Die Verfilmung von „Fifty Shades of Grey“ führt auch in der dritten Woche weiterhin die Kino-Charts an. Die Ullstein-Autorin und frühere Domina Nora Schwarz hat sich den Film über die Beziehung zwischen Milliardär Christian Grey und Studentin Anastasia Steele angesehen und erläutert, warum „Fifty Shades of Grey“ nichts mit SM zu tun hat, sondern vermeintlich überwundene Machtverhältnisse befördert.
von Nora Schwarz

Foto: Grendelkahn/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0
Ok, ich habe mir den Streifen angesehen. Ich wollte wissen, was genau an der „Fifty Shades of Grey“–Hysterie den Zeitgeist bis zum Geht-nicht-mehr stimuliert. Nun ja, die berühmte Peitsche schon mal nicht. Denn nach knapp zwei Stunden Film – in denen übrigens sehr viel Zeit bleibt, die anderen Zuschauer im Kino zu beobachten, ohne etwas zu verpassen – komme ich auf gerade einmal knapp 15 Minuten, in denen es mit Utensilien dieser Art zur Sache geht (die gerade so erfolgreich in den Baumärkten laufen). Immerhin kitzelt Christian Grey einmal Anastasia Steeles Klitoris mit einer Reitgerte, und dann gibt’s noch ein paar Minuten, in denen es um gewöhnlichen Sex geht. Das war‘s. Den Rest bewerte ich nicht in meiner Eigenschaft als dominant veranlagte Frau. Und auch nicht in meiner Eigenschaft als Cineastin. Beide Grundhaltungen wären bei „Fifty Shades of Grey“ eher masochistisch. Mittlerweile dürften alle begriffen haben, dass in jedem Madonna-Videoclip mehr SM steckt als in diesem Film. An dessen Ende wurde mir klar, dass man die Viertelstunde locker hätte herausschneiden können, in denen Anastasia gefesselt und mit verbundenen Augen stöhnt – es hätte die Geschichte nicht im Mindesten verändert.
Aber wir haben es hier immerhin mit Christian Grey zu tun, der Idealverkörperung des erfolgreichen Mannes, der rücksichtslos manipuliert, kontrolliert und keinerlei Auflehnung akzeptiert – da wäre es doch reine Verschwendung, wenn diesen Typ nicht auch im Bett sein Ego reiten würde, oder? Diese asoziale Haltung mit der Natur eines dominanten Liebhabers gleichzusetzen und dadurch zu rechtfertigen, ist das große Gefahrenpotenzial von „Fifty Shades of Grey“, und es macht mich als SM-veranlagte Person fassungslos. Das Werk von E. L. James hat es geschafft, dass Menschen, die keine Ahnung von SM haben (oder durch das Buch/den Film diese Neigungen gerade erst in sich entdecken) glauben, der übergriffige, einschüchternde und kontrollsüchtige Christian Grey sei das Ideal des aufregenden dominanten Liebhabers, der dann eben auch außerhalb des Spielzimmers nicht anders kann… Ein armer Kerl, der aufgrund eigener Gewalterfahrungen in der Jugend verlangt, sie möge bitte seinen narzisstischen Zwang, Menschen zu verletzen, akzeptieren oder sich halt verpissen. Die Frau hat es gefälligst toll zu finden, dass ihr Typ sie zuerst brutal entjungfert und sie danach mit dem Heli rumfliegt, um sie vergessen zu lassen, dass sie für ihn ein seelischer Fußabtreter ist.
In Zeiten von Revenge-Porn und Pickup-Artists ist das vielleicht die bislang klarste Stellungnahme zum aktuellen Zeitgeist. Es stellt sich die Frage, warum gerade so viele Frauen sich die Story um Grey und Ana antun, wenn es doch Hunderte andere Bücher und dutzendweise Filme gibt, in denen sie mehr über SM erfahren könnten (den wundervollen Film „Secretary“, um nur einen zu nennen). Ist „Fifty Shades of Grey“ deswegen so erfolgreich, weil er für einen Großteil der Frauen genau das impliziert, was wir vielleicht nicht wahrhaben wollen? Dass es uns eigentlich viel zu anstrengend ist, uns auf unsere erkämpfte Stärke zu berufen? Dass wir uns insgeheim nach Bevormundung sehnen, wenn wir uns dafür nur wie eine Prinzessin fühlen dürfen?
Ich habe ja den Verdacht, dass im Buch so viele Sexszenen vorkommen, um davon abzulenken, dass Grey ein psychotischer Macho ist. In dieser Hinsicht bin ich sogar dankbar für den Film. Weil man nicht zwei Stunden lang wilden Sex zeigen kann, entsteht genug Raum, um diese traurige, bittere Beziehungskiste zu entlarven, die so viele Frauen in Wirklichkeit durchleben ‒ nur eben nicht im Gewand einer Hollywood-Schmonzette, die das Etikett „Große Liebe“ trägt. „Fifty Shades of Grey“ tut mit den Lesern und Zuschauern das, was ein Vergewaltiger tut. Er verkauft etwas als normal, weil er will, dass es normal ist. Und wenn so etwas, wie hier, geschickt untermalt wird von Annie Lennox und Beyoncé, wirkt es plötzlich gar nicht mehr so gruselig…
Was mir im Kinosaal besonders aufgefallen ist, war die Reaktion des Publikums an den seltenen Stellen, bei denen Grey sich wie ein ganz normaler, süßer Typ benimmt, der sich nette Kleinigkeiten für Ana ausdenkt und sie ausnahmsweise mal nicht mit protzigen Geschenken einschüchtert. In diesen raren Momenten höre ich von den anderen Kinositzen schmachtende Geräusche. Meine Güte, bei jedem anderen Mann würde man das vollkommen normal finden. Aber hier scheint es, als sei das Publikum und allen voran Anastasia geradezu dankbar für solch selbstverständliche liebevolle Nuancen. Ja, wir müssen dankbar sein für die Brosamen der Liebenswürdigkeit, die uns ein solcher Mann zuwirft, denn sie sind eben nicht selbstverständlich und Ana bekommt sie nur, wenn sie brav ihren Teller aufisst.
Was der Film mit dem Publikum macht, ist erschreckend. Er nimmt sich das Recht heraus, das zu verhöhnen, was wir für selbstverständlich halten. Was hier passiert, ist die schleichende Verweigerung all dessen, was normal ist und in einer gesunden, erwachsenen Beziehung längst nicht mehr hinterfragt wird: zu sagen, was man will und was man nicht will; Bedürfnisse und Erwartungen zu kommunizieren; Grenzen zu setzen. Für Grey ist so etwas jedoch nichts als trotzige Auflehnung, die nach Bestrafung schreit. Aua.
Im Gegensatz zum Buch habe ich im Film glücklicherweise viele Stellen entdeckt, die mich aufatmen ließen. Es gibt weder die unsägliche Vergewaltigungsszene noch die enervierenden Dialoge Anastasias mit ihrer nicht vorhandenen inneren Göttin. Dakota Johnsons Interpretation lässt die Ana des Buches hinter sich. Sie wehrt und behauptet sich ‒ manchmal. Gleichzeitig irrlichtert ihr Charakter zwischen völliger Selbstaufgabe und absoluter Nüchternheit, für die man ihr am liebsten zujubeln würde.
Die Gnadenlosigkeit der Kamera enthüllt jedoch den wahren Charakter der Figur Anastasia: ein Mädchen, das gleich zu Beginn des Films so traurig dreinschaut, als sei sie schon mitten drin in einer durch und durch missbräuchlichen Beziehung; ein Mädchen, das dankbar ist für die Orgasmen, die Grey ihr beschert und deswegen auch alle paternalistischen Übergriffe akzeptiert.
Die Story ist so erfolgreich, weil sie eine moderne Aschenputtel-Mär erzählt. Eine derart gut konstruierte, bei der kaum jemandem auffällt, dass die Geschichte gar nicht funktionieren würde, wenn Anastasia Steele eine selbstbewusste Frau wäre, die weiß, was sie will. Denn ein Christian Grey kann seinen Narzissmus nur zwischen den Schenkeln einer grauen Maus austoben, die dankbar wimmert, wenn der tolle Typ mit dem Helikopter sie überhaupt wahrnimmt. Dadurch wird der Missbrauch, dem er sie aussetzt, zur selbstlosen Beschützergeste und die Respektlosigkeit eben zur dominanten Note. Jamie Dornan, der Grey spielt, bietet übrigens eine exzellent realistische Verkörperung dieser Figur, denn sein leeres, nuancenloses Gesicht entspricht genau der Vorstellung, die ich schon immer von einem Psychopathen hatte.
Die Gefahr von „Fifty Shades of Grey“ liegt für mich darin, dass SM hier als Ablenkungsmanöver benutzt wird, um von der eigentlichen Substanz der Geschichte abzulenken: dass Missbrauch etwas Normales ist; dass Grey nur so handeln kann, wie er handelt, weil er halt ein dominant veranlagter Mann ist, und nicht, weil er ein durchgeknallter Typ ist, der eigentlich in Behandlung gehört. Und dass Einschüchterung, Angst, Bedrohung und Manipulation obligatorische Bestandteile von SM sind. Deswegen ist dieser Film für mich beängstigend. Denn er zeigt das schleichende Grauen einer Horror-Beziehung, wie sie im echten Leben leider viel zu oft vorkommt. Ob mit oder ohne Reitgerte.
Weblinks
Die offizielle Website von Nora Schwarz
„Lessons in Lack“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
Danke, dass jemand diese ehrlichen Worte findet/finden darf!
Ich bin von diesem Artikel beeindruckt und begeistert. Ebenso wie von der reinen Sachlichkeit und dem ganzheitlichen Fehlen von Polemik. Denn entweder mir begegneten bisher euphorische Meinungen zu diesem Film, oder aber Sätze á la „Die haben ja kaum Sex.“.
Schöne Grüße,
Ramona
Liebe Nora,
danke für diese Zusammenfassung. Ich bin beruhigt zu lesen, dass es nicht nur mir so geht. Es ist erstaunlich diesen Effekt des Filmes wahrzunehmen in einer Welt, in der alle nach der Emanzipation der Frau zu schreinen scheinen. Ich bleibe dabei meine Romane mit starken Charakteren auf beiden Seiten zu bestücken. Das macht es ME erst interessant.
Und ich bin wirklich erfreut, dass eine „Fachfrau“ 🙂 das auch so sieht.
LG Yabu
Hallo.
Erschreckend finde ich vielmehr die Tatsache, dass in diesem Artikel der Missbrauch auf Sex beschränkt wird. Das zeigt, dass Nora keine Ahnung davon hat. Einerseits gut, andererseits sollte man den Blick auch darauf richten, dass man den Film hier ein wenig überspitzt darstellt. Ich habe weder das Buch gelesen noch den Film gesehen und das werde ich auch nicht. Allein schon deshalb, weil die ursprüngliche Geschichte eine reine Fanfiction ist, basierend auf Twilight. Dass dementsprechend dümmliche Charaktere zum Vorschein kommen, war abzusehen.
Missbrauch fängt nicht beim Sex an, sondern schon lange, lange davor. Im Prinzip kann man fast alles als Missbrauch deklarieren, was jemand rein aus Eigennutz tut. Sexueller Missbrauch resultiert daraus, dass jemand >gezwungen Außerdem gehört Dominanz durchaus dazu, zumindest im BDSM-Bereich. Aus dem Grund ist Shades of Grey ein wenig masochistisch, aber enthält auch geringe Teile, die kleinen Anfänge des BDSM.
Und gerade eine Domina sollte wissen, worum es bei der Dominanz geht. Privat zumindest bedeutet es Hingabe, sich fallen lassen können, viel Vertrauen, dass man auch aufgefangen wird. Wenn jemand dabei harten Sex mag, was ist daran verwerflich? Es gibt so viel schlimmere Dinge im BDSM, die weitaus gefährlicher sind, als zu verdeutlichen, dass Chris und Ana in einer Co-Abhängigkeit leben. Und sie mündet auch in der Tatsache, dass viele Menschen sich nach einem Menschen sehnen, der IMMER für sie da ist, der nicht einfach abhaut oder sie verlässt. Die unerfüllte Suche und Sehnsucht nach dieser einen Liebe und Verbundenheit, führt viele Bücher in der Richtung zum Erfolg. Wieso auch nicht?
Wenn ein schlechter Film anfängt unser privates Leben zu beeinflussen, haben wir längst die Kontrolle über uns selbst verloren. Das ist genauso behandlungsbedürftig. 😉
Danke für diesen tollen Artikel!
Ich persönlich hab das Buch weder gelesen, noch den Film geschaut. Natürlich sollte man sich dann kein Urteil bilden dürfen, aber von Anfang, seit dieser Hype begann, hatte ich den Gedanken:
„Da kann man ja auch einen Porno oder Erotikfilm gucken und kommt ans selbe Ziel.“
Klar ist das Geschmackssache, aber wenn vor einigen Jahren jemand eine Liebegeschichte geschrieben hätte, in der die kleine graue Maus vom bösen Geschäftsmann ausgepeitscht wird, hätte es keiner gekauft und nur ein Augenrollen dafür übrig gehabt.
Auf einmal ist dieses Thema so publik das es jeder will..
Da kommt bei mir aber die Frage auf: Das soll der aktuelle Stand der Emanzipation sein? Das alles erinnert mich an die 50er Jahre, als die brave Hausfrau am Herd stand und der Mann
ihr einen Klaps auf den Arsch gab.
Und wenn das ist was Frauen wollen: Gute Nacht Gleichberechtigung!