Miriam Maertens: „Immer wieder über neue Hürden rüberzumüssen, das macht süchtig.“

Nur wenige wissen, dass die Schauspielerin Miriam Maertens früher vor jedem Auftritt und in den Pausen inhalierte, um auf der Bühne nicht atemlos zu sein. Seit ihrer Kindheit leidet sie unter der Erbkrankheit Mukoviszidose. Entgegen der Prophezeiungen vieler Ärzte führt sie lange ein erfolgreiches Leben als Theaterschauspielerin und Mutter. Erst als sie kaum noch Luft bekommt, ist sie bereit, sich auf die Liste für ein Spenderorgan setzen zu lassen. Es erfordert viel Kraft und noch mehr Mut, den eigenen Weg so unbeirrt zu gehen. Immer an ihrer Seite: ihre Familie, die ihr die Leidenschaft für das Theater in die Wiege gelegt hat. 

FaustIn and out, Schauspielhaus Zürich, 8. März 2012, drei Monate vor der Transplantation

 

 

„Diese Mischung aus Aufregung, Angst und Spaß, der Wille und die Lust, die Vorstellung mit Vergnügen enden zu lassen. Immer wieder über neue Hürden rüberzumüssen, das macht süchtig, im Theater, aber auch im Leben. Etwas, was zunächst unerreichbar scheint, zu schaffen, den Erfolg danach für kurze Zeit zu genießen, nur um dann noch weiter, noch höher zu kommen, die nächste Klippe zu überwinden, gegen alle körperlichen Signale – das war und ist meine Lebensdroge.“

 

 

 

 

„Meine Mutter bewundere ich für die Fähigkeit, im Moment zu leben, für den Hang zum Genuss, die Liebe zum Leben, zur Natur. Sie ist ein impulsiver Mensch und absoluter Mittelpunkt unserer Familie, als Einzige keine Schauspielerin, aber wegen ihrer angeborenen Dramatik von uns Kindern oft »Suse« genannt (nach der großartigen Schauspielerin Susanne Lothar).“

 

 

Miriam Maertens Verschieben wir es auf morgen Ullstein

Zehn Tage nach meiner Geburt – von links nach rechts: meine Mutter, Omi Charlotte, mein Vater, mein Bruder Kai, Omi Trudel; vorne: mein Bruder Michi.

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Mit meiner Mami am Pool.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ihre Stärke und ihr gleichzeitig fast kindlich-naives Wesen haben mir geholfen, meine Krankheit stets gut zu bewältigen; allerdings weiß ich nicht, ob sie das alles ohne meinen Vater geschaft hätte. Ihr Mann stand für sie immer an erster Stelle. Kennengelernt haben sich die beiden auf Sylt. Zufall? Schicksal?“

 

 

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Papi wird mit Eis gefüttert.

 

 

 

 

„Mein Vater ist der Diplomat der Familie. Von Beruf: Schauspieler. Ein in sich ruhender Mensch, den man schon sehr reizen muss, um ihn aus der Reserve zu locken. Dann allerdings: Rette sich, wer kann.“ 

 

 

 

 

 

 

„Mein Vater ist ein typisches, etwas verwöhntes Einzelkind. Zu ihm kam nicht nur der Weihnachtsmann, sondern meine jüdische Großmutter, Omi Charlotte, machte ihn glauben, dass ihm auch das Pfingstgeistlein Geschenke brachte.“ 

 

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Sommer mit der Familie: Honig und ich (vorne), Michi, Kai und meine Mutter (von links nach rechts)

 

 

 

„Meine beiden Brüder haben einen großen Anteil daran, dass aus mir der Mensch geworden ist, der ich heute bin. Ohne ihre Liebe und Unterstützung, ohne ihre brüderlichen Ratschläge, dieses »Rezept fürs Leben«, wie sie es immer nannten, mit den allerbesten »Zutaten«, wären niemals diese innere Stärke und Sicherheit in mir. Wenn man solche Jungs an seiner Seite hat, dann kann einem nicht viel passieren.“

 

 

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Sommerfestspiele in Heppenheim, das Bühnendebüt von Michi und mir, mein Vater als „Tod“ im Jedermann (vorne, Zweiter von rechts)

 

 

 

 

 

 

 

„Mein Bruder Michael, der »nur« sechs Jahre älter ist als ich, war in meiner Kindheit der absolut wichtigste Mensch für mich. Damals haben wir eigentlich alles zusammen gemacht.

 

Wir beide sind für mich der Inbegriff von »großer Bruder« und »kleine Schwester«: Michi, der immer für mich da war und auf mich aufpasste, und ich, die ihn für seine Stärke und seine Lebenslust bewunderte.“

 

 

 

 

 

 

 

„Im Gegensatz zu Kai hat Michi meine Krankheit hautnah mitbekommen, entsprechend ausgeprägt war sein Verantwortungsgefühl mir gegenüber.“

 

„Manchmal verbrachten wir die Ferien auch in Heppenheim, wenn mein Vater bei den Sommerfestspielen den Tod im Jedermann gab. »Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes« hat Hugo von Hofmannsthal das Stück im Untertitel genannt. Mit den glamourösen Festspielen in Salzburg war das nicht zu vergleichen, aber es war schon einmal die erste Theaterluft, die Michi und ich schnupperten.“

 

Geschwisterliebe

 

„Da zwischen Kai und mir ein so großer Altersunterschied besteht, ganze zwölf Jahre, kann ich mich kaum noch daran erinnern, dass wir alle zusammen unter einem Dach gelebt haben. In meiner Kindheitserinnerung kommt er immer zu Besuch. Für ein paar Tage, von irgendwoher, in unser Düpenautal oder dorthin, wo der Rest der Familie gerade Urlaub machte. Weihnachten allerdings waren wir immer alle zusammen.“

 

Miriam Maertens Verschieben wir es auf morgen Ullstein

Eine Familie spielt Theater

 

„Am glücklichsten war ich immer, wenn der familiäre Lachkrampf ausbrach, wenn wir uns alle bogen vor Lachen, Tränen über unsere Gesichter liefen und wir überhaupt nicht mehr aufhören konnten, weil einer immer wieder von Neuem losplatzte. Bei meinem Vater dauerte es recht lange, bis es so weit war, aber wenn er einmal begann, war es seine Lache, die mich am meisten zu Fall brachte. Dann war es im positiven Sinne vollkommen aus mit mir.“

 

„Unsere Eltern haben uns mit sehr viel Selbstbewusstsein gefüttert: Wir waren die schönsten, lustigsten, intelligentesten Kinder der Welt. Was sich später, als wir rausgingen in die Welt, schnell relativierte, da es von den Schönen, Intelligenten und Lustigen noch mehr gab als uns drei.“

 

„Unsere Geschwisterbeziehung hat sich aber im Laufe der Jahre durch die Krankheit immer mehr verdichtet und ist immer inniger geworden, denn je älter meine Eltern wurden, desto weniger wollte ich sie mit dem Fortschreiten der Krankheit belasten, und umso mehr kam Kai ins Spiel. Kai ist selbst auch Vater. Er hat einen Sohn, Samuel, der heute zweiunddreißig Jahre alt und im Begriff ist, Filmregisseur zu werden.“

 

 

Schauspielhaus Zürich, „Schweizer Schönheit“, Joshua und ich unter der Regie von Dani Levy

 

„Die Ärzte redeten auf mich ein, dass ich auf keinen Fall ein Kind bekommen dürfe, meine Lunge sei zu schwach, das wisse ich doch. Das Organ sei in einem katastrophalen Zustand, und nur meine eiserne Disziplin erlaube es mir, so zu leben, wie ich es momentan tue. Ich ging von einem Arzt zum nächsten und hörte immer dasselbe, bis ich schließlich einem Gynäkologen  begegnete, der mir erklärte, dass Meine täglichen Antibiotika kein Problem seien. Nur intravenös dürften keine gegeben werden. Aus gynäkologischer Sicht stehe einer Schwangerschaft sonst nichts im Wege.“

 

„Wenn ich heute mit meinem Sohn in München bin und wir zufällig an der gynäkologischen Praxis vorbeikommen, erzähle ich ihm jedes Mal, dass ich hier vor dieser Tür vollkommen überwältigt war vor Glück, und dann entgegnet er mir relativ genervt, er könne die Geschichte nicht mehr hören: »Die Platte hat einen Sprung, Mami!« Aber für mich ist dies ein magischer Ort. Und wird es immer bleiben.“

 

 

Miriam Maertens Verschieben wir es auf morgen Ullstein

Meine große Liebe Holli

 

 

 

„Im Sommer 2006 reisten Joshua und ich gemeinsam nach Sylt – die von meiner Mutter heiß geliebte Insel, wo ich Holli traf.“

 

 

 

 

 

„Bei allem, was Holli mit mir durchgemacht hat, alle Krankheitsschübe, alle Infekte, alle Streite, allen Egoismus, den ich, um zu überleben, für mich durchziehen musste, alle Zugänge, die in meinen Körper gelegt wurden, später mein aufgedunsenes Mondgesicht wegen des Kortisons, die Narbe unter meinem Busen und meine drei restlichen Haare auf dem Kopf nach der OP. Über all die Jahre hat er nie aufgehört, mich als Frau zu sehen, und das ist, glaube ich, eins der schönsten Dinge, die einem passieren können.“

 

„Holli war das Theaterleben zunächst sehr fremd, er konnte überhaupt nichts damit anfangen. Gleichzeitig wusste er, dass mich die Theaterluft genauso lebendig machte wie die Nordseeluft auf Sylt.“

 

Die Fotos und Zitate stammen aus Miriam Maertens Buch „Verschiebe wir es auf morgen“.


Das Buch

Sie will so sein wie alle Kinder, nichts versäumen, überall mitmachen. Doch sie soll sich »schonen« und wird von ihren Eltern zum Inhalieren und Abklopfen der Lunge ins Haus gerufen. Miriam Maertens hat Mukoviszidose, eine unheilbare Erbkrankheit, die in den Siebzigerjahren einen frühen Tod bedeutet. Trotz düsterer Prognosen der Ärzte entschließt sich die Familie, den Kampf gegen die Krankheit aufzunehmen.

Mit sechzehn geht Miriam von der Schule ab, weil sie unbedingt ans Theater will – wie ihr Vater und ihre beiden älteren Brüder. Ihre Krankheit gibt sie in dieser Welt nicht preis. In andere Rollen zu schlüpfen, lenkt sie ab und macht sie mental stark. Mit Anfang dreißig wird sie gegen den dringenden Rat der Ärzte schwanger, zu diesem Zeitpunkt ist ihre Lunge schon ziemlich schwach.

Erst Jahre später, als sie kaum noch Luft bekommt, ist sie bereit, sich auf die Liste für ein Spenderorgan setzen zu lassen. Es erfordert viel Kraft und noch mehr Mut, den eigenen Weg so unbeirrt zu gehen – aber das Leben ist es allemal wert.

„Verschieben wir es auf morgen“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

 

Miriam Maertens

Miriam Maertens

Miriam Maertens wurde 1970 in eine Theaterfamilie hineingeboren. Seit ihrer Jugend ist sie Schauspielerin, seit 2005 ist sie festes Ensemblemitglied am Züricher Schauspielhaus. Darüber hinaus war sie auch in zahlreichen Fernsehproduktionen zu sehen.

Foto: © Robin Hinsch

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