Das Private ist politisch

Zehn afrikanische AutorInnen nähern sich der Zukunft ihres Kontinentes mit literarischen Phantasien

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einige der interessantesten literarischen Zukunftsvisionen der jüngsten Vergangenheit stammen von der nigerianischen Autorin Nnedi Okorafor. Dass es sich bei ihr keineswegs um die einzige afrikanische AutorIn handelt, deren Science Fiction auch für Menschen lesenswert ist, die dem Genre ansonsten eher fremd gegenüberstehen, zeigt einmal mehr die von Christa Morgenrath und Eva Wernecke herausgegebene Anthologie Imagine Africa 2060, deren zehn Geschichten über mögliche Zukünfte verschiedener Länder des Kontinents „ungefähr 100 Jahre nach den Unabhängigkeiten“ imaginieren. So heißt es zumindest im Editorial. Nicht ganz zu Recht rühmt sich der Band, er versammle „Originalbeiträge“. Denn schon in den biobibliografischen Angaben zur José Eduardo Agualusa, dessen Kurzgeschichte Als die Welt untergegangen war… den Band eröffnet, zeigt sich, dass er keineswegs einen Originalbeitrag beigesteuert hat. Vielmehr wurde sein Text bereits 2013 in einem seiner Erzählbände veröffentlicht.

Die je fünf Autoren und Autorinnen des vorliegenden Buches stammen zwar aus zehn verschiedenen afrikanischen Ländern, doch haben nicht wenige von ihnen längere Zeit in den USA oder Europa gelebt, wenn sie nicht gar dort geboren wurden. Ihre Geschichten sind von sehr unterschiedlicher Qualität. Etliche sind mäßig, zwei oder drei nicht der Rede wert. Dies aber wird durch zwei, drei andere wettgemacht, die nicht nur originell sind wie etwa Ellen Banda-Aaku Froschaugen, sondern in Stil, Inhalt, Plot und Idee geradezu beeindruckend. So etwa Sonwabiso Ngcowas Die Wahrheit. Eine Shortstory, die in Form eines Dialogs über 14 Tage aus dem Leben der Ich-Erzählerin berichtet. Es handelt sich um die düsterste und darum vielleicht auch realistischste Zukunftsvision des Buches.

Eröffnet aber wird der Band mit der bereits erwähnten Dystopie von Agualusa, in der die Welt im wahrsten Sinne des Wortes untergegangen ist. Denn der Planet wird von einem einzigen großen Ozean bedeckt. Gerade einmal ein Prozent der Menschheit konnte sich in „fliegende Städte“ und Dörfer retten, die nun über dem Weltmeer schweben. Die Reichen in „riesige Luftschiffen“, die Armen in „kleine Ballons“. Protagonist ist ein 16-jähriger Junge auf der Suche nach seinem Vater. Ein Mädchen begleitet ihn als Sidekick. Die wenig originelle Story voller Klischees erweckt schnell den Eindruck, sie sei für seine Geschlechtsgenossen gleichen Alters geschrieben. Ein Blick in die Quellenangabe bestätigt die Annahme – die Kurzgeschichte wurde dem ersten Jugendbuch des Autors entnommen. Misslich ist, dass die Handlungswelt als Ganze wie auch in den Details jeder Stimmigkeit entbehrt. Selbst Jugendliche dürften das bemerken.

Wenig subtil ist auch Ken Buglus Utopie, in der sofort klar ist, wer auf der Seite der Guten steht und wer auf derjenigen der Bösen. Hier die entpersonalisierten „Ungeheuer ohne Namen“ des „arroganten“ und „herrschsüchtigen Nordens“ und die „gehirnmanipulierte Clique“ der MachthaberInnen des Südens, da die Schar derjenigen, die „eine Welt der Gerechtigkeit, des Friedens, eine Welt zur Erhaltung des Planeten“ wollen: „die Königsmutter“ des südlichen „Königsreichs Adjagba“, ihre Tochter Affia, die „jungen Generationen“ des Reiches und selbst „die Natur“, die sich entscheidet, „ihren Zorn explodieren zu lassen“ und die nördliche Hälfte der Erde zu vereisen. Eine in ihrer Vorhersehbarkeit denkbar langweilige Lektüre.

Originell und völlig frei von Klischees jeder Art ist hingegen Banda-Aakus Story Froschaugen, deren Protagonistin als „geschäftsführende Leiterin der neuen Afrikanischen Liga“ tätig ist. Auf wenigen Seiten haucht die Autorin nicht nur ihr Leben ein, sondern auch ihrer längst verstorbenen Großmutter Gogo. Stilistisch interessant ist zudem, dass die Erzählstimme die handlungstragende Figur im Präsens und der zweiten Person Singular adressiert. Auch Okwiri Oduor zaubert den Lesenden die Protagonistin und ihre Welt lebendig vor Augen. Ihre Kurzgeschichte Heimweh steht dem afrikanische Mythen und Science Fiction verbindenden Afrofuturismus ausgesprochen nahe. Nii Parkes wiederum verknüpft in Organoide westafrikanischen Alltag mit SF-Elementen.

Tendai Huchu hat mit Data Farming hingegen eine geradezu nostalgische Zukunftsgeschichte geschrieben, in der er das nichtige Leben Makomboreros, der seit etlichen Jahren mit einem als Männerphantasie reinsten Wassers erscheinendem PC-Programm liiert ist und in seinem Eckbüro nicht einmal weiß, was er überhaupt tut, mit dem von dessen Vater kontrastiert, der mit „schwieligen“ Händen die Ackerscholle bearbeitet. Gelegentlich leidet der Text dabei an unstimmigen Bildern wie etwa „kauernden Wolkenkratzern“.

Das Glanzlicht des Bandes haben die Herausgeberinnen an den Schluss gesetzt: Chika Unigwes Amara For President. Protagonistin ist eine emanzipierte 34-jährige Frau, die eine realistische Chance hat, zur ersten Präsidentin Nigerias gewählt zu werden. Dass ihre politischen Vorhaben „Hand und Fuß“ haben, scheint – trotz aller Fortschritte auch auf dem Gebiet der Frauenrechte – für das Wahlvolk der Zukunft allerdings weniger Gewicht zu haben als die Frage, ob sie eine gute Ehefrau ist. So sieht sie sich vor die Alternative gestellt, ihre Hoffnungen auf den Wahlsieg aufzugeben, indem sie die von ihr in die Wege geleitete Scheidung durchzieht, oder aber in der unglücklichen Ehe zu verharren um gewählt zu werden, was ein wichtiger Schritt für die Frauenbewegung des Landes wäre. Dass das Private hier insofern politisch ist, als die Emanzipation des Privaten dem Politischen im Weg steht, scheint die unauflösbare Antinomie der Geschichte zu sein. Doch endet sie hoffnungsfroh mit einem „weltweit vernehmbaren“ emanzipatorischen „Knall“. Dass es sich lohnt, zu dem von Morgenrath und Wernecke herausgegebenen Band zu greifen, ist Geschichten wie dieser zu danken.

Titelbild

Christa Morgenrath / Eva Wernecke (Hg.): Imagine Africa 2060. Geschichten zur Zukunft eines Kontinents.
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2019.
192 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783779506041

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