1926, also vor genau 90 Jahren, begründete Erwin Schrödinger mit der nach ihm benannten Schrödingergleichung die Quantenmechanik. Mit ihr gelang seitdem die Erklärung vieler Eigenschaften von Atomen und Molekülen – sie bildet das Fundament für fast alle praktischen Anwendungen der Quantenmechanik. Johnjoe McFadden macht in einem Streifzug durch die Wissenschaftsgeschichte deutlich, welch fundamentale Bedeutung diese Erkenntnisse für die Biologie und unser Verständnis des Lebens haben.
von Johnjoe McFadden
Was ist Leben? Gehorcht das Leben denselben – nur komplexeren – Gesetzen wie die unbelebte Welt? Was geschieht, wenn lebendige Wesen sterben?
Wissenschaftler und Philosophen setzen sich seit Jahrhunderten mit diesen Fragen auseinander. Viele Biologen konnten nicht glauben, dass lebende Organismen aus denselben Bausteinen bestehen wie unbelebte Materie. Sie stellten die Theorie des Vitalismus auf, nach der das Leben durch Vitalkräfte im Protoplasma entsteht. Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts aber war der Vitalismus weitgehend diskreditiert. Man hatte herausgefunden, dass Protoplasma aus derselben Materie besteht wie die unbelebte Welt – Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, etc. – und zumindest außerhalb von Zellen ein ganz ähnliches Verhalten zeigt, wie unbelebte Materie. Biologen und die noch im klassischen Weltbild denkenden Physiker gelangten zu der Schlussfolgerung, dass das Leben nur eine besonders komplexe chemische Reaktion sei, die auf denselben Prinzipien der Thermodynamik beruhe, die auch Dampflokomotiven antreibt.
Aber dann wurde die klassische Physik von der Quantenphysik hinweggefegt. Der Gedanke, dass Teilchen feste Orte im Raum einnehmen, wurde vom Weltbild der Quantentheorie abgelöst, welches annimmt, dass Teilchen wie Elektronen, Protonen oder sogar Atome im Raum verteilt existieren, statt diskrete Positionen in Raum und Zeit einzunehmen. Die Biologen jedoch machten weiter als sei nichts gewesen. Sie arbeiteten immer noch mit der Vorstellung des Stäbchenmodells der Moleküle, die (wie sie annahmen) den klassischen Regeln gehorchten.
Und doch beschäftigte sich vor mehr als 60 Jahren einer der Väter der Quantenmechanik, Erwin Schrödinger, intensiv mit der Frage nach dem Leben und kam zu dem Schluss, dass es mit den klassischen Regeln der Physik nicht zu erklären sei. Er stieß auf das Problem, dass die herkömmlichen Regeln der Physik – Thermodynamik, das ideale Gasgesetz, und so weiter – Wahrscheinlichkeiten darstellen: Sie gelten nur im Mittel. Damit aus diesen Mittelwerten feste Größen entstehen, musste N, die Anzahl der Teilchen innerhalb eines Systems, sehr groß sein. Er nannte diese Gesetze „Ordnung aus Unordnung“, weil das Verhalten von Gasen und Flüssigkeiten, die diesen Gesetzen gehorchten, auf makroskopischer Ebene regelmäßig und vorhersehbar ist – so dass Wissenschaftler vorhersagen können, wie sehr sich ein Ballon bei Erhitzung ausdehnt –, aber auf mikroskopischer Ebene nur unberechenbare, chaotische Bewegung existiert. Schröder schätzte die Größe eines Gens und folgerte, es sei viel zu klein – es habe einfach nicht genug Teilchen – um die Genauigkeit der Vererbung aufgrund der klassischen Gesetze der Ordnung aus Unordnung zu gewährleisten.
Schrödinger stellte die These auf, dass das Leben neuen Gesetzmäßigkeiten gehorche, die ihre Wurzeln in der tiefer geordneten Welt der Quantenmechanik haben. Auf dieser Ebene bringt die strenge Mathematik der Quantenwellen Ordnung hervor, wie die der Struktur von Atomen und Molekülen. Aber die Regeln der Quantenphysik erlauben es Teilchen auch, an vielen Orten gleichzeitig zu sein, oder undurchdringliche Hindernisse zu überwinden, oder geisterhafte Verbindungen zu haben. Dieses seltsame Quantenverhalten erfordert aber, dass die Wellen verschiedener Teilchen kohärent sind, was bedeutet, dass ihre Wellenanteile im Gleichschritt unterwegs sein müssen. Dies ist innerhalb eines Atoms oder Moleküls möglich, aber je komplizierter Systeme werden, desto eher werden die Wellen ihrer zahlreichen Teilchen inkohärent, oder asynchron. Diese inkohärente Molekularbewegung ist es, die all das seltsame Quantenzeug ausschaltet, um zu einem klassischen System zu werden und die besagten Gesetze der Ordnung aus Unordnung entstehen zu lassen.
In seinem Buch „Was ist Leben?“ (1944) stellte Schrödinger die These auf, dass das Leben ein makroskopisches System sei, dessen Gesetze einzigartigerweise auf dem geordneten Reich der Quanten beruhen: Ordnung aus Ordnung, wie er es bezeichnete. Um der Genauigkeit der Vererbung Rechnung zu tragen, sagte er voraus, dass die Gene „aperiodische Kristalle“ seien, eine Art von molekularem Kristall, in welchem die Position individueller (quantenmechanischer) Teilchen die genetische Information kodieren, die über die Generationen weitervererbt wird. Es kann in der gesamten Wissenschaftsgeschichte kaum eine hellsichtigere Vorhersage gegeben haben: dies war genau die Art molekularer Struktur, die Watson und Crick eine Dekade später entdeckten.
Aber im Großen und Ganzen vergaßen die Biologen Schrödingers Argumentation und behandelten ihre Forschungsobjekte weiterhin klassisch, mit Atomen, Elektronen und Protonen, die in DNA, Enzymen oder biochemischen Verbindungen innerhalb von Zellen feste Positionen in Zeit und Raum einnahmen. Allem zum Trotz funktionierte dieser klassische Ansatz; die Molekularbiologie lieferte neue Medikamente, Therapieformen und die vollständige Sequenz des menschlichen Genoms.
Aber dann, ungefähr ein Jahrhundert nach Max Plancks Entdeckung der Quantengesetze, erforschten Graham Fleming und Greg Engel an der University of California die wichtigste biochemische Reaktion auf unserem Planeten – die Photosynthese. Hier hatte es immer ein Rätsel gegeben – wie fangen Photosysteme das Licht so effizient ein und leiten es zum Reaktionszentrum weiter, wo es in chemische Energie umgewandelt wird? Wenn die Energie über herkömmliche klassische Prozesse übertragen würde – in denen sie quasi von einem Ort zum nächsten hüpft – dann müsste der größte Teil der Energie unterwegs verlorengehen. Die Effizienz aber liegt in der Realität unter optimalen Bedingungen fast bei 100%, höher als bei irgendeiner anderen Form der künstlichen oder natürlichen Energieübertragung.
Als Engel und Fleming einen Laser auf einen bakteriellen Photosyntheseapparat hielten, hallte Ihnen als eine Art Echo wellenförmiges Licht entgegen. Sie nannten das „Quanten-Beats“. Dieser Beat war ein Zeichen dafür, dass die Energie nicht klassischerweise durch Hüpfen, sondern als kohärente Quantenwelle übertragen wird. Diese Welle findet den schnellsten Weg zum Reaktionszentrum, indem sie alle möglichen Pfade dorthin gleichzeitig nimmt. Dieser Befund entfachte neues Interesse an der Möglichkeit, dass Leben auf den Gesetzen der Quantenmechanik beruhen könnte.
Neben der Erkenntnis, dass die Photosynthese über einen der seltsameren Aspekte der Quantenmechanik funktioniert, entdeckten andere Forscher, dass viele weitere ungelöste Rätsel der Biologie quantenmechanische Lösungen haben. Judith Klinman in den USA und Nigel Scrutton in Großbritannien fanden heraus, dass die Arbeitsbienen des Lebens, die Enzyme – biologische Katalysatoren, die chemische Reaktionen eine Milliarde Mal schneller machen können – sich auf ihre Fähigkeit stützen, Quanten tunneln zu lassen: Partikel wie z.B. Protonen verschwinden an einem Ort und tauchen an einem anderen wieder auf, ohne an einem der dazwischenliegenden Orte vorbeizukommen. Thorsten Ritz in den USA zeigte ein quantenmechanisches Lösungsmodell für den chemischen Kompass, mit dem Vögel bei ihrer Wanderung um den Erdball navigieren. Der in Großbritannien arbeitende Biochemiker Luca Turin stellte die These auf, dass unser Geruchssinn ebenfalls auf Quantentunneln beruht. Jim Al-Khalil und ich gingen unterdessen Schrödingers These nach, dass Mutationen eine Art Quantensprung darstellen.
Es gibt immer noch eine Menge unbeantworteter Fragen. Eine der größten ist, wie lebende Zellen es fertigbringen, in einer warmen, feuchten Umgebung so lange Quantenkohärenz zu bewahren. Physiker müssen ihre Experimente in vibrations-isolierten Laboren in die Nähe des absoluten Nullpunkts kühlen, um Quantenkohärenz über eine vergleichbare Zeitspanne zu bewahren. Während von Hitze erzeugte molekulare Vibrationen dazu neigen, Quantenkohärenz in künstlichen Systemen zu zerstören, scheint das Leben sich interessanterweise molekulare Vibrationen zu eigen zu machen, um Kohärenz aufrechtzuerhalten. In unserem Buch Der Quantenbeat des Lebens spekulieren Jim Al-Khalili und ich darüber, dass diese Fähigkeit der Zellen, das Hintergrundrauschen der Moleküle zu nutzen, um Quantenkohärenz aufrechtzuerhalten, für das Leben wesentlich ist, und dass der Verlust dieser Fähigkeit den Tod wiederspiegelt. Wie dem auch sei, diese außerordentliche Entdeckung könnte sogar die Entwicklung revolutionärer neuer Raumtemperatur-Quantentechnologien zur Solarenergieerzeugung anregen, oder gar elektronische Datenverarbeitung mit Quantencomputern. Das Feld der Quantenbiologie steht noch ganz am Anfang.
Das Buch
Leben ist das faszinierendste Phänomen des Universums. Aber wie entsteht es? Wie funktioniert
es? Wie bewältigt zum Beispiel das europäische Rotkehlchen den Flug von Schweden nach Nordafrika? Durch welchen molekularen Tanz verwandelt sich eine Eizelle in einen Menschen? Die noch junge Wissenschaft der Quantenbiologie liefert bahnbrechende Erklärungen für diese bislang ungelösten Rätsel. Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden verbinden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit großartigen Erzählungen über das Faszinosum Leben. Dabei zeigen sie, wie die unglaublich kleinen Ereignisse in der Quantenwelt eine große Wirkung auf alles haben. Dieses Buch kann unser Verständnis von Evolution grundlegend verändern.
Links
Der Quantenbeat des Lebens auf den Seiten der Ullstein Buchverlage