Entspannen und die Seele baumeln lassen, wie geht das überhaupt? Am Strand liegen und Schirmchendrinks schlürfen? Vor dem Kamin ein gutes Buch lesen und ein Rotweinglas schwenken? Für mich ist die Sache klar: Nichts entspannt so sehr, wie ein echtes Abenteuer. Das intensive Leben, das Unvorhersehbare, das Neue, auf das mein Gehirn nicht sofort Etiketten kleben kann. Darum befinde ich mich momentan auf einer mehrjährigen Weltreise. Mit dem Motorrad.
von Benjamin Krämer
Zeit ist relativ, das wissen wir. Und wir wissen dank der Wissenschaft auch, warum sie sich zäh wie ein Kaugummi vor uns ausbreiten kann, während sie oftmals so schnell an uns vorbei rauscht wie ein Schnellzug. Alles was wir ritualisiert haben, was unser Gehirn schon oft erlebt hat, rauscht an uns vorbei, weil unsere grauen Zellen nicht arbeiten müssen, sondern die vorbereitete Schablone abgleichen. Stichwort: Arbeitswoche. Dadurch entsteht viel Freiraum im Kopf, was zuerst positiv klingen mag. Doch wenn wir etwas genauer darüber nachdenken, liegt dort der Grund versteckt, warum wir uns im Alltag so schlecht entspannen können und Meditationskurse besuchen oder uns in Achtsamkeit üben. Ein Gehirn, das sich in bekannten Mustern bewegt, kaum gefordert ist, hat Zeit sich mit krautigen Geschichten und verqueren Gedankenexperimenten zu beschäftigen. Das nennt man dann Stress. Wir haben heute die Freiheit und den zweifelhaften Luxus, uns Probleme selbst zu schaffen, indem wir uns das Gehirn zermartern über unsere Lebenssituation, unsere Mitmenschen, über Politik und ferne Länder, die wir nie gesehen haben.
„Lebe wild und gefährlich” heißt es seit New-Age-Zeiten
Aber wir können unser Leben abenteuerlich gestalten und unser Gehirn durch Aktivität und neue Reize entspannen lassen. Was paradox klingt, hat sich für mich bewährt: Seit Mai diesen Jahres fahren meine Lebensgefährtin und ich nun auf dem Motorrad um die Welt, reisen diese Woche in den Iran ein. Jeder Tag ist frisch, neu, unvorhersehbar, voller Konzentration auf das Fahren, die Natur, die Eindrücke, das Suchen nach geeigneten Schlafplätzen zum wild Campen. Mein Gehirn ist so entspannt wie selten zuvor, einfach weil es absolut auf den jetzigen Moment fokussiert ist und keinen Freiraum für das übliche Gedankenkarussel hat. Es ist ein intensives, direktes Leben, das auch von Herausforderungen und Unsicherheit geprägt ist – und das ist gut so. So können wir uns auf das besinnen was vor uns liegt, schon allein, weil wir es müssen. Darum heißt es in unserem Buch auch „immer an der Angst entlang”. Sie zeigt uns den Weg aus der Bequemlichkeit unserer eingeengten Komfortzone hinaus zu mehr Glück und Zufriedenheit.
Entspannung ist etwas aktives!
Natürlich musst du keine Weltreise auf dem Motorrad unternehmen oder nackt den Mount Everest erklimmen, um zu entspannen. Vielleicht machst du es dir zur Gewohnheit, regelmäßig den Weg zu deiner Arbeit zu verändern, um dein Gehirn spazieren zu fahren und ausgetretene Wege zu vermeiden. Das macht übrigens nachweislich kreativer. Vielleicht planst du deinen Urlaub mal anders, gehst zu Fuß bis zur Nordsee oder verzichtest auf den Komfort eines Hotels und buchst einen Flug ohne Unterkunft. Das klingt wahrscheinlich seltsam und ungewöhnlich. Genau das soll es auch. Riskiere etwas, mach etwas neues, ganz anders als sonst. Genieße das Gefühl dich selbst überwunden zu haben. Dich in eine Situation zu bringen, auf die du im Vorfeld keine vorgefertigte Antwort hast. Du wirst sehen, dass das Universum in dem wir leben, ein äußerst freundlicher, hilfsbereiter Ort ist, der nur darauf wartet, dass du das erkennst. Beispiel gefällig? In der Türkei, von der uns alle abgeraten haben sie zu besuchen, haben wir den Deckel unseres linken Koffers verloren – ist während der Fahrt einfach weggeflogen. Für Gedanken wie „mein Gott, da regnet es jetzt rein und unsere Ausrüstung geht kaputt” war gar nicht lange Zeit. Es musste eine Lösung her. Also waren wir damit beschäftigt eine Lösung zu finden. An diesem Tag haben wir mindestens fünf extrem hilfsbereite Türken kennengelernt, die mit uns ihre Stadt nach einem Metallbearbeiter abgesucht haben, der uns einen neuen Kofferdeckel zusammenschweißt. Am Ende war es ein großer Spaß und äußerst berührend zu erleben, wie herzlich und hilfsbereit uns die Menschen begegnet sind. Das ist für mich Entspannung und tatsächliches Leben im Jetzt. Einfach und nah – und das beste: jeder kann es tun und zwar jeden Tag. Ändere einfach deine langweiligen Gewohnheiten, mögen es auch noch so kleine Dinge sein. Tue etwas Neues, was dir Angst macht oder zumindest unangenehm erscheint. Daran erkennst du, dass es das Richtige ist. Probiere es aus. Lebe wild und gefährlich, wenn auch nur ein bisschen!
Fotos: Horizonride.de
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„Über das Selbst hinaus. Glücklich mit sich und anderen in drei Schritten“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage