Publikum geliebt zu werden.

Breites Themenspektrum

Der wirkliche Durchbruch gelang Aznavour in den 1960er Jahren. Später sollte der Sohn aus einer armenischen Familie, bei der unter der deutschen Besatzung Frankreichs Juden Zuflucht gefunden hatten, auch so etwas wie ein internationalistisches Frankreich verkörpern und auf Grund seiner Vita und seiner Themen auch bei jüngeren Einwanderergenerationen Zuspruch finden.

Die Spannbreite seiner besungenen Themen und ebenso die der Musikstile, auf die er sich einliess, waren immens und verschafften ihm ein Publikum, das von den Grossmüttern bis zu den Enkeln reichte und von der Romantik, über die Liebe, das Thema Ausländer und Minderheiten bis zu eindeutig gesellschaftskritischen Chansons. Mit dem Titel, „Comme ils disent“, war er zum Beispiel 1972 der erste unter Frankreichs Meistern des Chansons, der sich dem Thema Homosexualität annahm.

Und zugleich schrieb er auch Chansons für andere, sogar für Frankreichs damals junge Rocklegende Johnny Halliday und dessen Gefährtin Sylvie Vartan: „Retiens la vie“ und „La plus belle pour aller danser“ wurden grosse Erfolge.

Der Tausendsassa

Aznavour war eine Art Tausendsassa, der zum Beispiel auch in François Truffauts „Schiessen sie nicht auf den Pianisten“ vor der Kamera stand und so in den USA zunächst als Filmschauspieler bekannt war, bevor er dann mit seinem Chanson-Repertoire sogar in der New Yorker Carnegie Hall auftrat. Er verstand es bis in seine alten Tage, die grössten und die schwierigsten Säle und Hallen in seinen Bann zu ziehen.

Aznavour, der auch mit Luciano Pavarotti, Placido Domingo und Rostropovitch aufgetreten war und dessen weltweite Bekanntheit auch daher rührte, dass er in sechs verschiedenen Sprachen sang, war 1998 von CNN und Times Online zum Varieté-Künstler des Jahrhunderts gewählt worden – vor Elvis Presley oder Bob Dylan.

Vom selben Jahr an sollte sich Aznavour über Monate hinweg nur noch um eines kümmern: um die Solidarität für Armenien, dem Land seiner Vorfahren, nach dem schweren Erdbeben dort. 1989 schrieb er das Chanson Pour toi Armenie“, das er mit 80 französischen Sängern vertonte, auf legendären Benefizkonzerten wiedergab und das monatelang die Hitlisten anführte.

Friedliches Ende

In einem allerdings stand Aznavour mit Frankreich, dem Land, das seine Eltern – ebenfalls Künstler – nach der Flucht aus Armenien 1923, kurz vor seiner Geburt aufgenommen hatte, seit jeher auf Kriegsfuss: mit dem Finanzamt und den zu zahlenden Steuern. Schon Anfang der 1970er Jahre hatte er sich fiskalisch in der Schweiz angesiedelt und seitdem wohl aufpassen müssen, dass er nicht länger als sechs Monate in Frankreich gesehen wurde. Obwohl: Wer hätte wohl gewagt, Aznavour wirklich anzuklagen? Bis zum Schluss war der Maestro in dieser Hinsicht nie weise geworden und davon überzeugt, dass der französische Staat ihm all zu sehr in die Tasche greift, und spielte weiter den, der von seinem Land ungerecht behandelt wurde.

Erst im Mai dieses Jahres hatte der 94-Jährige noch eine Welttournee abbrechen und Konzerte in Japan und Usbekistan absagen müssen, nachdem er sich bei einem Sturz in seinem provenzalischen Domizil in den Alpilles den Arm gebrochen hatte. Davon hat er sich offensichtlich nicht mehr erholt – Konzerte in Monaco oder in der Royal Albert Hall in London Ende Juni mussten ebenfalls abgesagt werden. In der vergangenen Nacht ist der Weltbürger Aznavour, der Sänger, Schauspieler, Gaukler, Mäzen und rastlose Verfechter der armenischen Sache am Ende einer unvergleichlichen, 70-jährigen Karriere in Südfrankreich im Schlaf verstorben.

Charles, wenn ich Ihn so nennen darf?
Einem Wildbach gleich, so einem Bergbach ähnlich, der sich hinabstürzt in unbekannten Tiefen. An den Quellen des Seins das Licht der Welt erblickt, von nun an unterwegs in Richtung Ozean. Von Höhen zu Tiefen, über Stock und Stein, fröhlich den Felsen entlang sprudelnd. Übermütig singend in jenen Traumrollen der Vielfalt, des Erlebbaren. Wild jauchzend über Stromschnellen und öfters sanft dahingleitend in Melancholie. König im Fluss der Zeit am Ziel. Und wenn wir die Gelegenheit suchen „Au bord du Rhône“, können wir seine Stimme weiterhin erahnen, im Geflüster der Strudel der Zeit. Im Gedenken an Ihn und einem grossen Dank an Frankreich, er wird für immer in unseren Herzen bleiben. …cathari

Quatsch as quatsch can, liebe Kathrin, bleiben Sie auf dem Teppich, und dazu haben Sie jetzt noch Ihre zweitschönsten Worte verschwendet. Der Typ hat doch keine Bedeutung mehr und in der Schweiz schon gar nicht und ausser in la France und Armenien auch nirgends.. Die Musik finde ich beim Anhören öde und langweilig, bin halt vielleicht Scott Henderson, Blues und Fusion verdorben.
Aber nett vom Autor mal wieder auf ein paar Grundsätze hingewiesen und eine anständige Würdigung geschrieben zu haben.

Lieber Herr Daniel Kälin, in einer Zeit wo Wirklichkeit durch Wunschdenken ersetzt wird passen Lieder wie „ Du lässt dich gehen“ tatsächlich nicht mehr. Übrigens, ich lese ihre Kommentare immer mit Vergnügen, weil sie gut sind. Freundlichst Cathari

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