Adam Fletcher über die Abgründe des dark tourism

Warum Urlaub in Nordkorea machen? Es findet kein kultureller Austausch mit den Bewohnern statt, diese profitieren nicht vom Tourismus und auch der Besucher lernt nichts über das Regime und seine Mechanismen, was er nicht besser in Büchern lernen könnte. Der Grund, warum es junge Menschen wie den Amerikaner Otto Warmbier dennoch in den totalitären Staat zieht, ist der Nervenkitzel, geltende Regeln zu brechen. Der Tod von Otto Warmbier nach seiner langen Haft in Nordkorea war ein Schock. Adam Fletcher über das Phänomen dark tourism und seine verhängnisvollen Folgen.

Von Adam Fletcher

 

 

Ich habe ein Geständnis abzulegen: Ich bin ein dark tourist. Andere Menschen verbringen ihre Ferien am Strand liegend oder wandernd in den Bergen. Ich verbringe meine damit, das seltsamste, makaberste, skurrilste aufzuspüren, was unsere Spezies sich ausgedacht hat. Der Mensch ist ein Geschichten erzählender Affe und dark tourists sind fasziniert von diesen Geschichten, vor allem von den dunklen Kapiteln. Man findet uns auf den Killing Fields in Kambodscha, oder mit dem Geigerzähler in Tschernobyl herumstapfend, oder in einem Kofferraum versteckt auf dem Weg in die abtrünnige Republik Abkhazien.

Nach dem tragischen Tod von Otto Warmbier letzte Woche, habe ich viel über dieses Hobby nachgedacht und über die Reisegesellschaften wie die Young Pioneer Tours („Wir bringen Euch in die Länder, von denen eure Eltern nicht wollen, dass ihr sie bereist“) – jene Reiseagentur, mit der sowohl Otto Warmbier als auch ich eine Reise nach Nordkorea gebucht hatten.

Warum will irgendjemand überhaupt Nordkorea besuchen? Gute Frage. Warum gibt jemand freiwillig viel Geld aus, um in einer grausamen Diktatur, in der quasi alles verboten ist, jeden Tag damit zu verbringen, sich vor Statuen zu verbeugen und schönen Lügen von den Geliebten Führern Kim Jung-Il und Kim Il-Sung erzählt zu bekommen?

Und zwar jeden Tag von sieben Uhr morgen, bis um 9 Uhr abends. Die Nacht verbringt man im Yanggakdo Hotel, das auf einer Insel liegt und nur über eine Brücke mit Pjöngjang verbunden ist, die man als Tourist nur in seiner Reisegruppe überqueren darf. Tage, in denen man mit niemandem sprechen kann, der nicht Teil der Reisegruppe ist oder die nordkoreanischen Begleiter, die einem niemals von der Seite weichen. So dass man keine Chance hat, irgendetwas anderes von diesem Land mitzubekommen.

 

 

Trotzdem kommen um die zwanzig tausend Touristen jedes Jahr nach Nordkorea. Menschen, auf der Jagd nach dem krassesten Selfie für Instagram oder Facebook. Diktatur-Apologeten, die meinen, die westlichen Medien verbreiten nur Lügen über das sozialistische Paradies Nordkorea. Diktatur-Enthusiasten, die einmal in ihrem Leben Truman in einer real existierenden Truman-Show sein wollen und glauben, selbst die Pflanzen sind verwanzt und alle Nordkoreaner, die sie treffen, Schauspieler. Und die Anekdoten-Liebhaber, Absurditäten-Jäger, dark tourists eben, die es reizt, dort zu sein, wo sie nicht sein sollen und Dinge zu sehen, die sie nicht sehen sollen. Alles unter dem Vorwand, etwas über das menschliche Wesen zu lernen.

Sie alle verbindet eines: Das Gefühl von Unverwundbarkeit. Dass ihnen, egal, wo sie hingehen oder was sie tun, am Ende schon nicht passieren wird. Diese Naivität kommt meist daher, dass in den privilegierten Umständen, in denen sie wahrscheinlich aufgewachsen sind, Regeln gelten, auf die sie sich verlassen können: Respekt gegenüber dem Individuum und Rechtssicherheit, Fairness, oder schlichtweg Vernunft und Logik, kurz – die Vorzüge eines demokratischen Rechtsstaats, die Generationen vor ihnen mühsam erkämpft haben.

Diese Naivität und ihr Enthusiasmus lässt sie vergessen, dass diese Art von Tourismus nichts anderes ist, als einen Ast zu nehmen und damit im Fell eines schlafenden Bären herumzustochern. Es ist so lange aufregend und kribbelnd, bis der Bär zubeißt.

Der Bär hat Otto Warmbier gebissen. Er hätte auf meiner Tour auch andere fast gebissen. Wie etwa den Kroaten, der alleine aus unserem Hotel geschlichen ist und am nächsten Morgen stolz ein Video herumzeigte, auf dem er durch die Straßen von Pjöngjang schlendert. Erst als ein Auto neben ihm hielt, bekam er Angst und rannte zurück zum Hotel. Zum Glück war niemandem seine Abwesenheit aufgefallen. Ein paar Nächte später versuchten vier Niederländer es ihm nachzutun. Bevor sie sich aus dem Hotel schlichen, fragten sie vorsichtshalber einen der Reiseleiter der Young Pioneer Tours, der – anstatt sie davon abzuhalten – lachte und ihnen viel Glück wünschte. Als sie beim Herausschleichen erwischt wurden, wurden sie ausgeschimpft und von den nordkoreanischen Begleitpersonen eine letzte Warnung erteilt. Die Reiseleiter taten so, als hätten sie von den Plänen der vier nichts gewusst.

Auch die Reiseagenturen wie YPT dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Ja, sie bieten erwachsenen Menschen, die eigene Entscheidungen treffen, die passende Infrastruktur dazu an. Gleichzeitig verdienen sie Geld beim Spiel mit dem Feuer, im Irak, in Afghanistan, Eritrea oder Turkmenistan. Nach meiner Erfahrung auf zwei Touren und fünf Ländern ist das YPT-Personal eine Sammlung von alkohol-affinen Abenteurern, die einen Weg gefunden haben, ihr Hobby zum Beruf zu machen (viel Whiskey inklusive). Sie sind großartige Geschichtenerzähler mit riesigem Repertoire. Aber ich würde ihnen nicht zutrauen, sich aus irgendetwas komplizierterem heraus zu navigieren als einem Pappkarton. Wenn der Bär zubeißt, dann können diese Leute dich nicht schützen. Sie können noch nicht mal sich selbst schützen.

 

 

Und was uns angeht, die Touristen: Die Dinge, die uns an Nordkorea und anderen despotischen Regimen reizen, sind genau die Gründe, die uns davon abhalten sollten, dorthin zu fahren. Wenn mehr Menschen einem Ort unter Lebensgefahr entfliehen, als andere ihn besuchen wollen, dann ist das vielleicht ein Zeichen. Es gibt durchaus moralische Argumente, unmoralische Regime zu bereisen. Etwa, sie durch den Austausch mit dem Rest der Welt ein ganz kleinen bisschen zu öffnen, und, vorausgesetzt man macht es richtig, die Menschen in diesen Regimen selbst etwas Geld am Tourismus verdienen zu lassen. Aber das alles trifft nicht auf Nordkorea zu: Es findet schlicht kein kultureller Austausch zwischen Besuchern und Bewohnern statt. Die Bevölkerung profitiert wirtschaftlich in keinster Weise von diesem Tourismus und auch der Tourist lernt nichts über das Regime und seine Mechanismen, was er nicht besser in Büchern lernen könnte, von denen, die es geschafft haben, ihm zu entkommen.

Wer unbedingt nach Nordkorea reisen möchte, der wird höchstwahrscheinlich unbeschadet wieder zuhause ankommen. Mit außergewöhnlichen Selfies und obskuren Geschichten für den nächsten Kneipenabend. Aber je öfter man sich auf solche Reisen begibt, umso mehr vergisst man, dass man an einem riskanten Spiel teilnimmt – ein kleiner Fehler, eine doofe Idee nach zu viel Schnaps, und der Bär beißt zu. Otto Warmbier bezahlte für ein gestohlenes Poster mit seinem Leben. Ein verdammt hoher Preis für eine kleine Trophäe. Er wird nicht der letzte sein, der ihn bezahlt.

 

Fotos: Adam Fletcher 

 

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Das Buch

Als Engländer in Berlin verbringt Adam Fletcher Stunden auf seinem Wohnzimmersofa und schlürft Rhabarberschorle. Zum Ausgleich fährt er in den Ferien gern an Orte, die möglichst KEINE Entspannung versprechen: Orte wie Nordkorea, Tschernobyl oder Transnistrien. Reiseziele, vor denen seine Eltern ihn immer gewarnt haben. In seinem humorvoll-ironischen Buch kämpft sich Fletcher durch einen Schneesturm in China, er überlebt die nordkoreanische Propagandamaschinerie, trifft den leibhaftigen Teufel im Bus durch Moldawien und besucht Länder, die eigentlich gar keine sind (oder haben Sie schon mal von Liberland gehört?). Seine überraschende Erkenntnis: Wir geben uns zwar Mühe, es zu verstecken, aber am Ende sind wir doch alle gleich verrückt.

Links 

„Du fährst wohin?!“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage 

Die offizielle Website von Adam Fletcher 

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Adam Fletcher

Adam Fletcher

Adam Fletcher, Jahrgang 1983, ist ein glatzköpfiger Engländer. Wenn er nicht gerade Bücher und Artikel schreibt, verbringt er seine Zeit damit, Schokolade zu essen und seine Wahlheimat Berlin unsicher zu machen. Er ist der Autor von Denglish for Better Knowers und Make Me German.

Foto: © privat

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