8.-9.7.2017 – Aland

8.7.2017

Aland. Geradezu leidenschaftlich sind mir die Aland-Inseln ans Herz gelegt worden.
Dafür habe ich eine große schwedische Luxusfähre nehmen müssen.

Ich bin gerade angekommen in Mariehamn und hole mir einen Kaffee, um mich damit an den Tisch zu setzen, von dem ein grau-schwarzer Rabe wegflog, als ich kam. Ich frage, was Thank you heißt, und der Mann hinter dem Tresen – glattes Gesicht, glatter Kopf mit hellen sehr kurzen Haaren – sagt ernst und knapp: tak! – Ach ja, er ist Schwede.
Gleichzeitig höre ich von rechts hinter mir laut und deutlich: kiitos! Ich drehe mich um und sehe ein freundliches faltiges Gesicht mit zerzausten dunklen Locken darum, grinsend betont dieser Mann: „with two ii“! Als ich das Wort wiederhole, schaut er sich beim Hinausgehen nochmal um und lobt mich: „well pronounced!“
Ich bin auf Aland, das die Schweden und die Finnen unter sich verteilt haben. Die Sprache ist schwedisch, die Politik finnisch. Wie geht das? Es geht bei den Schweden und den Finnen.

Gestern waren mir die Schweden fremd, da stand noch meine frische Zuneigung für den Finnen zwischen uns.
Dann bin ich mit dem rechten Vorderrad in einen Graben gefahren. Das Auto hing schief, sehr schief. Hatte aber drei Räder auf dem Boden. Das nächste Auto, das entgegenkommt, hält, ein Schwede springt heraus – mittelalt und ohne Haare – schaut den Kopf bedenklich schüttelnd. Ich sage: wir müssen es versuchen, „three wheels are on the ground, it must be possible – if it rolls, I will stop!“ Da sind auch schon zwei junge kräftige Schwedinnen, und alle drei drücken gegen das Auto, als ich den Motor anlasse, die Handbremse löse und erst vorsichtig, dann stärker Gas gebe. Es greift. Ein Rad dreht kurz durch, dann stehe ich wieder gerade. Und schon sind die drei wieder weg, dem Mann kann ich grade noch mein Danke symbolisieren, bevor er in sein Auto springt. Ich fahre auch weiter. Als machte ich das jeden Tag. Graben rein – Graben raus.
Dabei ist das gar nicht so. Zum letzten Mal bei Fulda vor etwa zehn Jahren. Da habe ich an der nächsten Tankstelle zwei Holländer gefunden, zwei große, schwere LKW-Fahrer. Die kamen mit zum Auto und einer setzte sich drauf, wo das Vorderrad in der Luft hing und das Auto rollte wieder.

Eckerö. Mauersegler? Schwalben? Sie streifen flach über das Wasser und schlüpfen in die Bootshäuser, von wo man dann ein lautes Kreischen hört. Das sehe und höre ich nun schon stundenlang in Eckerö, draußen an der Ostsee, Bootshafen, Bootshäuser, Anlegestelle für die Fähren und eine Anlegestelle für die große Fähre. Und ein wunderschöner Platz auf dem Felsen im Licht des Nachmittags, bis die Sonne untergeht und darüber hinaus. Wir laufen unter dem Mond über die Steine, ich lese, bis das Licht schwächer wird, da ist es weit nach Mitternacht. Wir schlafen gut, gegen Morgen beginnt es zu regnen, ich schließe das Dach und gehe wieder ins Bett. So lange habe ich noch nie geschlafen. Schwimmen, wenn man dafür nicht so weit ins Wasser laufen müsste. Es geht nur rückwärts und mit dem Hintern im Sand. Aber immerhin – bei nicht einmal 15 Grad im Wasser, Luft 12 Grad. Wie gestern Sonne und eisiger Wind.

© H. Tarnowski

9.7.2017

Langnäs. Die Fähre nach Kumlinge geht um 13 Uhr. Ich stehe kurz nach 12 schon auf dem Parkplatz nebenan, um halbeins fahre ich zur Anlegestelle hinüber. Da steht kein Auto, da ist kein Mensch. Nach einer Weile kommen zwei Männer mit gelben Westen aus einem offenen Schiff. Die frage ich nach der Fähre nach Kökar. Sie schütteln die Köpfe, dann laufen sie mit mir zu einer Tafel an der Einfahrt, lesen und nicken: ja, um 12 Uhr fährt sie. Sag ich doch. Hab seine Armbanduhr gesehen, schnell wieder weggeschaut, hat nichts geholfen. Sie zeigt inzwischen auf ein Uhr. Es dämmert mir: die finnische Zeit! Das hätte mir das Mädchen beim Buchen sagen können. Ich stelle meine Uhr um. Die nächste Fähre geht um 16 Uhr. Ich solle mir inzwischen die Insel anschauen, Lumparland sei schön! Eigentlich egal, wo ich herumlaufe – Kökar oder Lumparland –, wenn mich nicht wieder das Verpasste-Fähre-Trauma erwischt hätte. Es hat meinen Tag gedreht, der Fluss will umkehren. Ich brauche Wasser, das hilft oft. An das Wasser, das ich sehen kann, komme ich nicht heran, biege schließlich zu einem Waldstück ab und gehe mit dem Hund los. Der erste Autofahrer, der entgegenkommt, macht ein Zeichen um seinen Hals, ich verstehe: ich soll den Hund anleinen. Mach ich. Bis der weg ist. Yalla fängt an zu bellen – ein Hund taucht auf mit einem Mann, es wird ein schwarzer Labrador. Der Mann hält seinen Hund, der auf Yalla loslaufen will, am Halsband fest, ich hänge Yalla wieder an. Begrüßung, Verständigung, auf einmal spricht der Mann Deutsch. Er ist Schwede und hat sechs Jahre in Hannover Gesang studiert und singt in Stockholm Die Schöpfung, erzählt er stolz. Und mit der Zeit hätten sie auch immer Probleme. Dann gehen wir wieder unserer Wege.
Ich setzte mich auf einen trockenen Stein, um mein Brot zu essen, muss ein paarmal den Stein wechseln, weil überall Ameisen herumrennen, mit denen Yalla nicht fertig wird. Auf dem Rückweg zur Anlegestelle sehe ich einen Weg zu einem See, da gibt es eine Anlegestelle für Motorboote. Ich muss hinein und schwimme, bis mich Grünzeug so sehr piekt, dass das Schwimmen keinen Spaß macht.
Die verpasste Fähre ist kein Problem. Booked or not booked? Ich stelle mich zu booked und werde aufs Schiff gewunken, das endlich ein überschaubares Maß angenommen hat. Der Hund kann im Auto bleiben, ich muss ihn nicht über löcherige Treppen quälen.

Auf der Fähre strahlen zwei sehr junge Frauen die Köpfe schräg aneinander gelehnt in das vorgehaltene Smartphone. Schönes Bild.
Schon vorbei: die Frauen gehen mit sehr ernsten Gesichtern auseinander. Das Lachen hat keine Minute gedauert.
Sie werden einmal sagen: das war ein schöner Tag.
Von solchen Bildern gibt es Millionen und Abermillionen.

Die Schwalben nisten auf den Fähren, die den ganzen Tag und die halbe Nacht zwischen den Ufern hin- und herfahren. Sie füttern ihre Jungen im Fliegen.

Den Vollmond am helllichten Tag kann man nicht sehen.

© H. Tarnowski

 


Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de