Pädophilie-Roman "Tampa" Endlosschleife der Erregung

Autorin Nutting: Aus einer Perspektive, die noch nicht eingenommen worden ist
Foto: Aaron MayesHätte ich dieses Buch privat gelesen, ich weiß ehrlich nicht, wie weit ich überhaupt gekommen wäre. Vielleicht bis Seite elf, auf der steht: "Ich will riechen, wie du in deiner Hose kommst." Vielleicht bis Seite acht und zu dem Satz: "Die Lust pulsierte so heftig in mir und setzte meine Schläfen, Brüste und Schenkel derartig unter Dauerstrom, dass es nur einer Winzigkeit bedurft hätte, um meine Schamlippen wie eine Bauchrednerpuppe zum Sprechen zu bringen." Wahrscheinlich aber sogar nur bis zum allerersten Satz, der da heißt: "In der Nacht vor meinem ersten Unterrichtstag lag ich in einer erregten Endlosschleife lautloser Selbstbefriedigung auf meiner Bettseite und fand keinen Schlaf."
Das einzig gelungene an diesem Satz ist, dass er vorweg nimmt, worum es auch auf den folgenden knapp 300 Seiten hauptsächlich gehen wird: um Sex. Es geht um praktizierten Sex. Um imaginierten Sex. Vor allem aber geht es um verbotenen Sex. Denn "Tampa" ist aus Sicht der engelsgleich aussehenden Celeste Price geschrieben, die 26 Jahre alt ist und den Beruf Lehrerin wählt, um den Objekten ihrer sexuellen Begierde nahe zu sein - 14-jährigen Jungen.
Das krankhafteste Buch des Sommers
Das Thema weibliche Pädophilie und die expliziten, pornografischen Schilderungen haben "Tampa" in den USA den Titel "kontroversestes Buch des Jahres" eingebracht. Oder wahlweise: krankhaftestes Buch des Sommers 2013. Das Buch wurde mit Nabokovs "Lolita" verglichen. Und Bret Easton Ellis' "American Psycho". Eine Rezensentin fragte sich in ihrer Kritik, ob es okay sei, dass ihr das Buch gefallen habe. Und die Autorin, die unglücklicherweise Alissa Nutting heißt, wurde mehrfach gefragt, was sie sich dabei gedacht habe, so ein Buch zu schreiben.
In verschiedenen Interviews und Essays sagte Nutting, es sei ihr darum gegangen, aus einer Perspektive zu schreiben, die in der Literatur bis dahin so gut wie nie eingenommen worden sei. Sie habe eine Sexualität beschreiben wollen, die der kulturellen Vorstellung widerspreche, dass weibliche Sexualität passiv und gefühlsbetont sei. Und ihr Buch sei als Satire auf Fälle wie den der Debra Lafave gedacht, die 2005 in die Medien geriet, weil sie wegen einer sexuellen Beziehung zu einem 14-jährigen Jungen angeklagt worden war. Wie die fiktive Celeste Price waren Lafaves Haare so blond und ihr Gesicht so gleichmäßig, dass ihr Anwalt damals argumentierte, sie sei zu hübsch, um sie ins Gefängnis zu werfen. All das - muss man sagen - ist Alissa Nutting geglückt.
Die zweite Frage, die ihr oft gestellt wurde, ist, ob es nicht schwer gewesen sei, sich in eine weibliche Pädophile hineinzuversetzen. In einem Interview mit der amerikanischen Ausgabe des "Vice"-Magazins hat Nutting gesagt, es sei leicht, über Charaktere mit einer Obsession zu schreiben, denn so gebe es einen Fixpunkt, auf den sich ihr Denken und Handeln bezieht. Und da - muss man leider sagen - hat es sich Nutting zu leicht gemacht. Und macht es dem Leser schwer, das Buch zu mögen.
Der fast schon obskure Höhepunkt dieser Obsession ist erreicht, als der Vater ihres pubertierenden Opfers in eine verfängliche Situation hineinplatzt und Verdacht schöpfen müsste und Celeste Price die Situation nicht etwa durch eine Ausrede rettet, sondern ganz einfach auch noch mit dem Vater schläft. Die ewigen Sexszenen lesen sich dabei - um Nuttings ersten Satz zu zitieren - wie eine erregte Endlosschleife, die literarisch wenig befriedigend ist.
Faible für Fitnessstudios
Dabei ist Nutting keine schlechte Autorin. Der Roman entwickelt nach einer Weile eine ganz eigene Spannung. Die Frage ist nicht, ob Celeste auffliegen wird (denn es ist von Anfang an unvorstellbar, dass sie ihr Geheimnis auf Dauer wahren kann), sondern wie genau die Katastrophe ihren Lauf nehmen wird. Und hin und wieder blitzen in Sätzen lakonische, punktgenaue Beschreibungen durch, die verraten, dass Nutting eine gute Schreiberin und Beobachterin ist: Celestes Faible für teure Kosmetika und Fitnessstudios. Ihre Besessenheit nach Jugend, Reinheit und Unsterblichkeit. Ihr Ekel vor dem Alter. Einmal phantasiert sie beim Anblick eines Highschool-Football-Spiels von einer erlösenden Explosion, die die Jugendlichen tötet und ihnen das Altern erspart. Ein andermal entdeckt sie Fältchen um die Augen eines 14-Jährigen und überlegt, ob sie ihn dazu überreden könnte, mit einer vorzeitigen Behandlung zu beginnen.
Nutting reichen wenige Sätze, um alles über Celestes frustrierte Lehrerkollegen zu sagen oder ihren tumben Ehemann Ford, dem es so wichtig ist, eine gutaussehende Vorzeigefrau zu haben, dass er alle Anzeichen dafür verdrängt, dass mit dieser Ehe absolut gar nichts in Ordnung ist. Und nicht einmal merkt, dass Celeste sich jedes Mal zudröhnen muss, um den Sex mit ihm zu ertragen. Auch wenn man das nach dem ersten Satz niemals für möglich gehalten hätte. Das Buch gleicht damit in gewisser Weise Celestes Ehe mit Ford: Seine Vorzüge lohnen es, sich durch das ganze abstoßende Sex-Zeugs zu quälen.
Alissa Nutting: Tampa. Aus dem amerikanischen Englisch von Verena von Koskull. Hoffmann & Campe, Hamburg; 292 Seiten; 19,99 Euro.