Als James Hawes begann, seine „kürzeste Geschichte Deutschlands“ zu schreiben, wollte er vor allem seinen britischen Landsleuten die deutsche Geschichte näherbringen. Dann kamen Brexit, Flüchtlingskrise, Trump und der zunehmende Erfolg von Rechtspopulisten in ganz Europa. Inzwischen steht das kleine Buch ganz oben auf der Bestsellerliste der britischen Sunday Times. Was steckt dahinter? Wir fragen den Autor selbst.
Was treibt einen Briten dazu, eine Geschichte der Deutschen zu schreiben?
„Die Mütter sind’s!“ wie Goethe sagte. Meine Mutter war ja Germanistin. Es hingen (und es hängen noch) Bilder von Lessing und Moses Mendelssohn in ihrer Küche. Sie war lebenslang mit der Schwester von Joachim C Fest befreundet. In den frühen sechziger Jahren waren wir fünf Kinder die einzigen in unserem Dorf, die Adventskalender und Lebkuchen kannten. Ich trug sogar Lederhosen in die Schule! Und mir wurde sehr früh ganz ausdrücklich beigebracht dass „Nazi“ und Deutsch“ nicht – wie auf dem Schulhof behauptet wurde – Synonyme seien. Im England jener Zeit war das eine sehr seltene Ausnahme.
Der Autor 1961 mit Joanna Fest, der Schwester von Joachim C. Fest
Die große Frage der deutschen Geschichte – wie hat die Kultur von Beethoven und Goethe die Nazis hervorbringen können? – war in meinem Leben von Anfang an präsent.
Für wen wurde das Buch geschrieben?
Das Buch habe ich in erster Linie, wie es ja bei Büchern eigentlich sein soll, für mich selbst geschrieben. 2015 habe ich eine Ausstellung im Bonner Stadtmuseum zusammengestellt, mit dem Titel: „Mord in Bonn 1865: der Koch, die Könige, und der letzte deutsche Sommer vor Bismarck“. Es ging anfangs nur um eine kleine Episode der deutsch-englischen Vergangenheit, und zwar um die Ermordung des Koch von Königin Victoria durch den Neffen von Bismarcks engstem Mitarbeiter.
Doch die Recherchen uferten aus: beim Durchkämmen zeitgenössischer deutschen Zeitungen wurde mir nach und nach auf geradezu schwindelerregender Weise klar, wie sehr ich die riesige Kluft in der deutschen Geschichte zwischen 1865 und 1870 unterschätzt hatte. 1865 hielt niemand, niemand es für wahrscheinlich, geschweige denn für „geschichtlich notwendig“, dass Deutschland binnen kurzer Zeit von Bismarck mit seinem Junkerhaften Preußen vereinigt sein sollte. Wer im Sommer 1865 prophezeit
Straßentheater in Bonn bei der Eröffnung der Ausstellung im Mai 2015
hätte, Frankfurt werde im nächsten Jahr von der preußischen Armee umzingelt und mit der Bombardierung und Ausplünderung bedroht, wäre ausgelacht worden. Und dass Berlin bald die Hauptstadt eines vereinigten Deutschland werden sollte, unter Ausschluss von Österreich aber samt 3 Millionen preußischer Polen – davon träumte kein Mensch.
Die Erkenntnis überfiel mich blitzartig: ich hielt mich für einen Kenner der deutschen Geschichte, hatte mich aber eigentlich nur mit der preußischen Historiographie beschäftigt! So hiess es nun: erst einmal tiefer einsteigen in die Materie, Herr Dr Hawes!
Sind jetzt noch Fragen offen, was Deutschland angeht? Worum könnte es im nächsten Buch gehen?
Die Zukunft ganz Europas hängt momentan in der Schwebe. Die Entscheidungen deutscher Politiker werden in den nächsten Jahren ausschlaggebend sein. Das nächste Buch kann also noch nicht geschrieben werden. Es steht aber fest: Deutschland muss sich selbst endlich vertrauen. Ohne Preußen hätte es keine Weimarer Republik und kein Drittes Reich gegeben. Preußen ist tot: es lebe das echte Deutschland! Ich hoffe, in etwa fünf Jahren ein Buch darüber schreiben zu können…
Wie kommt es, dass das Buch in England so erfolgreich ist? Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine Geschichte der Briten es bei uns auf die Bestsellerliste schaffen würde.
Man kann sich in Deutschland vermutlich kaum vorstellen, wie sehr die Engländer von Deutschland besessen sind. Die Brexit-Mentalität ist zu Recht so charakterisiert worden: Spitfire im Gehirn, Mercedes vor dem Haus. Dies sieht man vor allem in den an Wahnsinn grenzenden Vorstellungen unserer Brexit-Befürworter, die wirklich daran glauben, Deutschland wird die ganze EU über Bord werfen, damit England weiterhin deutsche Autos steuerfrei importiert. Doch gibt es auch 48 % von uns Inselaffen, die bereit sind, Deutschland als Englands eigentlich besten Freund in dieser leichtfertig selbst angezettelten Krise zu erkennen. Ich nehme an, dass meine englischen Leser vor allem zu diesen Menschen gehören.
Sunday Times Bestsellerliste vom 29. April 2018
Das Gespräch führte Juliane Junghans.
Das Buch
James Hawes erzählt 2000 Jahre deutsche Geschichte entlang der politisch brisanten Frage: Wohin gehört dieses Land im Herzen Europas? Ist es eher dem Westen oder dem Osten zuzurechnen? Ein rasanter Streifzug durch die Jahrhunderte, von den alten Germanen bis zur Bundesrepublik im 21. Jahrhundert. Der Sieg der Germanen im Teutoburger Wald, die barbarische Grausamkeit des Dreißigjährigen Kriegs, der Aufstieg des militaristischen Preußens im 18. Jahrhundert – wie Blitzlichter scheinen die historischen Ereignisse in James Hawes‘ Parforceritt durch die deutsche Geschichte auf.
»Deutschland ist heute Europas große Hoffnung. Es muss jetzt handeln, und es muss als das Land anerkannt werden, das seine Bestimmung endlich erfüllt: ein mächtiges Land im Herzen des Westens zu sein.« – James Hawes
„Die kürzeste Geschichte Deutschlands“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
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