Protest auch in Berlin - Wie der Frauenstreik in Polen zur Regierungskrise wird

Protest vor dem Haus des polnischen Botschafters in Berlin gegen das Abtreibungsverbot am 28.10.2020. (Quelle: Maciej Soja/ Soja Photograhy)
Audio: Inforadio | 28.10.2020 | Raphael Jung | Bild: Maciej Soja/ Soja Photograhy

Hunderttausende Polen protestieren gegen das verschärfte Abtreibungsverbot. Auch in Berlin und entlang der Grenze haben Aktivistinnen eine "Blutige Woche" ausgerufen. Der Frauenstreik hat mittlerweile ein Ziel – die Regierung zu stürzen. Von Magdalena Schwabe

Anna Krenz ist Künstlerin und derzeit viel mit einem Thema beschäftigt: Sie entwirft Poster für Solidaritätskundgebungen mit den Frauen in Polen. Neben "#IchStreike - In Solidarity!" oder "Mein Körper, meine Wahl!" zeichnet sie Aufrufe wie "Keine Kompromisse!".

"Der Rubikon wurde überschritten. Polen ist eine Frau", sagt die Wahlberlinerin, die selbst aus Polen stammt. Was im Nachbarland gerade geschehe, sei "eine Revolution und hoffentlich der Anfang vom Ende des PiS-Staates".

Protest vor dem Haus des polnischen Botschafters in Berlin gegen das Abtreibungsverbot am 28.10.2020. (Quelle: Maciej Soja/ Soja Photograhy)
Demonstranten vor dem Haus des polnischen Botschafters in Berlin. | Bild: Maciej Soja/ Soja Photograhy

"Blutige Woche" in Berlin und Brandenburg

Schon 2016 gründete Anna Krenz die Initiative "Dziewuchy", auf deutsch "Mädels", nachdem Polens Rechtskonservative das Abtreibungsgesetz verschärfen wollten. Jetzt habe "das so genannte Verfassungsgericht" die Abtreibung praktisch verboten, sagt sie und spricht davon, "zurück im Mittelalter" zu sein.

Spontan sammelte sich am Mittwoch eine Menschenmenge vor der Villa des Botschafters in Berlin, Andrzej Przyłębski. Dessen Ehefrau Julia Przyłębska ist die Vorsitzende des Verfassungsgerichts, das die Abtreibung für verfassungswidrig erklärt hat und damit die Proteste auslöste.

Kulturkampf gegen den PiS-Staat

In einem landesweiten Frauenstreik hatten am Mittwoch zudem tausende Polinnen die Arbeit niedergelegt in einer Art politischen Lockdown. Dabei geht es längst nicht nur um Frauenrechte. Es geht um die Grundrechte und die Demokratie. Entsprechend beteiligten sich auch Männer an den Protesten für ein progressiveres Polen und skandierten gemeinsam "Polen ist eine Frau". Wütende Bürger blockierten das Parlament und Landwirte mit ihren Traktoren die Straßen Warschaus. Auch entlang der Grenze, in Gubin, Szczecin oder Slubice, gingen Hunderte auf die Straßen.

"Die Polen sind erschüttert. Das Abtreibungsverbot hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht", erklärt Dorota Danielewicz, Berliner Schriftstellerin und Publizistin. "Die Tabus wurden gebrochen. Heute geht es um alles, um den Machtwechsel." Es ist ein Kulturkampf gegen die regierende rechtskonservative PiS-Partei, gegen die Gängelung der Justiz oder die Vertuschung von Missbrauchsskandalen in der Kirche.

Und längst haben die Proteste auch Deutschland erreicht, spätestens mit dem spontanen Protest vor dem Haus des Botschafters. Im Rahmen der so genannten "Blutigen Woche" ist für Donnerstag eine Demo am Pariser Platz in Berlin angekündigt, am Freitag eine Performance an der Grenzbrücke in Frankfurt (Oder). Dazu tägliche Spaziergänge vor der polnischen Botschaft oder auch in Potsdam.

Der PiS-Staat wackelt

Kirchen in Polen bekommen derzeit Polizeischutz, auch vor friedlichen Demonstranten, nachdem der PiS-Vorsitzende und seit kurzem auch Vizepremierminister Jarosław Kaczyński zur Verteidigung der Kirchen aufgerufen hat. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen. Das Militär soll die Polizei auf den Straßen unterstützen - offiziell im Kampf gegen die Corona-Pandemie, doch viele Demsonstranten vermuten noch andere Gründe.

"Kümmert euch lieber um die Lebenden", skandieren Hunderttausende Polen und der staatliche Sender TVP-Info spricht vom "linken Faschismus auf dem Vormarsch". Noch vor kurzem hat PiS den staatlichen Sender TVP mit zwei Milliarden Zloty [Anm. d. Red.; etwa 430 Millionen Euro] bezuschusst. Es sind viele solcher Fakten, die die Leute jetzt zunehmend auf die Straße treiben.

"Heute erleben wir eine neue Welle der Migration aus Polen" sagt eine der Protestierenden in Berlin. Künstler und Intellektuelle, aber auch Vertreter sexueller Minderheiten oder Familien mit behinderten Kindern würden in Deutschland Zuflucht suchen.

Notlage statt Abtreibungstourismus

Polen hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze weltweit. 2019 wurden laut des polnischen Gesundheitsministeriums offiziell 1.100 Abtreibungen vorgenommen – die meisten wegen Fehlbildungen des Fötus. Das neue Urteil des Verfassungsgerichts bedeutet praktisch ein Abtreibungsverbot. Bereits jetzt untersagen Krankenhäuser und Ärzte die geplanten Eingriffe aus Angst vor Konsequenzen.

Doch Schätzungen zufolge treiben jährlich 80.000 bis 150.000 Polinnen ab. Viele von ihnen suchen nach Hilfe in Deutschland, in Berlin oder auch in Orten entlang der Grenze. Urszula Bertin von "Ciocia Basia", auf deutsch "Tante Barbara", versteht die Not der Frauen. Ihre Initiative hilft monatlich rund 100 Frauen. Seit der Rechtsverschärfung können die ehrenamtlichen Helferinnen wie Bertin kaum noch die Anfragen bedienen. Dazu werden sie immer wieder bedroht.

Auch Joanna Józefiak vom Deutsch-Polnischen Verein für Gesundheitswesen in Frankfurt (Oder) bekommt Hilferufe aus Polen: "Ich erlebe viel Empathie von deutschen Ärzten und Krankenhäusern, die ihre Unterstützung anbieten. Jede Frau, die Hilfe braucht, soll Hilfe bekommen, auch psychosoziale. Das deutsche System ist hier vorbildlich. Schade, dass Warschau hier nicht nach Berlin schaut".

Sendung: Antenne Brandenburg, 29.10.2020, 08:00 Uhr

Beitrag von Magdalena Schwabe

10 Kommentare

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  1. 9.

    Ähem, ich habe mich vertan. Die von der PiS bewilligten 2.000.000.000 Zloty für den, ähem, "offentlich-rechtlichen Rundfunk" TVP entsprechen natürlich dem Tausendfachen des im Beitrag fälschlich angegebenenen Betrags.

  2. 8.

    Liebe Redaktion,

    der Unterschied zwischen zwei Millionen und zwei Milliarden Zloty ist nicht unerheblich, sondern genau das Hundertfache!

    Hier ein interessanter Bericht der TAZ zu diesem Thema: https://taz.de/Praesidentschaftswahl-in-Polen/!5697245/

  3. 7.

    Unglaublich was da passiert in einem Land in Europa!!! So etwas hätte ich vom irren Islamischen Staat erwartet, aber nicht von einem EU Mitgliedsstaat. Das ist momentan tiefstes Mittelalter in Polen! Jede Art von Religiösem Glauben und Regelwerken hat in der Politik und In Gesetzgebung eines Landes der EU absolut gar nichts zu suchen!
    Ich kann die aufgebrachten Menschen in Polen absolut verstehen.
    Hoffentlich wählen die Polen das nächste mal wieder eine ordentliche Partei.
    Bitte Gott , wenn es dich gibt, wie auch immer Du wirklich heißt und wie auch immer Du wirklich aussiehst, bitte schmeiß Hirn vom Himmel und bring alle zum schweigen die sich anmaßen in Deinem Namen zu sprechen und zu agieren ! Danke.

  4. 6.

    Eine kleine Korrektur zu

    "...Noch vor kurzem hat PiS den staatlichen Sender TVP mit zwei Millionen Zloty [Anm. d. Red.; etwa 430.000 Euro] bezuschusst..."

    Es sind 2 Milliarden PLN - und das pro Jahr für die nächsten 5 Jahre...

    So viel ist der PiS dieser Sender wert - angeblich "öffentlich-rechtlich" - in Wahrheit jedoch der widerlichste Propagandasender in der EU.

  5. 5.

    Na ja,die Blutwoche spielt sich ja wohl eher in Frankreich ab.
    Und die polnische Regierung dürfte in Übereinstimmung mit fast allen Polen keine Blutochen wollen.
    Auch nicht durch Engelmachung !

  6. 4.

    Die PIS Partei und das Gericht hat Polen ins Mitteialter versetzt. Wir leben im Zwanzigsten Jahrhundert und da sollte jede Frau alleine über ihren Körper bestimmen dürfen. Da waren wir schon mal zu DDR ZEITEN und dieses sollten sich die Politiker in Polen und anderen EU STAATEN VOR Auge führen. DIESES GILT AUCH FÜR DEUTSCHLAND. Die Ansichten der Kirchen stammen ja noch aus dem Mittelalter. Ich bin ein Mann und stehe zu dieser Aussage.

  7. 3.

    Können einem eigentlich Leid tun, aber die Nachbarn waren doch immer für amerikanische Verhältnisse, nun nähern sie sich langsam daran an und stellen fest, dass ist auch nicht richtig.

  8. 2.

    Zum Glück lautet das Motto nicht Blutwoche. Das wäre ein Affront gegen die Ermordeten in Köpenick. Dlugopis Duda und Kaczynski, die Polen zu einem Gottesstaat nach iranischem Vorbild ausbauen wollen schiessen mit und mehr übers Ziel hinaus.

  9. 1.

    Ich hoffe die polnischen Frauen bleiben stark und setzen sich gegen den Schwachsinn erfolgreich zur Wehr.

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