
Wenn sie nur dreist genug sind, stehlen sie die gesamte Ruhende Welt … vielleicht
Mosmerano – Lagunenstadt und Zentrum der schönen Künste. Genau der richtige Ort für die Herbstgänger, eine umherziehende Theatergruppe, welche die Bevölkerung der Ruhenden Welt mit ihren Darbietungen begeistert. Die Zuschauer ahnen jedoch nicht, dass das Theaterspiel nur eine untergeordnete Einnahmequelle der Truppe ist. Denn nebenher ergaunern sich die sieben Mitglieder in den jeweiligen Städten ein hübsches Sümmchen zusammen. Verantwortlich für die Planung der Coups ist der gewitzte Glin, der einst vom Anführer der Truppe Talimo adoptiert wurde. In Mosmerano plant Glin einen Kunstraub, doch ein Magier aus Talimos Vergangenheit macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Statt ihren eigenen Diebstahl durchzuführen sind sie nun Handlanger des Magiers, der sie für seine dunklen Pläne eingespannt. Doch so leicht lassen sich die Herbstgänger nicht erpressen. Glin schmiedet eifrig Pläne, um nicht nur den eigenen Coup durchzuführen, sondern gleichzeitig auch den Magier zu überführen und nebenher noch die Welt zu retten.
Langfinger zwischen Renaissance und Steampunk
Ein fantastisches Venedig, ein an große Raubüberfälle à la „Oceans Eleven“ angelehnter Plot und eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus Dieben – das verspricht eine Menge Lesespaß, zumal das Ganze mit einem besonderen Magiesystem punkten kann: Eine Mischung aus Steampunk und Zauberei. Der Ursprung dieser Technik liegt in dem Vermächtnis der Skyldar, ein Volk, das einst Mechaniken mit Magie verband, nun jedoch zusammen mit seinem geheimen Wissen untergegangen ist. Nur wenige Artefakte haben überlebt, wie beispielsweise Glins mechanische und magisch zum Leben erweckte Grille namens Schönheit, die ihm bei seinen Abenteuern zur Seite steht.
Glin und Talimo sind zwar nicht magisch begabt, doch auch sie können als Mechanisten raffinierte Gerätschaften bauen, darunter das fahrende Theater, das sich zusammenklappen lässt und Platz für Requisiten und Diebesgut gleichermaßen bereithält. Des Weiteren gehören noch ein Chemistiker, eine Schwertkämpferin, eine Akrobatin, ein Priester und eine Schauspieldiva zu den Herbstgängern. Eine illustre Truppe, deren Umgang miteinander beim Lesen viel Spaß bringt. In Rückblenden (die mal mehr, mal weniger interessant sind), erfährt man, wie die ungleichen Gauner über die Zeit zu einer kleinen Familie zusammengewachsen sind. Desto schlimmer wirkt sich das aus, was sie im Verlauf der Handlung mit sich machen lassen müssen. Das mit der Dramatik hat Thilo Corzilius auf jeden Fall drauf.
Viel Rauch um nichts?
Das herausragendste Merkmal des Buches: Es ist immer etwas los. Auch wenn man manchmal nicht genau weiß, was. Stattdessen darf man Glin beim Pläneschmieden und -vorbereiten beobachten, und das häufig vollkommen ahnungslos. Na ja, egal, immerhin wurde einem versprochen, dass der junge Dieb einer der gewitztesten Vertreter seines Fachs ist. Ein Umstand, den auch seine Schauspielkollegen immer wieder betonen, die ohne ihn übertrieben hilflos zu sein scheinen und keine Ahnung haben, wie sie ihr Leben meistern sollen. Den Eindruck bekommt man zumindest nach dem gefühlt hundertsten: „Was machen wir jetzt, Glin?“
Doch das wirklich Enttäuschende ist, dass Glin gar nicht so gerissen ist, wie er dargestellt wird. Wer auf sensationelle Aktionen hofft, wird schnell ausgebremst. Es passiert im Grunde immer genau das, was man erwartet – oder auch nicht, wenn man mit einem spektakulären Twist rechnet. Bis zum Schluss wartet man vergebens auf die große Überraschung, den Aha-Effekt. Doch der bleibt aus. Dafür muss man sich mit einer zwar ganz interessanten, aber mitunter holprigen Story zufriedengeben. Besonders bei den Dialogen sind Nerven gefragt, wenn die Beteiligten immerzu einen auf cool machen, anstatt endlich mal auf den Punkt zu kommen.
Das Fatale sind jedoch die sprachlichen Pannen: Rechtschreibung, Kommasetzung und Grammatik sind an überdurchschnittlich vielen Stellen fehlerhaft, zudem stößt man oft auf Wiederholungen in Wort und Inhalt und stilistische Schnitzer. Leider ist das ziemlich ärgerlich. Schließlich will niemand beim Lesen ständig verkrampft auf den nächsten Ausrutscher warten müssen.
Fazit:
„Diebe der Nacht“ ist ein kurzweiliges Fantasy-Abenteuer mit schönen Ideen, aber auch ein paar Schwächen bei Plot und Figuren. Die Fehlerdichte ist schade, trotzdem ist die Geschichte an sich für jeden geeignet, der es nicht zu komplex mag und was Leichtes für Zwischendurch sucht.

Diebe der Nacht
- Autor: Thilo Corzilius
- Verlag: Klett-Cotta
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"Diebe der Nacht" von Thilo Corzilius ist ein bei Klett-Kotta erschienener Fantasy-Roman mit Elementen des Steampunk.
Hauptfigur ist der junge Glin, der einer Gruppe fahrender Schauspieler eines mechanischen Theaters angehört, die sich Herbstgänger nennt. Sie führen selbst ausgedachte Theaterstücke auf, die ihre Publikum auch mit chemischen und mechanischen Spezialeffekten unterhalten. Doch das Theaterensemble ist nur eine Fassade, die dazu dient Raubzüge zu tarnen, denn in Wirklichkeit sind die Herbstgänger Meisterdiebe und Trickbetrüger und haben schon manch einen spektakulären Coup gelandet. Und so planen sie, als das Theater in der sagenhaften Lagunenstadt Mosmerano gastiert, in Wirklichkeit einen Kunstraub. Sie wollen ein mysteriöses Gemälde, das offiziell gar nicht existiert, aus dem Tresor des Erzherzogs stehlen. Jedes Mitglied der Theatergesellschaft hat neben der Schauspielerei besondere Fähigkeiten, die ihnen sowohl auf der Bühne als auch bei ihren Einbrüchen nützlich sind: Es gibt Akrobaten, Mechanisten, Chemistiker und Kämpfer. Glin, der Ziehsohn des Ensemblegründers und -leiters Talmo, ist als Gehirn der Truppe für die minutiöse Planung zuständig. Als jedoch bei einer Vorstellung jemand aus Talmos Vergangenheit aufkreuzt, der skrupelloser Magier Aurinius von Veelyn, stehen die Herbstgänger plötzlich zwischen den Fronten und müssen all ihr Geschick aufbieten, um inmitten einer politischen Intrige um uralte Zauberkünste einerseits Vergeltung zu üben, andererseits mit heiler Haut davon zu kommen und trotzdem noch ihren Raub durchzuziehen und so Profit zu schlagen.
Obwohl der Ort der Handlung, Mosmerano, ganz offensichtlich Venedig nachempfunden ist, hat Thilo Corzilius hier einen fantastischen Kosmos erschaffen, den er "Ruhende Welt" nennt und zu der auch ganz eigene Religionen mit Göttern, eine andere Zeitrechnung, Sprache und natürlichen Länder gehören. Das ganze ist detailreich, atmosphärisch dicht und fesselnd beschrieben. Protagonist Glin steht jedoch nicht allein im Mittelpunkt, sondern auch den anderen Figuren wird genügend Raum gelassen, sich zu entwickeln. Da wären vor allem die anderen Mitglieder der Herbstgänger: neben Glins Adoptivvater und Mechanist Talmo Melisma der erfindungsreiche Chemistiker Shalimo, die Schaupieldiva Madeire, die im Umgang mit Schwertern und Messern begabte Kriegerin Yrrein, der nie um einen Scherz oder derben Fluch verlegene Priester Falk und die Akrobatin und affengleiche Kletterkünstlerin Sira. Sie alle spielen in diesem fesselnden Abenteuer eine Rolle und sind so skurril geschildert, dass man als Leser schnell den Einstieg findet und sie ins Herz schließt. Während anfangs alles nach Plan zu laufen scheint, entwickeln sich rasch ungeahnte Schwierigkeiten bis hin zu einer Katastrophe, die im Laufe der mit zahlreichen überraschenden Wendungen gespickten Handlung wächst und schließlich die gesamte Welt bedroht.
Bis auf ein paar Rückblenden linear erzählt wird die abwechslungsreiche Geschichte von einem personalen Erzähler, der wechselnden Figuren folgt. Corzilius' flüssiger Schreibstil ist modern und angenehm zu lesen. Actionlastige Passagen wechseln sich mit traurigen, humorvollen und geheimnisvollen Szenen ab, so dass sich ein durchgehender Spannungsbogen ergibt, der auch unterhaltsame Nebenhandlungen enthält, beispielsweise wir die Herbstgänger wie sie mit List einen Maler dazu bringen ein bestimmtes Gemälde zu erstellen oder wie sie in einem Bordell Unterschlupf finden. Durch die Rückblenden, in denen vor allem die Vorgeschichte der Charaktere beleuchtet wird, gewinnen die Figuren an Tiefe und werden für den Leser greifbarer, ihr Handeln nachvollziehbarer. Am Ende wartet dann ein wieder actionreicher, aber auch emotionaler Showdown, wobei der Abschluss Raum für eine mögliche Fortsetzung lässt.
Insgesamt ist "Diebe der Nacht" ein höchst gelungener, abenteuerlicher Fantasy-Roman mit viel Magie und Steampunk-Elementen, der packend erzählt ist. Für mich ein Lesehighlight des Jahres 2020!