Die Zwiebel – Kulturpflanze und Heilmittel

Im alten Ägypten opferte man sie, bei den Römern war sie verpönt, die Stadt Chicago wurde hingegen nach ihr benannt. Es geht um keine geringere als die Zwiebel. Prof. Dr. med. Walter Dorsch beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der heilenden Wirkung der Kulturpflanze. Was es mit den Heilkräften auf sich hat und wie er diese erforscht hat, erzählt er in seinem Essay.

Die Kulturgeschichte der Zwiebel (Allium Cepa) ist lang: Als Kulturpflanze ist sie seit 9000 bis 7000 v.Chr. in Gebrauch, vor allem im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris (Mesopotamien). In Kochrezepten der paläobabylonischem Epoche in Süd-Mesopotamien (1700–1600 v.Chr., s. Abb.1) spielte die Zwiebel (Insikillu) eine große Rolle.

Im Alten Reich Ägyptens finden sich bereits aus der Zeit zwischen 3000 und 2100 v.Chr. Zwiebeln in Opfer- und Ernteszenen; nicht nur als Volksnahrungsmittel, sondern auch als Lohn für die hoch geachteten Pyramidenarbeiter. Die Zwiebel trug wesentlich zur Ernährung und Gesunderhaltung der Menschen bei. Der Papyrus Ebers erwähnt die Zwiebel als Heilmittel gegen eine Reihe von Infektionskrankheiten und entzündlichen Prozessen, darunter Wurm- und Durchfallerkrankungen.

Die Knolle war im klassischen Griechenland geschätzt, Homer erwähnt sie in der Ilias im 8. Jahrhundert v.Chr. als Mittel zur „Stärkung nach schrecklichem Kampf“. Auch im klassischen Judentum genoss sie hohes Ansehen, wie aus der Klage der Israeliten bei Moses nach dem Auszug aus Ägypten (Numeri, 5f.) hervorgeht: „Wir gedenken der Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, der Gurken, der Melonen, des Lauchs, der Zwiebeln und des Knoblauchs. Doch jetzt vertrocknet uns die Kehle, es ist nichts da, nichts bekommen wir zu essen außer Manna.“

Im alten Rom war die Zwiebel zunächst allgemein beliebt, später verpönt: Nur Plebs und Legionäre blieben „Zwiebelesser“. Marcus Terentius Varro (116–27 v.Chr.) schreibt: „Unsere Väter und Urgroßväter waren recht brave Leute, obwohl ihre Worte einen recht derben Knoblauch- und Zwiebelgeruch hatten.“ Europa unterscheidet seitdem Liebhaber und Verächter der Knolle: Der Gesandte Ottos des Großen am Byzantinischen Hof ekelte sich vor dem Kaiser von Byzanz, da dieser intensiv nach Zwiebeln und Knoblauch roch.

Das vorkolumbianische Amerika kennt die Zwiebel ebenfalls; die Millionenstadt Chicago ist nach dem indianischen Wort Che ka kwa, kleine Zwiebel, benannt. Die Volksmedizin Europas kennt Zwiebel-Bonbons gegen Husten, Zwiebelpresssaft bei Insektenstichen und Zwiebelsäckchen bei Ohrenschmerzen.

Ich hatte mich als Mediziner Anfang der Achtzigerjahre mit Entzündungsreaktionen auseinandergesetzt, wie sie nach Allergietestungen an verschiedenen menschlichen Organen zu beobachten sind. Mir war klar, dass in diesen Reaktionen der Schlüssel für den chronischen Verlauf allergischer Erkrankungen liegt. Verzögerte Reaktionen nach allergischen Sofortreaktionen der menschlichen Haut ähneln in mancher Hinsicht den Entzündungsreaktionen nach Bienen- oder Wespenstichen. Als im Frühjahr 1980 meine Kinder mehrfach von Bienen und Wespen gestochen wurden, riet mir eine Bäuerin, Zwiebeln aufzulegen. Es half.

Ich dachte, diese Behandlung könnte auch die verzögerte Phase der allergischen Sofortreaktion abschwächen. Als junger Wissenschaftler schritt ich zum Versuch, zunächst zum Selbstversuch mit Wespengift und Zwiebelsaft, dann mit Zwiebelsaft auf allergische Reaktionen meiner beiden Unterarme. Ich sah eindeutige Wirkungen. Die Ergebnisse wurden publiziert und international wahrgenommen, in den USA erst auf den zweiten Anlauf: 1983 hatte ich der Amerikanischen Akademie für Allergologie und Angewandter Immunologie meine Ergebnisse unter dem Aspekt unterbreitet, ich hätte die Wirkung eines alten Hausmittels überprüft und sei dabei auf interessante Resultate gestoßen. Es gab keine Antwort. Erst ein Jahr später wurden die gleichen Daten zur Publikation angenommen, diesmal unter dem Titel: Ein Thromboxansynthetaseinhibitor pflanzlichen Ursprungs und seine antiallergischen Wirkungen. Wir wurden zu einer Pressekonferenz und einem Fernseh-Interview eingeladen wurden. Wir kannten damals die Wirkstoffe noch nicht, berichteten aber über die beobachteten antientzündlichen und antiallergischen Wirkungen (Abb. 2) ebenso wie über Nebenwirkungen, nicht zuletzt über den relativ unangenehmen Zwiebelgeruch nach Einnahme größerer Mengen. Das Presseecho war durchwegs positiv (Abb.3).   

Als wir von der Pressekonferenz zurückkamen, war unser Poster verschwunden, zwei Tage vor dem Ende des Kongresses. Gut ein Jahr später teilte mir das Europäische Patentamt in München mit, dass eine mir gut bekannte, berühmte amerikanische Universität versucht hätte, ein europäisches Patent für den Gebrauch der Zwiebel zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen zu erhalten, dass das Amt aber den Anspruch unter Verweis auf mein bereits existierendes Patent zurück gewiesen hätte. Es wird mit harten Bandagen gekämpft …

Prof. Dr. Dr. Hildebert Wagner, Ordinarius für Pharmazeutische Biologie in München, viele Kollegen, Doktoranden und Assistenten unserer beider Arbeitsgruppen konnten in mühseliger Kleinarbeit die Wirkstoffe identifizieren (Abb. 4 und 5), die für die beobachteten Phänomene verantwortlich sind. Wir haben analoge Wirkstoffe synthetisiert; internationale Patente wurden von einer deutschen Firma angemeldet, aber nicht verwertet.

          

Sobald die Zwiebel verletzt wird, also gequetscht, zerschnitten oder angefressen, aktiviert sie die Alliinase, ein Enzym, die aus schwefelhaltigen Aminosäuren schwefelhaltige Bruchstücke abschneidet. Dieser Prozess kann nur stattfinden, so lange die Pflanze noch lebt (und nicht erhitzt wurde). In einem zweiten nicht mehr energieabhängigen Prozess kondensieren diese schwefelhaltigen Bruchstücke zu verschiedenen, zum Teil hoch aktiven Substanzen (Abb. 6). Der biologische Sinn dieser Biosynthese erscheint eindeutig: Sobald die Zwiebel angegriffen wird, produziert sie Kampfstoffe gegen ihre Fressfeinde. Ihre herausragenden antimikrobiellen und antientzündlichen Wirkungen machten sie zur begehrten Kulturpflanze. Darunter befindet sich der Tränenproduzierende Faktor, Substanzen, die den Geruch und den Geschmack der Zwiebel ausmachen, und hochaktive antientzündliche Faktoren (Abb. 7 – 10), die wir entdeckt hatten und für die wir eine Fülle von Wirkungen zeigen konnten.    

Sie behindern in vivo die Freisetzung von Histamin aus humanen Granulozyten und adenoidalen Mastzellen,  die Leukotrienbiosynthese von humanen Granulozyten (LTB4 und LTC4),  in hoher Konzentration die Bindung von PAF an humane Blutplättchen, die Thromboxanbiosynthese von humanem plättchenreichen Plasma, die Lipoxygenase von Schweineleukozyten,  die Cyclooxygenase von Schafsamenblasen, die Aktivierung von humanen Granulozyten durch PAF,  die Chemotaxis von  humanen Granulozyten und humanen Lungenfibroblasten. Sie behindern das allergische Asthma bronchiale von Meerschweinchen, die PAF-induzierte, nicht jedoch die histamin- oder acetylcholin-induzierte Bronchialobstruktion von Meerschweinchen und deren bronchiale Hyperreagibilität.

Weiterhin wurden Hemmwirkungen des synthetischen Diphenylthiosulfinat auf folgende Testsysteme beobachtet: Proteinasefreisetzung aus Human-Leukozyten, Zymosaninduzierte Chemolumineszenz von Human-Leukozyten, Antigen-bedingte Konstriktion von Meerschweinchen-Lungenparenchymstreifen, PAF-induzierte Letalität von Mäusen, Mehrfach-Bronchospasmus von Ratte und Meerschweinchen  nach aktiver und passiver Immunisierung und Hypersensibilisierung durch Sephadex u.a.

 

Beim Menschen behindern Zwiebelextrakte allergische Reaktionen der Haut und die nachfolgende Entzündungsreaktion (Abb.2), vor allem allergisch-asthmatische Reaktionen von erwachsenen Patienten.

  

Außerdem wirken Zwiebelextrakte gegen Würmer und Mikroben wie Ascariden (in vivo) Salmonella Typhimurium (in vitro) Streptococcus faecalis (in vitro), Escherichia coli (in vitro), Klebsiella pneumoniae (in vitro), Streptokokken (in vitro),   Staphylokokkken (in vitro), Mycobacterium tuberculosis (in vitro),Candida albicans (in vitro), Aspergillus fumigatus (in vitro). Chemisch nicht definierte Zwiebelinhaltsstoffe zeigen positive Effekte beim Typ II Diabetes (klinische Studie: 50g oral senkt den Bedarf oraler Antidiabetika), der alimentäre Hyperlipidämie (Zwiebelextrakt senkt den Serumspiegel von Cholesterol, betalipoprotein, Triglyceriden) sowie Thromboxan Biosynthese, Plättchen Aggregation und Fibrinolyse (schützen also u.a. vor  Herzinfarkt).

Was wir allerdings auch feststellen mussten, war die Tatsache, dass die Wirkstoffe nicht nebenwirkungsfrei, nicht geruchsfrei und vor allem nicht jahrelang stabil zu erhalten sind, wie man es für ein klassisches Arzneimittel fordert. Trotzdem sind alle Beteiligten stolz darauf, Wirkstoffe und Wirkart eines traditionellen Arzneimittels aufgeklärt zu haben. Für die Selbstmedikation, vor allem in armen Ländern, ist die Zwiebel sicher geeignet, wobei bei der Herstellung von volkskundlichen Arzneimitteln die Besonderheiten der Zwiebelchemie beachtet werden müssen.


Das Buch

Hilft eine Bachblütentherapie bei Neurodermitis? Kann man ADHS biodynamisch auspendeln? Welche Naturheilverfahren tatsächlich heilende Wirkung haben, weiß der renommierte Kinderarzt und überzeugte Naturheilmediziner Walter Dorsch. Dieses Buch ist seine persönliche Bilanz aus jahrzehntelanger Forschung und Praxis.

Wenn der Nachwuchs krank ist, wünschen sich viele Eltern für ihre Kinder eine möglichst natürliche Behandlung und keinen Arzt, der bei einer Erkältung Antibiotika verschreibt. Doch was genau heißt »natürlich«? Welche Naturheilverfahren sind sinnvoll? Der erfahrene Kinderarzt und Naturheilmediziner Walter Dorsch beschreibt, welche Verfahren wann zum Einsatz kommen sollten und wie sie zur Heilung beitragen können. In vielen Fällen sind Pflanzenheilkunde, Hydrotherapie und andere Naturheilverfahren unverzichtbar und ergänzen sinnvoll die klassische Medizin.

„Kinder – natürlich gesund“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage. 

 

Walter Dorsch

Walter Dorsch

Prof. Dr. med. Walter Dorsch, geboren 1949 in Weilheim, war Professor für Allergologie und Pneumologie an der Universitätskinderklinik Mainz. Er entdeckte u.a. die heilsame Wirkung der Hauszwiebel bei der Behandlung von Asthma bronchiale. Seit 1994 arbeitet er in eigener Praxisgemeinschaft in München. Er ist Vater von sechs Kindern, einem Stiefsohn und Großvater von acht Enkeln.

Foto: © Hans Scherhaufer

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