Willkommen in meinem Kopf!
Ein Werkstattgespräch mit Nick Louth

Was macht einen guten Thriller aus? Nick Louth, Autor von „Die Suche” und ehemaliger Self-Publisher, verrät in einem Werkstattgespräch, welche Techniken er nutzt, um die Leser zu fesseln und warum die Möglichkeit, selbst zu veröffentlichen mehr Demokratie in die Buchwelt gebracht hat.

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Herr Louth, warum haben Sie sich für das Schreiben von Thrillern entschieden? Was hat Sie an diesem Genre besonders fasziniert?

Das Thriller-Genre ist das Mittel der Wahl, wenn es darum geht, die Leser in den Bann des Autors zu ziehen. Wenn man ihre Nerven an der richtigen Stelle kitzelt, können sie das Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen. Sie sind dann nicht mehr in der Lage, noch irgendetwas anderes zu tun. Und sie begeben sich auf eine Reise durch den Kopf des Autors, ohne sicher zu sein, wo sich der richtige Ausgang verbirgt.

Worin sehen Sie die Hauptunterschiede zwischen Thrillern und Kriminalromanen?

Der grundlegende Unterschied zwischen Thrillern und Krimis besteht meiner Ansicht nach darin, dass die Perspektive in einem Kriminalroman oft vorgegeben ist. Man schaut einem Polizisten bei seiner Arbeit über die Schulter. Der Leser fühlt sich in dieser Position für gewöhnlich sicher. Ich möchte aber nicht, dass sich die Leser sicher fühlen. Ich möchte, dass sie Unsicherheit, Unruhe und Ungewissheit empfinden. Bei meinen Büchern sollen sie eben nicht wissen, wie es ihnen im Verlauf des Buches ergehen wird, was die Sache umso aufregender macht. Meine Thriller lassen Raum für Zweifel. Dieses Unbehagen schärft gewissermaßen die Sinne.

Wie entwickeln Sie Ihre Figuren?

Für meine Figuren gibt es viele verschiedene Inspirationsquellen. Manchmal begegnet mir ein Gesicht, beispielsweise in Form einer physischen Person, und ich denke, dass dieser Mensch eine großartige Romanfigur abgeben könnte. Oder ich sehe jemanden in einem Buch oder einer Zeitschrift. Und dann beginne ich damit, ihn mit bestimmten Charakterzügen auszustatten. In Ericas Fall war es so, dass ihre Stärke sich aus ihrer Vergangenheit ergab. Sie musste aufgrund dessen, was ihr in Afrika widerfahren war, sehr stark sein. Ich habe sie um diese persönlichen Stärken herum konstruiert. Ihr Aussehen kam erst später. Oft genug ist es aber umgekehrt.
Es gibt also viele verschiedene Quellen für die Entwicklung einer Figur. Was man aber gar nicht oft genug betonen kann, ist, wie wichtig es ist, dass die eigenen Figuren glaubhaft sind. Sonst können die Leser sich nicht in sie hineinversetzen und werden sich auf der Reise, zu der man sie einlädt, niemals wirklich wohlfühlen. Die Art, wie eine Figur im Buch rüberkommt, entscheidet auch darüber, wie man sich als Autor damit fühlt. Wenn man nicht an seine eigenen Figuren glaubt, bekommt man unter Umständen Probleme, das Buch überhaupt fertigzustellen. In diesem Sinne geht die Figur dem Plot voraus. Erst, wenn ich ein paar Musterszenen ausgearbeitet habe, wenn ich die Stimmen der Figuren in meinem Kopf hören kann und weiß, wie sie über wichtige Dinge denken, wächst in mir die Sicherheit, dass ich mit der Art, wie sich das Buch entwickelt, zufrieden sein werde.

Sie hatten also zuallererst eine Vorstellung von Max, der Hauptfigur des Buches?

Nein, zuerst kam Erica, weil sie die Figur ist, um die herum sich alles entwickelt. Max kam an zweiter Stelle. Im Fall von Max war es wichtig, eine Figur zu entwerfen, die über das Potential verfügt, die nötige Stärke zu Ericas Rettung aufzubringen. Max ist ein eher durchschnittlicher Mensch, der in seiner vorherigen Stellung bei der Küstenwache versagt hat. Trotzdem muss er die notwendige Stärke und Intensität in sich finden, um sich zu ihrer Rettung aufzuschwingen.

Manche Bücher führen gleich zu Beginn einen Superhelden ein. Es ist aber für die Leser meiner Ansicht nach viel schwieriger, voll und ganz mit einer solchen Person mitzufühlen, weil man von Anfang an weiß, dass ihr keine Grenzen gesetzt sind. Man denke nur an Protagonisten in der Art von James Bond. Ich persönlich bevorzuge das, was man eine sich entwickelnde Figur nennt. Eine gewöhnliche Person, die sich in außergewöhnlichen Umständen wiederfindet. Das führt dann zu einem Erweckungserlebnis, das die besten Seiten der Figur zum Vorschein bringt. Auf diese Weise nimmt man seine Leser mit, weil sie sich mit der Figur identifizieren können. Und man fügt der Erzählung eine weitere Ebene hinzu.

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Ihr Buch handelt von Malaria und von den Verstrickungen zwischen politischen Akteuren, Pharmakonzernen und Wissenschaftlern. Wie haben Sie es geschafft, ein so komplexes Thema in die Thrillerhandlung einzubauen?

In einem Thriller muss man häufig eine große Menge an Informationen unterbringen. Und für diese Informationen benötigt man Sprachrohre. Also gibt es bei mir zwei Malariaforscher, die sich miteinander unterhalten und ihren weniger bewanderten Kollegen Dinge erklären. Dank dieses Wechselspiels erhält der Leser seine Informationen.

Wie Sie schon sagten, ist ein Thriller in erster Linie eines: spannend. Welche Mittel nutzen Sie, um Spannung zu erzeugen?

Der Werkzeugkasten eines Autors bietet in dieser Hinsicht beinahe unendliche Möglichkeiten. Es gibt so viele verschiedene Ansätze. Man kann beispielsweise eine Situation erzeugen, in der die Romanfigur etwas weiß, das dem Leser unbekannt ist. Mal angenommen, man würde eine Sherlock-Holmes-Geschichte schreiben. Sherlock Holmes weiß über alles Bescheid, was sich noch zutragen wird. Dem Leser aber werden die Informationen nur häppchenweise enthüllt.

Der Daseinszweck Dr. Watsons besteht unter anderem darin, Sherlock Holmes Fragen zu stellen, aus deren Antworten der Leser seine Informationen bezieht. Das ist seine eigentliche Funktion. Es handelt sich bei Dr. Watson also um ein literarisches Instrument, das den Informationsfluss vom nahezu allwissenden Sherlock Holmes zum unwissenden Leser gewährleistet.

Man kann aber auch Spannung erzeugen, indem man den Leser Dinge wissen lässt, die der Figur unbekannt sind. Und wenn man eine verletzliche Figur hat, kann man den Leser emotional miteinbeziehen. Er bekommt dann das Gefühl, dass die Figur nicht ganz in der Lage ist, zu meistern, was sie jenseits dieser Tür oder in dieser speziellen Situation erwartet. Ich verwende meist eine Mischung aus diesen Mitteln.

Einen weiteren Spannungs-Effekt habe ich in meinem Roman über eine ziemlich toughe Nebenfigur erzeugt. Da gibt es einen Typen namens Janus Pretzcik. Er hat einen Antiquitätenladen, ist aber gleichzeitig ein hünenhafter Gewichtheber. Er ist ungefähr 2 Meter groß und er bekommt es im Verlauf der Geschichte mit der Angst zu tun. Wenn selbst der Europameister im Gewichtheben Angst hat, nun, dann sollten wir doch erst recht Angst haben.

Das sind also einige Mittel, die man als Autor einsetzen kann, um Spannung oder auch Furcht und Grauen zu erzielen. Man erzeugt beim Leser ein Gefühl der Ungewissheit. Natürlich muss man gleichzeitig auch Trittsteine auf dem Weg durch diesen Fluss der Ungewissheit zur Verfügung stellen, damit der Leser vorwärts kommt. Nach ein paar Kapiteln müssen ihm Dinge klar sein, die er vorher nicht wusste. Aber zwischen diesen Trittsteinen brausen dunkle Strömungen, die einen fortreißen können, wenn man einen falschen Schritt macht. Und genau darum geht es bei der Entwicklung eines Thrillers. Um eine Folge von Trittsteinen. Einige sind vielleicht ein bisschen wacklig. Andere sind zwar groß und vertrauenerweckend, aber man kommt von ihnen aus nicht weiter. Und so ergeben sich Räume, in denen man als Autor seine überraschenden Wendungen platzieren kann. Man führt seinen Leser in die Irre. Man lässt ihn in dem Glauben, dass er weiß, was kommen wird. Und dann sorgt man für eine überraschende Wendung, und plötzlich trifft das Erwartete doch nicht ein. Ich werde hier aber natürlich nicht verraten, worin diese unerwartete Wendung in „Die Suche“ besteht.

Nein, verraten Sie das bitte nicht. Um bei spannungsreichen Themen zu bleiben: Wie ist Ihre Meinung zu der Unterscheidung zwischen Unterhaltungsliteratur und ernsthafter Literatur in der Buchbranche?

Die Welt braucht gute Schriftstellerei. Ich glaube allerdings, dass es schwer ist, mit dem Schreiben solcher Bücher Geld zu verdienen. Es gibt natürlich sehr viel mehr Rezensionen für literarische Belletristik – zumindest in den klassischen Printmedien.

Aber gehen wir das Thema mal von einer anderen Seite an. In der Unterhaltungsliteratur steckt oft mehr literarisches Können als allgemein angenommen. Schließlich braucht es große schriftstellerische Fertigkeit, um die Leser bei der Stange zu halten, überzeugende Figuren zu erschaffen und dafür zu sorgen, dass die Leute eine Seite nach der anderen verschlingen.

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Meine letzte Frage betrifft das Self-Publishing, mit dem Sie ja auch Erfahrung haben.

Ja, ich war ursprünglich ein Self-Publisher.

Was würden Sie sagen, worin besteht der Hauptunterschied zum traditionellen Veröffentlichen in einem Verlag?

Nun, ich denke, jeder, der schreibt, möchte auch veröffentlicht werden. Die Vorstellung, dass die Qualität des eigenen Werks von Profis gewürdigt wird, ist großartig. Und solange man nicht bei einem traditionellen Verlag unter Vertrag ist, schafft man es nicht in die Bahnhofs-, Flughafen- oder Mainstream-Buchhandlungen. Selbst nachdem ich als Self-Publisher schon über eine Viertelmillion Exemplare verkauft hatte, ist es mir nicht gelungen, bis in die Buchhandlungen vorzudringen.

Für Self-Publisher ist vor allem der Internetbuchhandel wichtig, weil sie ihre Bücher hauptsächlich auf dem E-Book-Markt verkaufen. Und da profitiert man dann auch von allen Vorteilen des social media marketing. Wenn die Leute das Buch wirklich mögen, kann es ein viraler Hit werden. Vor zwanzig Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen. Die Verleger fungierten als Wächter der Branche und entschieden darüber, ob ein Buch erschien oder nicht. Wenn man heute unbedingten Wert darauf legt, dass das eigene Werk öffentlich verfügbar ist, kann man selbst dafür sorgen. Für ambitionierte Autoren ist die Self-Publishing-Revolution also eine tolle Sache. Die Frage, ob sich so auch mehr Geld verdienen lässt, bleibt aber offen. Das hängt davon ab, wie geschickt man sich anstellt, wie gut das Buch ist und ob man Glück hat. Glück spielt jedenfalls auch eine große Rolle. Das muss ich schon zugeben. Also, ja, ich bin ein überzeugter Anhänger der Idee, dass das Self-Publishing eine Entwicklung ist, die mehr Demokratie in den Buchmarkt gebracht hat.

 

Das Gespräch führte Susann Brückner


 

Weblinks
„Die Suche” auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

Nick Louth

Nick Louth

Nick Louth ist Wirtschaftsjournalist und ehemaliger Auslandskorrespondent der Nachrichtenagentur Reuters. Während seiner Zeit bei Reuters lebte er unter anderem in Amsterdam. Dort wurde er bei einem Mediziner-Kongress auf das Thema Malaria und das mangelnde Interesse der Pharmakonzerne aufmerksam. Nick Louth ist verheiratet und lebt in Lincolnshire, England. Sein Thriller „Die Suche“erschien im Mai 2015 im Ullstein Verlag.

Foto: © Louise Niekirk

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