von Tobias Mann
Forscher haben ein riesiges Virus im ewigen Eis gefunden, das nach dem Auftauen in der Petrischale eine regelrechte Après-Ski-Party mit ein paar ahnungslosen Amöben gefeiert hat. Für die armen Einzeller ist die Sause nicht gut ausgegangen. Man befürchtet nun, dass durch die Tauprozesse des Klimawandels früher oder später in tieferen Eisschichten weitere Viren zum Vorschein kommen, die bereits den Dinosauriern eine Rotznase verschafft haben. Als hätten wir nicht schon genug mit den unverfrorenen Viren und Bakterien der Jetztzeit zu kämpfen, liegen wir also demnächst vielleicht mit Dinosauriergrippe und Mammutangina flach. Bei der Vorstellung kribbelt mir als leidenschaftlichem Hypochonder jetzt schon der Rüssel.
Andererseits sind die viralen Gefahren aus dem Permafrostboden geradezu lächerlich im Vergleich zu dem bakteriellen Tsunami, der uns Eltern ganzjährig aus der Kita und spätestens mit den ersten Herbststürmen die Republik überrollt. Kerngesund gibt man die Kleinen ab, nur um sie als maximal infizierte Rhesusäffchen mit einem bunten Strauß an Kinderkrankheiten wieder abzuholen. Das Teuflische dabei: Während das kindlich-frische Immunsystem kurz und heftig reagiert, ziehen die infantilen Erreger hurtig weiter und stürzen sich lustvoll auf die trägen und eingerosteten Abwehrkräfte der Eltern wie die Hunnen auf die Burgunder und veranstalten eine zweiwöchige Orgie, wahlweise in Stirn- und Nebenhöhlen oder im Magen-Darm-Trakt.
Das Gute daran: Seit ich Vater bin, ist meine Hypochondrie weitgehend geheilt, weil ich vor lauter Infektionen gar nicht mehr dazu komme, mir Krankheiten einzubilden. In der Apotheke bin ich seit Jahren regelmäßig Kunde des Monats und werde inzwischen mit den Worten „Das Übliche, Herr Mann?“ begrüßt. Nach dem Ringen um Prophylaxe und dem damit verbundenen erfolglosen Verzehr unzähliger Zinktabletten nebst Abschluss eines Umckalo-Abos kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich aus schierer Verzweiflung der Homöopathie zuwendet. Nach etlichen Enttäuschungen ist allerdings mein Glaube an die Mozartkugeln für Esoteriker derart erschüttert, dass ich fast schon zum Anti-Homöopathen, also zum Globulisierungsgegner avanciere.
Laut SPIEGEL ist es übrigens ganz simpel, als Mensch mit Nachwuchs gesund zu bleiben: Eltern sollten einfach ausreichend schlafen, Stress vermeiden, mehrmals wöchentlich Ausdauersport und Saunagänge machen und sich von hustenden, niesenden Subjekten fernhalten. Gut, das kommt letztlich der Abgabe der Kinder in ein Heim gleich, und da wir gedenken, unseren Sohn noch eine Zeitlang bei uns zu Hause wohnen zu lassen, müssen wir wohl auch weiterhin jede Erkrankung heldenhaft ertragen. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass auch ein Tyrannosaurus Rex heutzutage mindestens mit Scharlach aus der Kita herauswandern würde – und das ganz ohne Riesen-Virus aus dem Permafrostboden.