Samstag, 21.3.
22.213 Infizierte in Deutschland. Über 10.000 Menschen sind bisher weltweit an Corona gestorben. An einer normalen Grippe sterben 50.000 Menschen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales rechnet mit bis zu 1,2 Millionen Menschen, die jetzt zusätzlich Grundsicherung benötigen; Kostenpunkt: knapp zehn Milliarden Euro.
Wien, Regenschauer, 8 Grad. Aus dem Teletext des ORF: Verboten sind Fahrten mit Mountainbikes, in Gruppen, die kilometerweite Entfernung von der Wohnung…
Krisenmanager Söder ist vorgeprescht und hat als erster eine Ausgangssperre verhängt. Aus der „vorläufigen Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie“ der Bayerischen Staatsregierung, in Kraft getreten am 21.3.2020, 00:00 Uhr: Erlaubt sind „Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung“.
„Die Ausgangssperre ist ein Charaktertest!“ Das sagt Söder mehrmals in seiner Ansprache. Die Dystopie ist Wirklichkeit geworden. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Noch nie wurden die Grundrechte in der Bundesrepublik so eingeschränkt. Reisefreiheit, das Recht auf freie Berufsausübung, Demonstrationsrecht – alles ausgehebelt. Ist das ein Test, wie angepasst wir sind? Soll jede Kritik an der „Obrigkeit“ im Keim erstickt werden? Werden wir auf Regierungslinie eingeschworen?
Ich muss in meinem Kalender nachschauen, welcher Wochentag heute ist. Samstag. Da gehe ich normalerweise gerne shoppen und nachts in einen Club. Ab sofort ist jeder Tag wie der andere. Die Vorfreude ist abgeschafft. Trostlosigkeit macht sich breit. Der Schriftsteller Frank Witzel beschreibt lakonisch, was ich empfinde: „Mein Gott, sitzt den ganzen Tag allein in seiner Butze, macht sich unnötige Gedanken und traut sich nicht raus.“ Ich wage es kaum, zum Bäcker zu gehen; könnte mich ja ein Polizist auf der Straße kontrollieren. Vor dem Supermarkt am Nordbad verkündet ein Polizeiauto über Lautsprecher die neuen Regeln. Meine Angst grenzt an Paranoia.
Panik und Nervosität sind Spielarten der Angst. Ich rauche fast doppelt soviel wie sonst. Eingesperrt in meiner 2-Zimmer-Wohnung, wächst der Hunger nach Nähe. Meine Welt zerfällt in ihre Einzelteile. Die Sinnfrage stellt sich neu.