Heil’ger Schubertfranz

Als Kabarettist und satirischer Autor ist Hans Scheibner eine Institution in Deutschland. Morgen wird er 80 Jahre alt. Zu diesem Anlass schrieb er für resonanzboden einen Text über Schuberts Lied Die Forelle. Und wie er es zeitgemäß frisiert hat.

von Hans Scheibner

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Ich hatte die Pianistin Anne kennengelernt. Sie kam aus Bielefeld angereist oder ich fuhr immer wieder zu ihr. Sie war geschieden und lebte ebenfalls allein. Anne hatte ein Diplom als Pianistin und war Schulleiterin – so hatte sie in den Ferien viel Zeit. Und ich war ja nun selbständig und konnte zum ersten Mal im Leben völlig frei über meine Zeit verfügen. Wir sahen uns fast jedes Wochenende, flogen zusammen nach Paris oder waren zusammen in den Alpen. Es war eine wunderschöne Zeit, die wir zusammen erlebten. Anne weckte in mir wieder die Liebe zur klassischen Musik. Viele Abende saßen wir zusammen entweder spielte sie selbst – zum Beispiel mit viel Temperament Beethovens Sturmsonate – oder wir hörten uns Schuberts Impromptus an. Mit Anne klassische Musik zu hören, das war für mich immer wie die Reise in ein unbekanntes Land der Freiheit. Wir freuten uns, wenn wir neue Lieblingsstellen in einer Mozart-Sonate entdeckten.

Anne schaffte es sogar, mich für klassische Lieder zu interessieren. Ich hatte mich zwar schon immer für Schuberts Sinfonien begeistert – aber seine Lieder ließen mich kalt. Ich empfand den Gesang als unnatürlich und komisch. Anne dagegen brachte mir bei, die Stimme dieser Lieder als Instrument zu hören. So hörten wir mal wieder Die Forelle. Ich meckerte herum: „Als Quintett finde ich das Stück wundervoll. Beim Lied stört mich einfach der Text. Der ist doch überhaupt nicht zeitgemäß:

Ich stand an dem Gestade/ (Was ist das eigentlich: ein Gestade?)
Und sah in süßer Ruh/
Des muntern Fischleins Bade/ (Ein Fisch, der badet? Der badet doch den ganzen Tag)
Im klaren Bächlein zu (Im klaren Bächlein? Das war wohl einmal!)

Da hatte sie den Einfall: „Dann mach du doch einen zeitgemäßen Text zur Forelle.“ Das fand ich prima. Ich aktualisierte den Text wie folgt:

Im Bache die Forelle/ die letzte ihrer Art/
ging kurz hinter der Quelle/ auf eine Wanderfahrt/
nach hundert Metern kam sie/ am ersten Bauernhaus vorbei/
ihr war als ob das Wasser phosphatgesättigt sein/
Dann schwamm sie eine Kurve/ zu der Papierfabrik/
Ihr wurde schon so seltsam/ Sie dachte: Ich erstick/
Dann schwamm sie noch nach oben/ das Wasser war so bunt/
vom Öl wie’n Regenbogen:/ sie fühlt sich nicht gesund/
Sie atmete noch schnelle/ polychloriertes Biphenyl/
dann starb sie, die Forelle/ weil ihr das nicht gefiel/
Mit weißgeblähtem Bauche/ Geschwüre bis zum Schwanz/
trieb sie in dieser Jauche: O HEIL’GER SCHUBERTFRANZ!

Ich zeigte den Text Hans Georg Moslener, der sofort eine Studioaufnahme arrangierte. Aber wer würde das Lied singen? Die Sopranistin Katharina Popp wollte die Aufgabe übernehmen. Im Fernsehen brachten wir die Nummer zusammen, ich als kommentierender Erzähler und sie den Text. Und auch heute wird die Forelle mit diesem neuen Text immer wieder für den Schulunterricht angefordert.


Links
Die offizielle Website von Hans Scheibner
In den Himmel will ich nicht! auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

Das Buch
Hans Scheibner wird am 27. August 1936 in Hamburg geboren. Die Kriegsjahre bis zu den Bombenangriffen erlebt er in der Hansestadt, dann flieht er mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester nach Ostpreußen. 1944 flüchten sie vor der nahenden Ostfront zurück. Nach Kriegsende absolviert Hans Scheibner Gymnasium und Handelsschule und erwirbt den Kaufmannsgehilfenbrief. Er wird Verlagskaufmann und Journalist. Nebenbei tritt er im legendären theater 53 in Hamburg auf und beginnt, Bühnentexte und Gedichte zu schreiben. 1976 bekommt er die Goldene Schallplatte für seinen Songtext Schmidtchen Schleicher. 1979 beginnt seine Karriere als Liedermacher, die insgesamt 14 LPs und CDs umfasst. Von 1980 bis 2006 hat Scheibner diverse Fernsehformate in öffentlich-rechtlichen Programmen (scheibnerweise, Nachschlag nach den Tagesthemen, Walther & Willy). Er veröffentlichte zwanzig Bücher und fünf Bühnenstücke. Seit 1998 tourt er mit seinen aktuellen Kabarett-Programmen durch Deutschland und bringt regelmäßig vor Weihnachten seine Erfolgssatiren Wer nimmt Oma? auf die Bühne.
In den Himmel will ich nicht! ist ein satirisch-selbstironischer Rückblick zum 80. Geburtstag.

Hans Scheibner

Hans Scheibner

Hans Scheibner ist Kabarettist, Liedermacher, satirischer Sänger und Poet. Mit seinen Kabarett- und Liederprogrammen begeistert der Altmeister des satirischen Humors ganz Deutschland. Sein aktuelles Buch „In den Himmel will ich nicht!” ist im am 12. August im List Verlag erschienen.

Foto: © privat

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