O’zapft is‘ – mal wieder. Willkommen im Freilichtzoo der Wiesn-Folklore: vielleicht das Einzige, was an München noch bayrisch ist, meint Sissi Perlinger.
Ab morgen tobt sie wieder, die Wiesn. Das Münchner Oktoberfest ist ein weltweiter Publikumsmagnet. Dabei ist es eigentlich fast nur noch eine große Besäufnis-Show für Touristen, geschmissen von bierseligen Selbstdarstellern in Dirndln und Lederhosen. Immerhin, ein paar Bayern treiben sich da sogar noch rum.
Und das allein lohnt schon den Besuch. Denn ein Besucher, den es heute nach München verschlägt, wird schnell merken, dass „der echte Bayer“ eine aussterbende Spezies ist. In seinem ursprünglichen Habitat, dieser inzwischen grandios überteuerten Weltstadt mit Herz für Leute mit Geld, ist er jedenfalls seit einiger Zeit so gut wie nicht mehr anzutreffen. Lange hat er standgehalten und der zunehmenden Überfremdung durch Besserverdiener wirkungsvoll entgegengegrantelt – mit so schönen, wenn auch etwas rustikalen Redewendungen wie: „Du Saupreiß, du japanischer!“
Jetzt hat sich der „echte Bayer“ endgültig zurückgezogen. Oder tarnt er sich nur geschickt, etwa nach Heuschreckenart, als kleines Zweiglein an einer Eiche in den Isarauen? Wer weiß das schon? Nur noch zur Wiesn-Zeit kriecht er aus seinem Unterschlupf, um stolz die speckige Lederhose vorzuführen und in wilden Sauforgien seinem trink- und schlagfertigen Ruf, der ihm noch immer vorauseilt, gerecht zu werden.
Hinter Erding herrscht eigentlich bayrische Anarchie, zumindest im Straßenverkehr
Sein alltägliches Territorium beschränkt sich jedoch mehr und mehr auf die ländlichen Gefilde rund um München, speziell Richtung Nordosten. Dort trauen sich nur wenige Touristen hin, denn hinter Erding herrscht eigentlich Anarchie, zumindest im Straßenverkehr. Dort proklamiert der „echte Bayer“ nach wie vor sein Credo, das da lautet: „I blink ned – wo i hi foahr, des woas i eh, und an andern geht’s nix o!“ Dieser Grundeinstellung folgend sind die „Suburbs of Munich“ auch noch keinen slumartigen Auswucherungen zum Opfer gefallen, sondern es säumen immer noch idyllische Felder den Stadtrand.
Seit dem Sprachtraining für meine Schauspielausbildung gebe ich mich nur noch als Bayerin zu erkennen, wenn es um Leben und Tod geht – also zum Beispiel bei einer der häufig vorkommenden Alkoholkontrollen. Da ist es auf alle Fälle stets dienlich, mit einem deftigen „Jo griaß eana Gott, Herr Wachtmeister, wos verschafft mir die Ehre?“ das Fenster runterzuschrauben. Aber selbst da kann man böse danebenliegen – wenn der Uniformierte plötzlich zurücksächselt, dass es einen graust.
„Jo Sakra, do muast hoid schaugn, dass‘d dei Energie ‘nauf bringst ins siebte Schakra.“
Die einzigen „echten Bayern“ treffe ich persönlich eigentlich nur noch auf Ibiza, wo meine Nachbarin Elfie Obermaier die Mundart seit 30 Jahren lebendig hält, indem sie per Satellit den Bayerischen Rundfunk guckt und somit keine Folge von Unter unserem Himmel verpasst. Und nicht zu vergessen mein schamanischer Heiler in Indien, der immer sagt: „Jo Sakra, do muast hoid schaugn, dass‘d dei Energie ‘nauf bringst ins siebte Schakra.“ Er heißt eigentlich Christian, nennt sich hier aber Krishna.
Wer aus ethnologischen Gründen trotzdem mal ein paar lebende Restexemplare des „echten Bayern“ erleben will, muss einfach ein großes Schild emporrecken, auf dem steht: „Heit gibt’s Freibier und Weißwürscht für alle echten Bayern.“ Dann enttarnen sich schon noch ein paar von denen und gebärden sich ganz zutraulich. Aber Vorsicht: Nach der fünften Maß können auch die ganz schön ungemütlich werden…
Weblinks
Die offizielle Website von Sissi Perlinger
„Ich bleib dann mal jung” auf den Seiten der UIlstein Buchverlage
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