GRIECHENLAND Die Umerziehung der Hellenen
Griechenlands exklusivster Club ist das "Nammos" auf Mykonos, der Drink der Saison der Mastiha, ein Likörbrand aus Trauben und dem Harz des Mastixbaumes. Konstantinos Tsakiris, 40, trinkt ihn in kräftigen Schlucken und schaut entspannt aufs Meer hinaus. "Hier ist keine Krise", sagt der Reeder, einer der größten des Landes, und Haupteigner des Fußball-Erstligisten Panionios Athen.
Millionenschwere Motor- und Segelyachten dümpeln in der engen Bucht von Psarou. So begehrt sind die Liegestühle des Nammos, dass viele gleich für den ganzen Sommer gebucht werden, für 3000 Euro. "Hier kann man einfach alles machen, was verrückt ist und Spaß macht", sagt Tsakiris. Er trägt eine Strubbelfrisur, einen üppigen Bauchansatz und ein großes Tattoo über dem Herzen. Neben ihm gießt ein libanesischer Baulöwe Champagner über die Köpfe seiner jungen Begleiterinnen, für 250 Euro die Flasche. Im Nammos suchen sich die Klatschreporter ihre Geschichten.
Zurzeit macht der Prominentenclub allerdings auf den politischen Seiten Schlagzeilen. Das Finanzministerium hat die Betreiber des Nammos zu einer bemerkenswerten Geldbuße verurteilt - und die Summe auch noch per Pressemitteilung unters Volk gebracht: 3 972 930 Euro.
Das ist neu und entspricht nicht ganz den europäischen Datenschutzrichtlinien. Aber genau so ist es gewollt.
Denn Griechenland ist pleite. Um den Staatsbankrott abzuwenden, hat Premier Georgios Papandreou nicht nur öffentliche Ausgaben für Renten, Beamtengehälter oder Subventionen gekürzt. Er hat Grund-, Mehrwert- und Einkommensteuern erhöht, Benzin, Tabak und Alkohol teurer gemacht und andere Luxussteuern angehoben.
Das alles aber reicht den Aufpassern von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds bislang nicht. Vorige Woche kritisierten sie ein Gesetz zur Nachforderung von Steuerrückständen: 35 Milliarden haben die Griechen in den letzten zehn Jahren hinterzogen - aber wohl nur 2 Milliarden Euro wird das Gesetz in den kommenden zwei Jahren einspielen.
Papandreou hat immerhin angefangen, die griechische Lebensart umzukrempeln, jene Mentalität, die seit Jahren wenig Gemeinsinn kennt, aber viel Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung und Korruption hervorbrachte. Er hat sich die Umerziehung seines Volkes vorgenommen.
Von Maßnahmen "nachhaltig präventiver Wirkung" spricht Papandreous Regierung. Das Finanzministerium will einfachen Bürgern, die von Sparmaßnahmen hart getroffen sind, "auf unmissverständliche Weise klarmachen", dass von nun an Schluss ist mit Steuerhinterziehung und Vetternwirtschaft, auch für die wohlhabenden Vettern.
Also erfahren die gemeinen Griechen nun Einzelheiten aus dem Leben ihrer Reichen und Schönen, die sie vorher nicht erfuhren - aus dem Nammos zum Beispiel eine Geschichte, die mit einem umjubelten Konzert des Popsängers Antonis Remos begann.
Wohl an die 3000 Gäste lauschten an einem lauen Sommerabend bei exklusivem Dinner seinen Liedern, es sei eine "magische Nacht" gewesen, schrieben die Zeitungen. Noch während sich "die gesamte Promi-Szene und Unternehmerelite vor Remos verneigte", verschafften sich Steuerfahnder durch eine Hintertür Zutritt in den Club.
Sie fanden - nichts: Nicht einen einzigen Rechnungsbeleg, "keine einzige Quittung", wie die Finanzbeamten der Presse mitteilten. Dann nahmen sie sich die Nammos-Bücher und die Bankkonten der Besitzer genauer vor. Nun fanden sie etwas: vier Millionen Euro ohne Herkunftsbeleg.
Das Ergebnis der Razzia konnten die Clubbetreiber in den Zeitungen nachlesen: die "Mammutstrafe" und die Gewissheit, dass sie von nun an auch mit allen ihren anderen Unternehmungen "im Fadenkreuz der Finanzbehörden" stehen.
Das gilt auch für ihre weniger wohlhabenden Landsleute. Der Klimatechniker Angelos soll an diesem heißen Vormittag eigentlich längst in Kato Alepochori sein, um dort die Klimaanlage in einer Privatwohnung zu reparieren. Stattdessen steht er jetzt an einer Mautstelle am Stadtrand von Athen, die Sonne brennt, in seinem Rücken glitzert der Saronische Golf.
Steuerfahnder des Finanzministeriums haben ihn gestoppt. Sie warten direkt hinter den Schranken der Zahlstelle und winken Fahrzeuge zur Kontrolle mit roter Kelle an den Straßenrand. Gleich beim Ersten werden sie fündig.
Seine Lieferscheine stimmen nicht mit der Lizenz für den Transporter überein. Angelos muss die Kennzeichen abschrauben, das Fahrzeug wird für zwei Monate stillgelegt, sein Chef muss 3000 Euro zahlen. Einspruch ist möglich, aber wohl zwecklos.
Im Dezember hat das Finanzministerium eine "Behörde zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" gegründet, sie ist direkt dem Minister unterstellt und mit umfassenden Rechten ausgestattet. Bis Ende des Jahres sollen allein ihre Kontrollen mindestens 1,2 Milliarden Euro Steuereinnahmen zusätzlich in die Staatskassen spülen, mindestens. Die Behörde möchte sogar 5 Milliarden eintreiben.
Um 13,7 Prozent, rund 6,6 Milliarden Euro, muss die Regierung ihre Staatseinnahmen dieses Jahr steigern. Das sind die Vorgaben der Troika von EU, Europäischer Zentralbank und Währungsfonds, sonst fließen keine Rettungskredite mehr. Bislang sollen es erst drei bis vier Prozent sein, monieren die Aufpasser.
Knapp 97 Prozent der griechischen Wirtschaftsunternehmen sind Klein- und Kleinstbetriebe mit bis zu neun Mitarbeitern. Deshalb konzentrieren sich die Fahnder auf die Mini-Vans und Kastenwagen. "Man muss ein Gespür dafür haben", sagt Kostas Arvanitis, 50. "Der Arbeitsdruck ist stark gestiegen", erzählt er. Früher haben sie am Tag ein oder zwei Stichproben gemacht, jetzt werden jedes Mal fünf bis sieben Fahrzeuge kontrolliert.
Der Steuerbeamte ist seit 27 Jahren da-bei, heute ist er Einsatzleiter. Die Schummelei auf der Straße sei gängige Praxis, sagt er: Im eigenen Wagen noch schnell ein paar Lieferungen für fremde Unternehmen oder Freunde schwarz mitgenommen - so werden Kosten gespart.
Sieben Stunden lang sind sie diesmal auf der Straße, zwei Delinquenten haben sie gestellt, 4000 Euro für den Fiskus eingetrieben und stundenlangen Schreibkram auf sich genommen. Ein Erfolg? "Es geht nicht nur um Geld", sagt Arvanitis: "Wir sind erzieherisch tätig, uns ist es sogar recht, wenn wir keine einzige Strafe aussprechen müssen."
Aristidis Spirtos, 43, erhielt die schlechte Nachricht am Telefon. Freunde riefen den Schönheitschirurgen an und sagten: "Du stehst in der Zeitung." Er war zunächst "verwundert".
Zusammen mit 56 anderen Athener Ärzten fand sich der Chirurg in einer Liste wieder, die vom Finanzministerium veröffentlicht worden war und Steuerverstöße der Mediziner anprangert. "Nichtaktualisierung des Geschäftsbuches für Einnahmen und Ausgaben" sowie fehlende Einträge im Patientenbuch werden Spirtos angelastet. Bußgeld bislang: 1000 Euro.
"Nur ein einfacher Steuerverstoß", sagt Spirtos, "ich habe das zeitlich nicht geschafft, ich bin doch ganz allein." Der Behörde reicht diese Erklärung nicht.
Spirtos hat in Rom Medizin studiert, in Athen seine Facharztausbildung gemacht, sich in Großbritannien weiterqualifiziert. Jetzt sitzt er in seinen neuen Behandlungsräumen in der Nähe des Olympiastadions, an der Wand hängen Urkunden aus mehreren europäischen Städten.
In seiner Praxis nimmt er "die kleineren Eingriffe" vor, erzählt er, "Botox-Sachen" oder Laser-Enthaarungen zum Beispiel. Seine Klienten sind Schauspieler und andere Prominente, aber auch immer mehr "normale" Leute. Für größere Korrekturen, Busen, Bauch und Po, bestellt er sie in eine Privatklinik in der Nähe.
Als sich die Anrufe häuften, war er "total erschrocken". Da wusste der Doktor allerdings nicht einmal, dass er noch auf einer anderen Liste steht - zusammen mit 150 Medizinerkollegen aus dem Nobelviertel Kolonaki, samt ihren Einkünften. Hundert von ihnen haben angegeben, im vorigen Jahr weniger als 35 000 Euro verdient zu haben, die meisten sogar deutlich weniger. Spirtos steht auf Platz neun mit einem Netto-Jahresverdienst von angeblich nur 3906,15 Euro, ein Zahnarzt hat seinen Betriebserlös auf 300 Euro runtergerechnet. Die Ärzte sind zwar nur mit Initialen genannt, durch ihre Fachrichtung aber leicht identifizierbar. Spirtos fühlt sich "an den Pranger gestellt", er wirft der Regierung "Effekthascherei" vor und spricht von "Bagatellverstößen".
So denken sie fast alle. Auch Athanasios Alexandridis redet ungern über sein Finanzgebaren, er erklärt lieber das Gesamtphänomen: "Wir haben eine graue Wirtschaft, jeder wusste das, alle waren Teil davon, irgendwie."
Alexandridis, 57, hat Medizin und Psychologie studiert, seit 33 Jahren arbeitet er als Psychiater, behandelt Neurosen, Depressionen, Psychosen. Er habe sich geweigert, den Steuerfahndern sein Geschäftsbuch zu zeigen, sagt die Finanzbehörde, als Jahreseinkommen hat er 12 238,63 Euro angegeben, immerhin.
Die Liste sei "wohlkalkulierte politische Propaganda", findet Alexandridis, "die Regierung will zeigen, wir greifen auch die Reichen an". Mit leiser Stimme beschreibt der Doppel-Doktor, wie der Durchgriff der Regierung ihn und seinesgleichen traf. "Die Aktion war wohl legal und gesetzlich einwandfrei", sagt er emotionslos, "aber nicht alles, was legal ist, ist auch moralisch in Ordnung."
Er sieht sich als Teil eines "sozialen Phänomens, das seit Jahrzehnten Wirklichkeit ist und zu dem wir alle beigetragen haben".
Premier Georgios Papandreou will dagegen vorgehen, ohne Ansehen von Stand und Person. "Wir sind fest entschlossen, die Schattengesellschaft zu bekämpfen", sagt der Regierungschef. Aber wird das reichen?
Psychiater Alexandridis will seine Lehren aus "dieser Sache" ziehen: "Ich achte darauf, dass künftig alles in Ordnung ist", verspricht er. Aber er sagt auch: "Wer Druck ausübt und Leute bloßstellt, hat vielleicht im ersten Schritt Erfolg, dann aber kommt die Wut".