Kriminelle haben leichtes Spiel: Egbert Bülles zur Vorratsdatenspeicherung

Ende November wagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière einen neuen Vorstoß in der Debatte um die viel diskutierte Vorratsdatenspeicherung. Der frühere Oberstaatsanwalt Egbert Bülles ist ebenfalls ein Befürworter der Speicherung von Kommunikations- und Internetdaten und erörtert, warum seiner Meinung nach kein Weg daran vorbeiführen darf.

von Egbert Bülles

 

Mir ist bewusst, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung mit vielen Vorurteilen belastet ist. Aber allzu oft wird fälschlicherweise der Eindruck erweckt, dass mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung – ähnlich wie von bestimmten Nachrichtendiensten praktiziert – sämtliche Kommunikationsdaten und insbesondere auch der Inhalt von Telefongesprächen gespeichert und ausgewertet würde. Das ist mitnichten so. Die vorgesehene Vorratsdatenspeicherung ‒ die übrigens sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof im April 2014 grundsätzlich für zulässig erklärt worden ist ‒ sieht vor, dass nur beim begründeten Verdacht schwerer Straftaten (wie Mord oder Menschenhandel) die Telekommunikationsdaten gespeichert werden. Diese Daten werden außerdem nicht vom Staat, sondern von den Providern gesammelt und nur auf ausdrücklichen Beschluss eines Richters und nach dessen sorgfältiger Prüfung an die Strafverfolgungsbehörden herausgegeben. Erst bei weiteren Ermittlungen und durch richterliche Anordnung können dann auch Inhalte von Telefonaten überwacht werden.

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© RobH / GFDL-CC-BY 2.5

Allerdings verstehe ich nicht, weshalb die anlasslose Speicherung von zunächst anonymen Daten ein derart schwerer Eingriff in die Privatsphäre sein soll. Zumal bei der Bekämpfung der Geldwäsche ja durchaus hingenommen wird, dass laut Geldwäschegesetz finanzielle Transaktionen, die konkreten Personen zugeordnet werden können, von Banken und Sparkassen für die Dauer von fünf Jahren dokumentiert und gespeichert werden müssen. Aus Ermittlersicht gehört das Thema Vorratsdatenspeicherung jedenfalls auf die Tagesordnung, denn sie ist schlichtweg notwendig ‒ in der digitalen Welt, in der sich auch die Straftäter bewegen, sind die Verbindungsdaten oft der einzige Ermittlungsansatz, um schwerwiegende Straftaten aufdecken zu können, da vielfach keine Zeugen und keine Fingerabdrücke zur Überführung der Täter vorhanden sind. Und auch zur Verhinderung von Straftaten – bis hin zu Terrorattentaten – führt an der Vorratsdatenspeicherung kein Weg vorbei. Terroristen aller Couleur nutzen das Internet. Wenn wir Ermittler dort außen vor bleiben, haben die Täter leichtes Spiel.

Doch auch nach dem 2013 erfolgten Wechsel von einer schwarz-gelben Regierung zur Großen Koalition blockiert der jetzige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine dringend gebotene gesetzliche Neuregelung der Abfrage von Handydaten und von IP-Daten (also Nutzeradressen) von PCs. Immer noch sind somit Computer und Smartphones – also ausgerechnet die meistgenutzten Kommunikations- und Kriminalitätsmittel – für die Ermittler unantastbar. Das BKA untersuchte ein Jahr lang anhand von gut 5000 Fällen die Folgen  des gesetzlichen Moratoriums der Vorratsdatenspeicherung. In mehr als 90 Prozent der Fälle versuchte die Polizei, den Anschlussinhaber einer dynamischen IP-Adresse zu ermitteln. In mehr als 4000 Verfahren blieben diese Versuche erfolglos. 1900 Mal ging es dabei um schweren Betrug, 1600 Mal um Kinderpornografie, 42 Mal sogar um Mord oder Totschlag. In 2100 Fällen war die Feststellung des Anschlussinhabers der einzige Ermittlungsansatz; in 2300 Fällen gab es zwar weitere Ermittlungsmöglichkeiten, gleichwohl hätten die IP-Ermittlungen in 92 Prozent der Verfahren vermutlich rasch zum Täter geführt. Uwe Jacob, Chef des Landeskriminalamts NRW, formulierte es kürzlich bei einem Vortrag so: „Die Frage beantwortet sich angesichts dieser Erkenntnisse fast von selbst. Ich bin fest davon überzeugt, dass (…) wir eine Vorratsdatenspeicherung brauchen. Hochprofessionelle Täter hinterlassen kaum Spuren. Sie wechseln oft die Tatorte über die Zuständigkeitsgrenzen hinweg. Sie nutzen moderne Kommunikationsmittel und machen so erst effektive Verabredungen und Geheimhaltung möglich.“

Jacob spricht mir aus der Seele, etwa dann, wenn es um Einbrecherbanden geht: „Spuren für die Verbindungen zwischen den Einbrechern vor Ort und den Hintermännern sind kaum vorhanden – Telekommunikationsverbindungsdaten sind kaum vorhanden.“ Tatzusammenhänge könne man so kaum aufklären, selbst wenn es gelinge, jemanden auf frischer Tat festzunehmen.

Bei der Bundesregierung in Berlin gleitet man über diese Einwände der Praktiker elegant hinweg. Vorratsdatenspeicherung gleich NSA gleich Totalüberwachung ‒ so lautet die tumbe Logik, ungeachtet der Tatsache, dass das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun hat. Doch selbst Pragmatiker wie NRW-Innenminister Jäger kapitulieren inzwischen vor dem linksliberalen Mainstream. Lange Zeit gab der Law-and-Order-Mann den Vorkämpfer für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und rückte die abgetretene FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in die Nähe einer Strafvereitlerin ‒ nur, um nun selbst einzuknicken. Seit ihr Nachfolger und sein Parteifreund Heiko Maas das Thema nicht mehr anpacken will, erfolgt kein Mucks mehr vom sonst so streitbaren Granden der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten. Im Gegenteil: Die SPD im bevölkerungsreichsten Bundesland hat im Oktober auf ihrem Landesparteitag beschlossen, die Vorratsdatenspeicherung nicht wieder einzuführen. Drogen-Mafiosi, Einbrecher, Kinderschänder oder Cyber-Gangster wird es freuen.


 

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