The Sound of Bavaria, part I: Straßen der Heimat

Graf-Autor Harry Kämmerer ist im niederbayerischen Passau geboren und lebt seit vielen Jahren in München. Im ersten Teil von „The Sound of Bavaria“ berichtet er von den Eigenheiten und dem Selbstverständnis der „echten“ Münchner, erkennt wahre Klischees und sinniert über „Heimat“ und was das eigentlich bedeutet.

von Harry Kämmerer

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Bayern durch die rosa Brille: München, Munich, Monaco. (© Harald Kämmerer)

Egal ob Berlin oder München, die echten Einheimischen sind immer die Schlimmsten. Also ich bin ja Münchner, lange schon, aber nicht hier geboren. Zum Glück. Denn gestern in der Kneipe erklärte mir ein „echter“ Münchner mal wieder, wie das ist mit dem „Bairisch-Sein“ und dem „Münchner-Sein“. Voll umfängliche Deutungshoheit. Und natürlich sehen die Nicht-Eingeweihten nur die Klischees. Und kolportieren die auch noch. „Echt, du schreibst München-Krimis? Kennst du dich denn da aus?“ Nein, überhaupt nicht, ich wohn nur bald 30 Jahre in der Stadt. Leben trau ich mich ja schon gar nicht sagen. Und gute München-Autoren sollten natürlich vor allem die Klischees über die Landeshauptstadt bekämpfen.

Klarer Auftrag. Ja, so weit ist es mit der viel beschworenen Liberalitas Bavariae halt doch nicht her. Ich wusste gar nicht, worüber sich der Typ beschwerte. Die Klischees stimmen ja alle: der Gemütlichkeitswahnsinn selbst in Speisekarten (a griabige Brotsuppn als Magntratzerl), der Grant (die stets schwelende Aggression gegenüber allem, was man nicht kennt, was nicht aus München kommt usw.), das Aufgmaschelte (eine kleine Trachtenapplikation adelt auch das Armani-Sakko) und was es sonst noch an Klassikern gibt, bis hin zu den von Aufbackbreznduft verpesteten S-Bahnhöfen. So schaut’s halt aus und riecht’s und schmeckt’s – nicht nur zum Oktoberfest. Wobei Stereotypen doch gar nicht verkehrt sind. Ich find’s ganz gut, wenn man wohin kommt und ungefähr weiß, was einen erwartet. Ich geh ja auch nicht beim Kaufhof in die Unterwäscheabteilung und beschwer mich dann bei der Verkäuferin: „Hey, ihr habt’s ja hier nur Unterhosen.“

Nicht ganz gerade der Vergleich, aber fast. So ein engstirniger Typ war das jedenfalls gestern in der Kneipe. Als er sich dann noch über Niederbayern (Personen wie Gegend) ausließ, hab ich ihn nicht „gefotzt“ (ins Gesicht gehauen), sondern mich mit meiner Halben woanders hingesetzt. Das Bier hat mich milde gestimmt, aber ich bin total ins Grübeln gekommen. Ist Oberbayern jetzt Uberbayern oder was? Ich mag jedenfalls alle Bayern. Heimat hat doch nix mit Heimatschutzbehörde zu tun, sondern damit, wo man lebt. Oder? Mein Spezl Reini (der Mann mit der Gitarre auf meinen Lesungen) ist ja auch ein Münchner, obwohl er „erst“ 15 Jahre hier lebt und ursprünglich aus Kettwig an der Ruhr kommt. Und doch maximal ein „Zugroaster“, wenn man einen echten Münchner fragen würde. Wen wundert es da noch, dass wir in Bayern gerade so einen Stress mit den echten Migranten haben? Sind wir halt nicht gewöhnt. Aber die Münchner sind zumindest kreativ. Jetzt haben die ein paar Flüchtlinge sogar in den Katakomben des Olympiastadions untergebracht. Kein Scheiß. Ich musste da gleich an die Gänge unter der Arena im Colosseum denken.

Willkommen

Hier ist noch Platz! Ein herzliches Willkommen! (© C.Weiß)

Mir schwant Böses. Bestimmt überlegen sich die Leute bei Red Bull schon, was sie mit diesen Gästen Spannendes in dem ansonsten nutzlosen Stadion machen können. Vielleicht knallharte Gladiatorenkämpfe, deren Gewinnern bearbeitete Asylanträge winken? Wie die Anträge ausgehen, wird dann in einer letzten kniffligen Aufgabe entschieden. Irgendwas Spannendes wie barfuß ohne Sicherung übers Stadiondach oder so. Nein, das ist jetzt auch wieder grob. Oder man macht lustige Integrationswettkämpfe im Schuhplatteln, Schnupfen oder Jodeln.
Man muss sich schon was einfallen lassen, wie unser Ministerpräsident gerade einer großen überregionalen Zeitung erzählt hat. Überschrift: „Flüchtlinge human aufnehmen und begleiten.“ Ja, wohin denn? In die Heimat? Natürlich hat die Regierungspartei da generell die Kernkompetenz: „Gemeinsam Heimat schaffen“, „Heimat braucht Zukunft“, „Meine Heimat mitten in Europa“ – alles super Leitsätze. Und überhaupt: Heimat-Ministerium!

Geht doch mit der Integration

Geht doch mit der Integration! Die haben’s geschafft. (© C. Weiß)

„Heimat“ beschäftigt mich schon. Für mich heißt die ja nicht nur München. Ich bin in Passau aufgewachsen, einer idyllischen Stadt an drei Flüssen, in, nun ja, Niederbayern. Gelegentlich fahre ich dann auch „heim“, so rootsmäßig. Schon auf der Zugfahrt – wenn die Leute in Landshut, Landau, Dingolfing, Plattling, Osterhofen, Vilshofen ein- und aussteigen – verfärbt sich die Sprache. Und wenn ich die Leute so unterschiedlich reden höre, dann spür ich Heimat. Die sich immer anders anhört. Erst wird die Aussprache immer breiter, dann wieder heller, flacher – Passau ist ja schon fast Österreich. Wenn ich Zeit habe, gehe ich in Passau vom Bahnhof aus durch die Fußgängerzone. Auf dem Weg sieht man ganz gut, was sich in den letzten Monaten wieder in der Dreiflüssestadt getan hat. Ich sag nur: Orsay, Pimkie, Zara. Alles da. Von wegen Provinz. Und immer macht was gerade zu oder auf, es ist ein stetiger Wandel.

Was bleibt, ist der Sound. So wie der von zwei sanft weißbiergeröteten Einheimischen in der Fußgängerzone. Beide knapp jenseits der 30. Männer natürlich.
„Hast des gesehn?“
„Wos?“
„Die, davorn. Die mit dem fetten Arsch.“
„Boh! Wia a Brauereiross!“
„Des is die Wittmeier.“
„A geh?“
„Freilich.“
„Is die jetzt so a Blunzn? Is die no mit’m Gruber zam?“
„Scho lang nimma. Die hat gheirat und baut. In Freyung.“
„Mei, de Waidla.“
„Aber’s Bier is billig. Da draußen kriagst a Hoibe no für’n Zwickl.“
„Echt? Supa. Wahnsinn, die Wittmeier… Woaßt no…“

Ja, super, denk ich mir auch. Alle wichtigen Fragen geklärt: Ehestand, Wohnsitz, Bierpreise. Ich steig übers Kopfsteinpflaster zum Dom rauf und weiter zum Rathaus. Und freu mich über die schönen Straßennamen: Große Messergasse, Kleine Messergasse, Große Klingergasse, Heuwinkel, Pfaffengasse… Am Rathaus steig ich in den Bus nach Hause.
Als ich dort noch im Edeka – der beste Bayerns! jodelt ein Plakat – einkaufe, bin ich platt. Einst ein schmuckloser Supermarkt, jetzt ein Serviceparadies mit eigenem Straßenplan. Wow! Reisgasse, Whiskasplatz… Ich verlaufe mich hemmungslos im Gewirr der Gassen und Straßen und packe Produkte in meinen Wagen, die ich gar nicht will. Katzenfutter zum Beispiel. Ich bin so drin im Groove, dass ich alles mitnehme.

Toilettenstraße

Heimat, wie ich sie mag – klar strukturiert. (© Harald Kämmerer)

Doch, das gefällt mir, das Serviceorientierte, das Marketingmäßige. Gerade im tiefen Niederbayern. Eigentlich wäre diese Orientierung durch Produkte des alltäglichen Bedarfs generell ein gutes Modell, um den komplexen Alltag des modernen Menschen ein wenig zu erleichtern, mehr Heimat und Sicherheit zu schaffen. Auch in München-Haidhausen, wo ich wohne. Die Rosenheimer Straße (Ilmaz Imbiss) wäre dann die Dönerstraße, die Steinstraße (Metzgerei Vogel) die Wurstgasse, die Wörthstraße (Käsmüller) der Käse-Boulevard oder die Weißenburgerstraße (dm, Müller) die Klopapierstraße. Das sind so die Wege meiner Heimat München. Fände ich gut. Allerdings schon sehr persönlich. Verallgemeinern lässt sich das ja leider nicht. Sonst gibt’s schnell Chaos. Dann gehen die Leute los und kaufen ihre Wurst in der Klopapierstraße oder so. Hat ja jeder andere Vorlieben. Da denk ich noch mal drüber nach. Straßen und Produkte… Früher war es doch mal so, dass die Handwerker jeweils im selben Viertel oder in derselben Straße zu finden waren. Zunftordnung halt. Ist der Edeka in Passau jetzt ein Vorbote dafür, dass alles wieder so wird wie es einmal war? Wäre natürlich super. Wegweisend und trotzdem traditionell. Fänden unsere Heimatschützer bestimmt super: Weil früher war eh alles besser!

Aber was lerne ich wirklich daraus? Ist doch klar: dass die Niederbayern die eigentlichen Vorreiter sind. In Bayern zumindest. Zukunftsorientierte traditionsbewusste Anachronisten. Von wegen Hinterwäldler! Da können mir die Oberbayern mal den Haferlschuh aufblasen! Das knall ich dann dem nächsten „echten“ Münchner in der Kneipe vor den Latz. Womit ich wieder ganz am Anfang wäre. Woher ihr auch kommt, lasst uns bitte mit den „echten“ Münchnern und Bayern nicht allein!

Bier

© Harald Kämmerer


 

Harry Kämmerer

Harry Kämmerer

Harry Kämmerer, geboren 1967, aufgewachsen in Passau, lebt mit seiner Familie in München. Verlagsredakteur mit Herz für Musik, Literatur und Kabarett. Verfasser einer Dissertation zum Thema „Satire im 18. Jahrhundert“ und der kultigen Krimis IsartodDie Schöne MünchnerinHeiligenblut und Pressing.

Foto: © Christian Weiß

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