Debütroman über die Liebe
Das Glück ändert seine Route
Liebe, die Kitsch nicht verbietet: In ihrem Romandebüt "Keinland" erzählt die Autorin Jana Hensel eine beklemmende Liebesgeschichte zwischen Tel Aviv und Berlin, die fast glücklich geendet wäre.
Das Ende dieses Buches steht am Anfang. Jana Hensel spoilert, und kurz möchte man sie deshalb mindestens maßregeln, weil zu spoilern - da ist man sich doch einig - für alle Beteiligten eine Zumutung ist, vor allem bei einem Liebesroman.
"Heute Morgen bist du nach Hause geflogen, ich muss da noch tief und fest geschlafen haben", steht da also als erster Satz, nach zwei Zeilen weiß der Leser: "Keinland" ist ein trauriges Buch, eines, das auf knapp 200 Seiten von einer Liebe berichtet, die nicht so endet, wie es sich Nadja, Mitte 30, Journalistin bei einer großen Berliner Tageszeitung, vorgestellt hat.
Diese Liebe ist von Anfang an eine, die eigentlich unmöglich ist. Hier Nadja. Sie recherchiert eine Geschichte über Länder mit Mauern, das passt gut, sie ist selbst in einem davon aufgewachsen. Dort Martin, zunächst nur eine Email-Adresse, dann eine laute, verärgerte Stimme am Telefon aus Tel Aviv.
Ständige Rückversicherung der gegenseitigen Liebe
Die Distanz erzeugt Nähe, die bald physisch wird. Nadja und Martin, er sieht aus "wie ein italienischer Architekt oder wie ein englischer Trader oder wie ein Anwalt aus New York" kommen sich, so sagt man das doch, näher, eigentlich bleiben sie sich aber fern. Ein paar gemeinsame Tage in Israel, ein Kongress in München, bisschen Berlin. "Lass uns ein neues Land gründen", fleht Nadja, sie wünscht sich das so sehr.
Autorin Jana Hensel
Foto: Michael Mann
Die Liebe der beiden ist eine, die ständig Rückversicherungen benötigt und dennoch für beide überlebenswichtig erscheint. Martin, das sagt er Nadja früh, möchte ein Kind: "Nadja, tu m'entends? Ich will mit dir leben. Ich will das versuchen. Tu m'entends? Ich will das wirklich versuchen".
Aber da steht etwas im Weg. Martin ist Jude, er hat keine Vergangenheit, die sich für jemanden wie Nadja begreifen lässt. "Mich verstehen nur jene, deren Leute auch als Aschehaufen in den Wolken aufgegangen sind. Meine Leute, nicht deine", sagt er einmal. Er selbst verschwindet häufig im Nichts. Nadja versucht, all das zu erfassen, sie besucht mit einem Freund Auschwitz, fährt nach Yad Vashem, weint.
Verlassenes Land, verlorenes Land
Gegen Ende, also nicht der Geschichte, dieses Ende steht ja am Anfang, sondern gegen Ende des Buches, trocknen die Tränen: "...das Kleid fällt am Bauch noch immer ganz weich und spielerisch, es spannt noch nicht. Ob Martin sich, wenn er mich sieht, an unseren ersten Abend erinnert, so wie ich mich immer, wenn ich das Kleid sehe, an unseren ersten Abend erinnere, stets an unseren ersten Abend in der zugegeben sehr hässlichen Bar am Strand von Tel Aviv denken muss?" Ein kleines Glück scheint greifbar zu sein, es ändert seine Route, zieht vorbei.
Jana Hensel erzählt also vom Gewicht der Welt. Von den größtenteils kaum beeinflussbaren Umständen, vom Knacks, den Martin aus seiner Kindheit mitgenommen hat, der Sohn zweier Displaced Persons aus Osteuropa, die sich in Frankfurt eine neue Existenz aufbauten und Kunden bisweilen ihre eintätowierten KZ-Nummern zeigten, es verwundert kaum, dass Martin dieses Land verlies. Er erzählt davon, wie auch Nadja ihre Orientierung verlor in einer DDR, die sich innerhalb eines Jahres auflöste und ganze Lebensentwürfe in Frage stellte.
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Länder kommen in diesem Buch immer wieder vor, heißen Meinland, Deinland, Keinland, heiliges Land. Vor 15 Jahren arbeitete sich Jana schon einmal an einem verlorenen Land ab, der Bestseller "Zonenkinder" verkaufte sich 350.000 Mal, wenn man heute die Presse-Rezensionen bei Amazon durchliest, findet sich zwischen ihnen sogar ein lobendes Wort von der Bundeskanzlerin.
Hochmelodischer Flow
Ebenso bedeutend wie der Themenkomplex Heimat ist für dieses Buch aber ein zweiter: Wenn Jana Hensel von der Liebe berichtet, dann tut sie das auf eine Art und Weise, die Kitsch nicht verbietet, ihn aber ins Leere laufen lässt. Die schönen, romantischen Momente, die gemeinsame Nacht am See, der Spaziergang Schulter an Schulter, das Abendmahl mit den so sorgfältig mit Olivenöl bepinselten Auberginen, vielleicht gibt es sogar Champagner: Das ist Kulisse für eindringliche Schilderungen aus dem emotionalen Katastrophengebiet. Die letztendlich universellen Mechanismen des Liebeskummers werden sehr konkret abgebildet.
Die Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Das endlose Kreisen um die selben Themenkomplexe. Die Genügsamkeit, die man sich angewöhnt, wenn man derjenige ist, der mehr liebt als geliebt wird. All das erfährt eine kunstvolle Collagierung, wird so zu einem ruhigen, aber hochmelodischen Flow. Ein trauriges Buch, aber ein beglückendes.