„Können Kriege gerecht sein?“ Dieser Frage widmet sich der evangelische Militärbischof Sigurd Rink in seinem gleichnamigen Buch. Welche Bedeutung die Arbeit des einst radikal-pazifistischen Militärgeistlichen für die innere Verfassung und Orientierung der Soldat*innen hat, beschreibt die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, anlässlich der Buchvorstellung.

Sigurd Rink im Gespräch mit der Journalistin Evelyn Finger über sein Buch. (c) Bettina Kasten
Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen anlässlich der Buchvorstellung „Können Kriege gerecht sein?“ des Evangelischen Militärbischofs Dr. Sigurd Rink am 6. Juni 2019 im Bundespresseamt, Berlin

Ursula von der Leyen während ihrer Rede.
Als Sie mir von Ihrem Buch berichteten, war ich gleich neugierig.
Natürlich weil mich interessierte – als Ministerin und Protestantin –, was Sie aus der einzigartigen Perspektive des evangelischen Militärbischofs über unsere Bundeswehr zu berichten haben. Aber mehr noch, weil ich Sie in den fünf Jahren, die Sie dieses Amt nun ausfüllen, als klugen und aufmerksamen Gesprächspartner schätzen gelernt habe.
Und weil es so wichtig ist, dass Menschen wie Sie von unserer Bundeswehr erzählen. Das Gespräch darüber, was es bedeutet, Soldatin oder Soldat zu sein. Die Debatte, wofür wir unsere Streitkräfte einsetzen wollen – und wofür nicht.
Nur dann können wir die Frage schlüssig beantworten, was für Streitkräfte wir wollen. Und wie wir sie ausstatten müssen, damit sie ihren Auftrag erfüllen können.
Lieber Herr Rink,
Ihr Buch leistet einen wertvollen Beitrag zu dieser Debatte.
Deswegen bin ich froh, dass Sie es geschrieben haben. Denn der unabhängige Blick der Militärseelsorge ist ein hohes Gut. Diese Unabhängigkeit ist DIE Voraussetzung dafür, dass die Militärseelsorger für die Soldatinnen und Soldaten da sein können. Als Zuhörer, Tröster, eben als Seel-Sorger im Sinne des Wortes.
Der besondere Reiz Ihres Buches liegt für mich darin, dass ich eigentlich vier verschiedene, miteinander verflochtene Bücher darin gelesen habe. Erstens ist es eine intellektuelle Biographie.
Die Geschichte des friedensbewegten, ja radikal-pazifistischen (wie Sie selber sagen) jungen Theologen, der zum Militärbischof wird.
Ihre Geschichte.
In der sich aber auch die politische Geschichte unseres Landes spiegelt. Von den friedensbewegten Zeiten der späten 1970er und frühen 80er Jahre über die ersten Schritte des wiedervereinigten Deutschlands – bis zur heutigen Zeit der gewachsenen internationalen Verantwortung.
Mich hat in den Bann gezogen, wie Sie Ihr Ringen mit den moralisch-politischen Fragen beschreiben. Wie der schreckliche Völkermord in Ruanda Sie dazu gebracht hat, pazifistische
Gewissheiten zu hinterfragen. Wie offen Sie mit Ihren Zweifeln umgehen,
Ihre Offenheit für neue Gedanken, für eine veränderte Haltung – ohne dabei je beliebig zu werden.
Die Frage, wann der Einsatz militärischer Gewalt gerechtfertigt ist, macht nicht nur den Kern der Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus. Sie ist eine Grundfrage, der sich jede Gesellschaft stellen muss.
Davon handelt das zweite Buch:
Es schenkt uns eine Einführung in die Geistesgeschichte der Friedensethik. Das Nachdenken über den gerechten, also gerechtfertigten Krieg hat eine lange Tradition – von Augustinus bis Thomas von Aquin, von Luther bis Kant. Aber wie beantworten wir diese Frage heute?
Mich beeindruckt, wie Sie in Ihrem Buch von der „verantwortungsethisch anspruchsvollen Grauzone der Wirklichkeit“ schreiben. Wie Sie Max Webers berühmter Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik das Gegensätzliche nehmen. Sie beschreiben sehr eindrücklich, dass die Militärseelsorge „vor allem Verantwortung für die ihr anvertrauten Soldatinnen und Soldaten übernehmen [muss].
Das Verhalten der Militärgeistlichen ist damit einer Verantwortungsethik verpflichtet, aber ohne dass der Zielhorizont, die Vision eines gerechten Friedens aus dem Blick gerät.“
Für diesen Zielhorizont haben wir kluge und wichtige Leitplanken. Das Völkerrecht, die Schutzverantwortung, Gewalt als Ultima Ratio. Und doch bleibt jede Entscheidung ethisch singulär. Daraus erwächst auch der hohe Anspruch an das Handeln jedes einzelnen Soldaten insbesondere im Einsatz.
Gerade in diesen Situationen Zuspruch zu geben und Trost zu spenden, das macht den Dienst der Militärgeistlichen so besonders wertvoll.
Das führt mich zum dritten Aspekt Ihres Buches, der Einsatzreportage.
Sie haben unsere Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten häufig besucht.Und Sie beschreiben lebendig, was Sie gesehen und erlebt haben. Ihr Buch reflektiert über Sinn und Zweck der sehr verschiedenen Einsätze, von Mali bis Afghanistan.
Auch da gibt es keine leichten Antworten.
Aber das unterstreichen Sie in Ihrem Buch immer wieder auch:
Nichtstun, Sich-Heraushalten, wäre gewiss keine gute Alternative.
„Christinnen und Christen“, so schreiben Sie, „erkennt man nicht nur an hehren Überzeugungen, sondern an der Bereitschaft, im Dienst am Nächsten diese Welt in kleinen Schritten zu verändern.“
Diese kleinen Schritte hin zu einer friedlicheren Ordnung, der Beitrag der Bundeswehr zu Stabilität und Entwicklung in der Welt, der wird aus der so eindrücklichen Beschreibung Ihrer Einsatzreisen deutlich. Die Bundeswehr leiste „Friedensarbeit im wirklichen Sinne des Wortes.“
So beschrieb es die Bundeskanzlerin vor wenigen Tagen beim Besuch in Munster.
WIE unsere Bundeswehr das auch in Zukunft tun kann, damit beschäftigt sich der vierte Aspekt des Buches.
Es ist ein wahrer Leitfaden für Zukunftsfragen – zu viele, um hier alle anzusprechen.
Da geht es um die Vereinbarkeit von Dienst und Familie, um unsere Entscheidung zur Ausweitung der Militärseelsorge auf jüdische und muslimische Seelsorger – ich bin dankbar, dass Sie das unterstützen.
Und Sie denken darüber nach, wie man unsere Bundeswehr nach der Aussetzung der Wehrpflicht enger in das Alltagserleben der Bürgerinnen und Bürger einbinden kann.
Sicher ist, da führen viele Wege ans Ziel.
Einer davon ist es, wenn Bücher wie Ihres eine große Leserschaft finden.
Herzlichen Dank!