Gefeierter Rassismus-Krimi
"Texas bricht mir das Herz"
Wo selbst das Café mit "KKK" abgekürzt wird: Der Rassismus ist allgegenwärtig im Texas von Attica Locke. In ihrem Krimi "Bluebird, Bluebird" ist zunächst die "Arische Bruderschaft" verdächtig. Oder ist doch alles ganz anders?
Wenn Ranger Darren Mathews in seinem Truck durch das ländliche Ost-Texas streift, entdeckt er am Straßenrand immer wieder erstaunliche Dinge. Ein Haus, das aussieht wie Monticello, das Landgut des Gründervaters Thomas Jefferson, einen Leuchtturm, der aus einem Maisfeld ragt, gigantische Lebkuchenhäuser. Oder eine Scheune mit Donald Trumps Antlitz darauf.
Das ist das einzige Mal, dass der US-Präsident erwähnt wird in Attica Lockes "Bluebird, Bluebird". Und doch liest sich der Roman der schwarzen US-Schriftstellerin wie ein bissiger Kommentar auf das veränderte Klima seit der Wahl, auf unterdrückten Rassismus, der wieder an die Oberfläche drängt. Locke hatte ihren Roman lange vor November 2016 fertiggestellt. Kein Wort habe sie verändert nach der Wahl von Donald Trump, sagte Locke in einem Interview. Und doch sei ihr Buch plötzlich nicht mehr dasselbe gewesen.
Was sie damit meint, erklärt sie SPIEGEL ONLINE: Sie habe "ein Buch über den Rassismus im Süden der USA geschrieben, aber in der Hoffnung, eine Geschichte zu erzählen über etwas, das im Begriff war zu verschwinden". Es habe sich zwar bereits in den Obama-Jahren eine rassistische Rhetorik ausgebildet und mehr gewalttätige Übergriffe gegeben. Aber erst als Trumps Zeit anbrach, so Locke, "ist die bittere Wahrheit über Rassenhass und rassistisch motivierte Gewalt ans Tageslicht gekommen". So habe ihr Buch eine unerwartete Dringlichkeit bekommen, sei so vorausschauend, dass es unheimlich sei. Sogar ihr selbst.
Attica Locke
Foto: Mel Melcon/ Los Angeles Times/ Polar Verlag
Attica Locke lebt in Los Angeles, wo sie zuletzt als Produzentin und Autorin für die TV-Serie "Empire" arbeitete, stammt aber aus Ost-Texas, wo ihre Familie seit Generationen zu Hause ist. "Texas hat meiner Familie viel gegeben", sagt Locke. "Und ich kann nicht hassen, wo ich herkomme. Aber Texas bricht mir auch das Herz." Und so liest sich "Bluebird, Bluebird" wie ein Wiederherantasten an ihre Heimat, wie ein Liebesbrief an jemanden, der dich immer wieder enttäuscht und von dem du doch nicht lassen kannst - tränenschwer und bittersüß wie die Bluesmusik, die in diesem Roman allgegenwärtig ist.
Die Vorschule heißt "Krestmont Kiddie Kollege"
Locke lässt ihre Geschichte in dem fiktiven Örtchen Lark spielen. 178 Einwohner, ein paar Häuser und Hütten am Highway 59, der von Südtexas bis in den hohen Norden führt, "asphaltierte Hoffnung" für die Schwarzen der Gegend, die schon immer in den Norden gegangen sind, um ein besseres Leben zu finden. Die, die geblieben sind, treffen sich im "Geneva Sweet's Sweets", einem Café, in dem es die besten Teigtaschen gibt, einen Zehn-Dollar-Haarschnitt und eine Jukebox.
Auf der anderen Seite der Straße liegt das "Eishaus", tritt da ein Schwarzer ein, wird er von der Kellnerin gefragt, ob er sich wohl verlaufen habe. Rassismus ist alltäglich in Lark, doch meist eher unterschwellig wahrnehmbar. Texanische Höflichkeit, das bedeutet für Weiße, "den Damen die Tür aufzuhalten und niemals das Wort Nigger in gemischter Gesellschaft zu benutzen".
Und seinen Kaffee trinkt man gern in Läden, die Kay's Kountry Kitchen heißen, abgekürzt KKK. Solche Anspielungen auf den Ku-Klux-Klan seien völlig normal in Texas, sagt Locke. Radiosender nennen sich KiKK FM, Copyshops Kwik Kopy. Die Vorschule in Houston, auf die sie früher ging, hieß Krestmont Kiddie Kollege: "Texas ist eben voller Widersprüche", so Locke.
Viel zugetraut, viel geschafft
Der fragile Frieden in Lark droht zu zerbrechen, als innerhalb weniger Tage zwei Leichen gefunden werden. Zunächst ein schwarzer Anwalt, scheinbar nur auf der Durchreise, dann eine junge weiße Frau aus der Gegend. Seltsam sei das, findet der Texas Ranger Mathews: "Die Geschichten aus dem Süden wurden normalerweise in umgekehrter Reihenfolge erzählt: Auf eine weiße Frau, die getötet worden war oder anderweitig Schaden genommen hatte, tatsächlich oder eingebildet, folgte, wie der Mond der Sonne, der Tod eines Schwarzen."
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Mathews ist überzeugt, dass ein rassistisches Motiv hinter dem Mord an dem Anwalt steckt, seine Hauptverdächtigen sind Mitglieder der "Arischen Bruderschaft", einer gut organisierten Gruppe rassistischer Drogen- und Waffenhändler, die im "Eishaus" das Wort führen. Lange übersieht der Ranger deshalb eine andere Spur, die tief in die Vergangenheit führt, in ein kompliziertes Geflecht aus Liebe, Eifersucht und Hass.
Locke traut sich viel auf einmal zu: eine vertrackte Krimihandlung, eine Familiensaga, mehrere Liebesgeschichten, eine Abrechnung mit Rassismus, eine Hommage an ihre Heimat. Das hätte leicht schiefgehen können, ist es aber nicht. Für "Bluebird, Bluebird" bekam sie den Edgar - den weltweit bedeutendsten Krimipreis - als Auszeichnung für den besten Roman des Jahres. Attica Locke weiß von Anfang an, was ihr Held erst noch lernen muss: Das Leben ist zu komplex für einfache Lösungen. Und das nicht nur in Ost-Texas.