Ein Sommer voll Mord, Liebe und Leidenschaft

Ich habe viele Sommerferien in Irland verbracht – auf einem kleinen Cottage ohne Fernseher, ohne Radio und anfangs auch ohne Telefon. Zum nächsten Cottage sind es fünfzehn Minuten zu Fuß, zur nächsten geteerten Straße zehn. Man muss seine Verwandtschaft mögen, um hier nicht wahnsinnig zu werden.

Ich persönlich war nirgends so glücklich wie dort. Und das Glück fing nicht erst in dem Moment an, an dem mein Vater uns das erste Seven up auf irischem Boden spendierte, alle Mann aus einer Dose und meistens auch ungekühlt. Nein, das Glück (oder ein Vorgefühl auf das kommende Glück) begann in dem Moment, in dem die gelben Postkisten im Wohnzimmer auftauchten. Das war meistens so drei Wochen vor dem eigentlichen Urlaub und bis heute liebe ich diesen trockenen Pappgeruch.

Meinem Vater gegenüber begründete meine Mutter diese Paketsendungen stets damit, dass wir auf diesem Weg nicht all die Geschenke, Gebrauchsgegenstände und drüben schwer zu beschaffenden  Lebensmittel im Gepäck mitnehmen müssten. Da meinem Vater grundsätzlich der Bankrott durch die Kosten eines größeren Mietautos und unerschwinglich teures Übergepäck drohte, nahm er diese Begründung klaglos an – in Wahrheit enthielten diese zwei, drei großen Postpakete aber vorwiegend etwas ganz anderes: Bücher!

Meine Mutter packte sich Lesestoff für vier Wochen ein. Dicht an dicht pressten sich in diese Pakete Intrigen, Morde, finstere Leidenschaften, wilde Schicksale und große Lieben, Damen im Krinoline lagen neben Modesty Blase, russische Großfürsten kuschelten sich innig an eine Stalin-Biographie. Und wenn meine Mutter Wochen später die Bücher in Irland ausgelesen ins Regal stellte, dann hatte sie in ihrem behaglichen Liegestuhl träumend vermutlich mehr erlebt, erduldet und gesehen als mancher Weltreisende in einem ganzen Leben. Bis heute überzeugt mich ihr Konzept, denn wer kann sonst schon von sich behaupten im selben Urlaub mit Napoleon gen Russland gezogen zu sein und gleichzeitig im Sezessionskrieg gekämpft zu haben? Wer außer meiner Mutter ist in vier Wochen an der Aufklärung von mehr als dreißig Morden in über sechs Jahrhunderten beteiligt? Und wer kommt sonst in so kurzer Zeit einmal quer durch die Wüste Gobi, zu Fuß mit einer Sklavenkarawane?

Wir vom Blogteam jedenfalls wollen es ihr gleichtun. Welche Schicksalsschläge, Leidenschaften und Morde wir genau planen, im Urlaub von unserem Liegestuhl aus zu erlesen, das werden wir Ihnen ab morgen an den kommenden Wochenenden vorstellen, wenn das Thema der Sonntagserie heißt: ‚Sommerlesetipps‘.

Viel Spaß wünschen Joan Weng & das gesamte Blogteam

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