Am 26. Februar starb der Autor, Literaturkritiker und langjährige Zeit-Feuilletonchef Fritz J. Raddatz im Alter von 83 Jahren. Vor elf Jahren erschien seine Autobiografie im Propyläen-Verlag. Programmleiter Christian Seeger erinnert sich.
Die Nachricht, dass Fritz J. Raddatz aus dem Leben geschieden ist, hat in mir all die Bilder unserer Zusammenarbeit an seiner großartigen Autobiographie wieder aufleben lassen. Nie habe ich so viel Champagner getrunken wie in jenen Wochen und Monaten des Frühjahrs 2003. Und selten so gut gegessen, meist im mondänen Jahreszeiten-Grill an der Hamburger Binnenalster – „in angemessenem Rahmen“, wie Raddatz mit dandyhaftem Understatement sagen würde.
Ein Dandy war er – im besten Sinne des Wortes. Von Kopf bis Fuß. Oscar Wilde ließ grüßen. Immer wie aus dem Ei gepellt, teuerste handgefertigte Schuhe, gern grellfarbene Socken dazu, extravagante Hemden, goldene Manschettenknöpfe, bunte Krawatten, stets mit Nadel, wild gebauschte Einstecktücher in großkarierten Cashmere-Sakkos. Very British. Und erst sein Haus in der noblen Eppendorfer Heilwigstrasse, direkt an der Alster. Ein Reihenhaus zwar, aber in seiner Eleganz mit Wintergarten, Veranda und Rasenfläche zum Wasser hin doch eher eine kleine Villa. In der großzügigen Beletage ein Sammelsurium erlesenster Möbel, Lampen, kunstvoller Interieurs, an den Wänden Bilder befreundeter Künstler von Wunderlich über Grass bis Janssen, alle ihm persönlich gewidmet, in den Vitrinen die Bücher seiner Autoren-Freunde aus aller Welt, ebenfalls mit liebevollen Widmungen. Eine Raddatz-Weihestätte. Er habe alles dem Hamburger Kunstgewerbemuseum vermacht, erzählte er mir während der „Schloss-Führung”, unter der Auflage, dass es dort eins zu eins präsentiert werde.
Der erste Empfang nach Vertragsabschluss im sonnendurchfluteten Wintergarten, die erste Flasche Champagner zwischen elf und Mittagsmahl. Seine angenehm-sonore Stimme, die immer wieder Anklänge an die Berliner Herkunft verriet. Seine Rede changierend zwischen soigniert und schnoddrig. Neugier auf die Verlagsgeschäfte, besorgte Fragen zu den Besitzverhältnissen – Ullstein/Propyläen wurde gerade von Springer an Bonnier verkauft. Ganz uneitles, freundschaftliches Herantasten an den Besucher aus Berlin, seinen Verleger in spe. Immer eine Zigarette zwischen den nikotinbraunen Fingerkuppen, eine Färbung, die auch der gewaltige Schnauzbart angenommen hatte und die so gar nicht zu der sonst so penibel gepflegten Erscheinung passen wollte.
Mittags Ochsenschwanzsuppe mit Sherry, Toast mit Gänsestopfleber, Kaffee, dazu ein Grand Cru aus dem Bordeaux, serviert von einer flüchtigen Hausdame an vollendet gedeckter Tafel. Weiße Tischwäsche, edles Porzellan, schweres Silberbesteck, selbstverständlich mit stilgerechten Messerbänkchen. Unvergessliche Inszenierung all das, die den Zweck des Imponierens nachhaltig erfüllte. Eitel, aber doch auch liebevoll und alles andere als steif. Man fühlte sich auf angenehme Weise willkommen.
Nachmittags zog sich Fritz „Jott” zum Schläfchen zurück, während sein schon leicht benebelter Memoiren-Verleger sich – wieder im Wintergarten-Korbstuhl ‒ über die Tagebücher beugen durfte, Grundlage der zu besprechenden und zu schreibenden Autobiographie. Allerspannendste Lektüre in dicken Leitz-Ordnern, intimste Einblicke in die Befindlichkeiten des trotz aller Gastfreundschaft doch noch befremdlichen Gastgebers.

Propyläen-Programmleiter Christian Seeger mit den Raddatz-Erinnerungen und der Raddatz-Akte – „der dicksten Akte meines Verlagslebens“. (Foto: Benjamin Vieth)
Die Lektüre versprach auf Anhieb das grelle, provokante, abgründige Buch, das Raddatz’ Erinnerungen dann unter dem trefflichen Titel „Unruhestifter” werden sollten.
Beste Einstimmung also für eine weitere Flasche Champagner am Spätnachmittag und Schwelgen in Bestseller-Phantasien – vom Autor streng erwartet („Was werdet ihr für mein Buch tun?!!!”), von mir angesichts des gigantischen Vorschusses sehnlichst erhofft und wortreich beschworen.
Beschwingt dann im Taxi zum „Vierjahreszeiten” am Neuen Jungfernstieg, der Fenstertisch mit Blick auf die hanseatische Skyline von Raddatz reserviert. Nun durfte der Verlag sich von seiner spendablen Seite zeigen. Als mein unerschütterlich trinkfester Autor das Weinglas erhob, mich mit seinen hinter getönter Riesenbrille mal spitzbübig funkelnden, mal melancholisch dreinblickenden dunklen Augen ansah und sagte: „Ach Jott, Herr Seeger, da kommt viel Arbeit auf uns zu!”, wurde mir die geheimnisvolle Bedeutung seines Namensinitials „J.” schlagartig klar – der jöttliche Fritz.
Es war der Beginn einer furiosen Zusammenarbeit, mit täglichen Faxen hin und her, dem üblichen Streit um jedes Komma, telefonischem Freuden- und Gelächteraustausch über geniale Formulierungen und umwerfend komische Passagen und stetig wachsender Vorfreude auf das veritable Buchereignis – das sich dann im Herbst 2003 pünktlich zur Frankfurter Buchmesse einstellte. Begossen mit Champagner.