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Kunst und Architektur Fälschungsskandal

Sammler fallen auf einen fiktiven Künstler herein

Redakteurin im Feuilleton
Falscher Kesting: Die Auktionatorin Irene Lehr übergab diese Collage dem Berliner Landeskriminalamt Falscher Kesting: Die Auktionatorin Irene Lehr übergab diese Collage dem Berliner Landeskriminalamt
Falscher Kesting: Die Auktionatorin Irene Lehr übergab diese Collage dem Berliner Landeskriminalamt
Quelle: Museum Karl Waldmann / Privat
Angebliche Collagen aus der Dada-Zeit fluten den Kunstmarkt. Doch nun zeigt sich: Viele davon sind gefälscht. Um sie in Umlauf zu bringen, nutzten clevere Betrüger offenbar auch eine Tarn-Biographie.

Karl Waldmann, Edmund Kesting und Karl Hermann Trinkaus – was haben diese Künstler miteinander gemein? Sie wurden alle in den letzten fünf Jahren als Wiederentdeckungen ausgiebig gefeiert. Sie gehören einer Generation an, sie stammen aus der Gegend um Leipzig oder Dresden, und sie kamen – angeblich – mit dem Bauhaus in Berührung. Dabei wurden sie kaum bekannt. Zu Lebzeiten haben sie ihr Werk nicht gut dokumentiert.

Genau deswegen haben sie nun auch einige Probleme: Von Edmund Kesting sind erwiesene Fälschungen im Umlauf, und für Trinkaus sieht es auch nicht gut aus, auch wenn die Untersuchungen des Landeskriminalamts (LKA) noch nicht abgeschlossen sind. Und einen Karl Waldmann mit seinen Fotocollagen hat es wohl gar nicht gegeben. Er ist eine Erfindung. Die uns wieder einmal zeigt, wie leicht es ist, das Kunstpublikum zu täuschen.

Wir kennen Beltracchi, den Skandal um die Galerie Knoedler in New York, gefälschte Degas’, Motherwells oder Giacomettis. Wir wissen, dass der Kunstmarkt durchdrungen ist von kunstvollen und dilettantischen Kopien, von Familienclans, die sich über Generationen mit nichts anderem beschäftigt haben, als Bilder der Russischen Avantgarde zu fälschen. Und das nicht immer meisterhaft. War es auch jetzt wieder so einfach? Nur auf den ersten Blick scheint es so. Die Fälschungen dieser Künstler wurden – wie es zurzeit aussieht – in Auktionen verteilt über ganz Deutschland erfolgreich angeboten.

Angebliche Collage des angeblichen Karl Waldmann
Angebliche Collage des angeblichen Karl Waldmann
Quelle: Musée Karl Waldmann Museum

Doch fangen wir von vorne an: Alles begann mit einem Stutzen. Diesem sehr kurzen Moment der Erkenntnis, dass etwas nicht stimmt. Wer stutzte? Es war die Berliner Auktionatorin Irene Lehr. Sie selbst führt ein kleines Auktionshaus in Berlin. Ihr größter Erfolg war die Entdeckung eines noch unbekannten Bildes von Max Beckmann. Sie kämpfte um dieses Bild, ließ im renommierten Doerner-Institut in München Materialanalysen machen und bekam nach zähem Ringen die Bestätigung: Es war echt. „Wir Auktionatoren können ja auch nicht für alles Experten sein, aber wir lernen aus der Praxis, dem Sehen. Ich habe ein fotografisches Gedächtnis“, sagt sie.

Und das half ihr auch beim Blick auf eine Collage des Dresdner Künstlers Edmund Kesting (1892–1970), die ihr beim Blättern in einem Katalog eines Auktionshauses auffiel. Zum wiederholten Mal entdeckte sie Arbeiten, von denen es bislang hieß, sie seien äußerst selten. Sie selbst hatte eine ähnliche Arbeit angeboten und sehr erfolgreich versteigert: 20.000 Euro plus Provision für den Händler. Der Einlieferer war erst kurz vor der Auktion hereingeschneit: André Pauer, der Leiter des Kesting-Archivs, der das Blatt im Nachlass gefunden haben will. Lehr wurde misstrauisch. Die Blätter aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren sind rar. Und jetzt? Überall Kesting.

Irene Lehr wendete sich an das LKA in Berlin. Sie konfrontierte Pauer, der alles abstritt, sich aber in Widersprüche verwickelte. Gegen ihn wird ermittelt. Es dauerte. Lange. Irene Lehr informierte die Kollegen, Bassenge und Ketterer nahmen sofort zwei Werke aus den Auktionen. Auch diese Arbeiten standen unter Verdacht. Und jetzt kam die Bestätigung: Alle drei Kestings sind gefälscht. Für das Bild von Irene Lehr gilt: „In ‚Ohne Titel, Collage mit bunten Kreisen‘ wurden Farbpigmente festgestellt, die für eine Entstehung erst nach 1939 sprechen.“ Sie informierte die Käufer und erstattete das Geld zurückt: insgesamt 27.000 Euro.

Zeitgleich tauchten immer mehr Werke von Karl Hermann Trinkaus auf. Das Berliner LKA bestätigt, dass auch in diesem Fall ermittelt wird. Trinkaus wurde 1904 in Leipzig geboren, ging 1926 ans Bauhaus in Dessau. 1935 gab er die Kunst auf, arbeitet im Flugzeugbau als Diplomingenieur. Ab 1950 war er im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin beschäftigt. 1965 nahm er sich das Leben. Der Fall ist besonders spannend, weil er zeigt, dass die Betrüger genau wissen, was gefällt, was ankommt. Sie geben uns, was wir uns aus jenen vorapokalyptischen Jahren wünschen: kritische Geister, die rotzig aufbegehrten. Wir wollen daran glauben.

Geschickte Betrüger: Auf jede Fälschung ein echtes Blatt

Den umstrittenen Nachlass hatte sich vor drei Jahren das Auktionshaus Villa Grisebach gesichert – exklusiv, wie es heißt. Die Fotocollagen, entstanden zwischen 1926 und 1931, wurden als Sensation gefeiert. Weil die Betrüger geschickt sind. Sie mischten das Angebot durch: Auf jede Fälschung kam ein echtes Blatt. Wenige Monate später las man den Namen Trinkaus auch in München.

Sind diese visionären Blätter aus den wichtigen Zwanzigerjahren inhaltlich realistisch? Formal sind sie es auf keinen Fall. Die Signatur seiner authentischen Aquarelle weicht unübersehbar von der auf den neuen Fotocollagen ab. Während die bekannte, echte Signatur das „t“ und „a“ immer gleich geschrieben hat, ist die Schrift hier eine leichte Kugelschreiberlinie oder durch einen Namensstempel oder geklebte Buchstaben ersetzt. Bei einigen Arbeiten hat man das Gefühl, dass alte Entwürfe als Unterlage für neue Kompositionen dienten; die gemalten oder gespritzten Untergründe und Buchstaben wirken authentisch, die darüber geklebten Collagen neu.

Im Fall Trinkaus gibt es noch viel Forschungsbedarf. Dem LKA liegt eine Collage vor, die wir hier abbilden. Sie wurde für rund 10.000 Euro versteigert.

Karl Waldmanns Collagen sind denen von Trinkaus sehr nah. Seine jüngste Karriere ist erstaunlich. Er wird international gezeigt, obwohl die einzige Quelle ein Flohmarktfund ist. Seine Inhalte sind einfach zu passend: „Er kritisiert Stalinismus und Nationalsozialismus in einem“, schwärmt man auf der Seite des privaten Karl Waldmann Museums. Zurzeit wird im Kunsthaus Dresden seine umstrittene Schau „Boundary Objects“ gezeigt. Bis heute lässt sich die Biografie von Waldmann nicht belegen. Der belgische Galerist Pascal Polar verteilt und bewirbt das Werk.

Handelt es sich wirklich um einen unbekannten Künstler, der seine Werke während der NS-Zeit geheim halten musste? Wir wollen wohl zu gerne an die großen Visionäre der Zwanzigerjahre glauben, die das Grauen voraussahen und sich über Hitler lustig machten – auch wenn es keine Beweise dafür gibt. Auch in diesem Fall ermittelt das LKA. Seit ein paar Wochen spricht auch das Kunsthaus in Dresden lieber von einer zeitgenössischen Erfindung, einem Leben als Roman.

Liegt beim LKA Berlin: „Reichsorchester“ von Karl Hermann Trinkaus, versteigert im Juni 2013 bei Grisebach in Berlin
Liegt beim LKA Berlin: „Reichsorchester“ von Karl Hermann Trinkaus, versteigert im Juni 2013 bei Grisebach in Berlin
Quelle: Kunstauktionen GmbH

Wirklich interessant sind daher nur die Bezugspunkte zu den realen Künstlern, zu Kesting und Trinkaus, denen, die wirklich Schaden erleiden durch einen solchen Betrug: Die biografischen Parallelen sind frappierend. Und auch der Vergleich der Collagen von Waldmann und Trinkaus lohnt. Die Schätzungen für alle drei Künstler sind niedrig, was nicht nur den Preis steigert, sondern auch eine Recherche oder Materialanalyse unwahrscheinlich werden lässt. Ist das Objekt erst einmal zugeschlagen – und sei es noch so hoch –, stellt meist keiner weitere Fragen.

Vergleicht man nun alle Arbeiten mit ihren verschobenen Formen und Motiven, könnte man meinen, die Künstler hätten entweder in einem Atelier gearbeitet, sich gegenseitig beim Signieren geholfen oder wären Drillinge im Geiste gewesen. Die schlechte Signatur von Kesting erinnert jedenfalls stark an die von Trinkaus und umgekehrt. Die Collagen wirken zum Teil so plakativ politisch, dass man unweigerlich die Augen verdreht und an den Schulunterricht denken muss, als man sich in Klebeübungen mit Zeitungsausschnitten übte.

Waldmann, Kesting, Trinkaus – wir wissen noch nicht, wer hinter diesen Betrügereien steckt. Es gibt strategische und visuelle Verbindungen. Experten geben im Stillen schon ihre Tipps ab. Denn anders, als viele meinen, sind die Clans und Fälscher oft schon seit Jahren bekannt.

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