„Wir müssen nicht so schreiben, wie andere es vor uns getan haben.” Sina Pousset will mit ihrer Sprache etwas Neues wagen und riskiert damit bewusst, dass die LeserInnen ihres Romans ins Schwimmen kommen. Aylin Salzmann begleitete sie dabei von Anfang an. Was als Freundschaftsdienst begann, wurde zu einer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit. Wir haben die Autorin und ihre Lektorin zum gemeinsamen Interview getroffen.

© Marie Krutmann
Der Roman „Schwimmen“, an dem ihr gemeinsam gearbeitet habt, erzählt von drei jungen Menschen, die irgendwo zwischen dem Traum vom freien, kreativen Leben und der Verantwortung des Erwachsenwerdens treiben. Als ihr beide euch das erste Mal begegnet seid, wart ihr selbst noch in einer anderen Phase eures Lebens als heute. Wie habt ihr euch damals kennengelernt und gab es den Roman da schon?
Sina: Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, hatte ich bereits mit dem Schreiben begonnen, war mir aber nicht sicher, wie gut der Text ist und an wen ich mich damit wenden könnte. Dass Aylin einmal meine Lektorin bei Ullstein werden würde, wussten wir zu dem Zeitpunkt nicht. Ich war einfach froh über eine erste Einschätzung von jemanden, der sich gut mit dem Literaturbetrieb auskennt.
Aylin: Man muss dazu sagen, dass wir damals, also vor vier Jahren, beide in England lebten. Sina hat in Oxford studiert und ich arbeitete in London in einer Scouting-Agentur. Über eine gemeinsame Freundin wurden wir einander auf einer Party vorgestellt und sind ins Gespräch über Sinas Roman gekommen. Ich habe ihr daraufhin angeboten, mir den Text gerne einmal anzusehen.
Als Sina mir den Text dann einige Monate später gab, war ich auf Anhieb so begeistert, dass für mich feststand, sie unbedingt bei ihrer Arbeit daran begleiten zu wollen – wenn auch vorerst nur als Leserin. Klar, die Story war noch sehr roh, aber ich war vom ersten Satz an von dieser Sprache begeistert.
Was ist das Besondere daran?
Aylin: Sinas Sprache ist sehr poetisch und transportiert starke Emotionen, jedoch auf eine ganz direkte Weise. Das macht den Text sehr zugänglich und unmittelbar.
Sina: Mir war es wichtig, zu zeigen, dass die junge Literatur auch auf sprachlicher Ebene etwas wagen darf. Wir müssen nicht so schreiben, wie andere es vor uns getan haben. Ich glaube, es ist besonders für Debütautoren ein Problem, dass man sich am Anfang fragt, wie man schreiben soll und sich dann an den großen Namen in der Literatur orientiert, die einem gefallen. Ich finde aber, dass man sich davon ruhig lösen und den Mut haben sollte, es anders zu machen. Damit riskiert man vielleicht, dass jemand sagt, dass er keinen Zugang zu dieser Sprache hat oder sich in diesem Text verloren fühlt. Aber mir fehlt dieser Mut in der deutschsprachigen Literatur.
In der englischsprachigen Literatur ist das anders, deshalb lasse ich mich gern von englischen Autoren inspirieren und hoffe, dass ich mit meinem Roman auf wache Leser treffe, die sich auf das Experiment meiner Sprache einlassen.
Hat sich im Laufe eurer langen Zusammenarbeit noch vieles am Text verändert?
Sina: Von den allerersten Seiten ist im Roman, so wie er jetzt ist, kein einziger Satz mehr zu finden. Ich musste mir damals erst einmal die grobe Struktur der Geschichte und die Charaktere Milla, Jan und Kristina erschreiben. Diese erste Fassung ist für mich so etwas wie die Backgroundstory, auf die ich dann die Roman-Fassung aufbauen konnte. Gerade bei diesem Prozess war es hilfreich, Aylin an meiner Seite zu haben, die mich und die gesamte Entwicklung der Geschichte von Anfang an begleitet hat. So konnten wir gemeinsam überprüfen, ob man der Geschichte weiterhin folgen kann, wenn ich einzelne Elemente und Passagen weglasse. Ich glaube, das einzige, das sich nie veränderte, waren die drei Charaktere und die Orte, an denen die Geschichte spielt.
Aylin: Wenn wir uns getroffen haben, berichtete Sina mir immer, an welchem Punkt in der Handlung sie gerade ist und was für Szenen sie sich im Detail vorstellt. Gemeinsam haben wir dann überlegt, ob und wie sehr man beispielsweise eine Liebesszene zwischen Milla, Jan und Kristina auserzählt.
Sina: Ich habe Aylin da total vertraut (schaut zu ihr rüber). Ich hatte immer das Gefühl, dass du weißt, wohin der Text gerade will und wo etwas fehlt oder es zu viel ist.
Unsere Zusammenarbeit war eben nicht allein deshalb so besonders, weil sie über mehrere Jahre andauerte, sondern auch weil wir auf einer Wellenlänge schwimmen, was das Gefühl für den Text betrifft.
Der Roman ist in zwei Erzählebenen unterteilt. Es gibt Passagen, die im Winter in Berlin spielen. Die Protagonistin Milla arbeitet dann in einem Verlag und kümmert sich nach der Arbeit um die kleine Emma. Dann wieder springt die Handlung zurück in den Frankreichurlaub, wo es zu einer Art Dreiecksbeziehung zwischen Milla, Jan und Kristina kommt. Obwohl es sich hierbei um Erinnerungen handelt, sind beide Erzählebenen im Präsens geschrieben. Woran liegt das?
Sina: Ganz zu Beginn unserer Arbeit am Text haben Aylin und ich überlegt, ob es die Leser verwirren könnte, keinen Tempus-Wechsel zwischen diesen Passagen einzubauen. Wenn wir uns an etwas erinnern, denken wir ja aber auch nicht in der Vergangenheitsform, daher wollte ich alles im Präsens schreiben. Der Wechsel zwischen den beiden Ebenen wird trotzdem anhand der jeweils genannten Daten klar.
Aylin: Ich glaube, diese strukturellen Überlegungen waren die größte Herausforderung, zumindest auf meiner Seite.
Gab es Momente, in denen ihr euch uneinig wart?
Sina: Das kam nur selten vor. An einer Stelle im Roman gibt es einen Perspektivwechsel im Text, den ich beibehalten habe, obwohl Aylin ihn streichen wollte. Tatsächlich wurde ich nun schon von einer Leserin angesprochen, die diesen Wechsel etwas verwirrend fand. (lacht)
Aylin: Ich finde es gut, dass Sina so genau weiß, was sie möchte. Sie erzeugt durch ihre Sprache ganz eigene Bilder und greift nie auf gängige Floskeln und Vergleiche zurück. Das macht den Text so stark. Natürlich habe ich geschaut, dass man beim Lesen nicht völlig die Orientierung verliert, aber kleine Irritationen sind durchaus bewusst.
Sina: Man muss dem Text auch vertrauen und ihm folgen. In manchen Passagen kommt man wortwörtlich ins Schwimmen. Es geht um Erinnerungen, Erfahrungen und Gefühle. Da weiß man vielleicht kurz nicht, wo man gerade ist, doch im besten Fall fängt einen die Sprache wieder auf und gibt Halt, sodass man am Ende wieder stehen kann.

© Marie Krutmann
Aylin: Ich glaube, bis auf ein paar erklärende Einschübe habe ich daher auch nur wenig konkrete Änderungsvorschläge gemacht. Es waren oft abstraktere Ideen oder Hinweise, aus denen Sina dann eine konkrete Szene gemacht hat. Ich erinnere mich darüber hinaus lediglich, dass wir etwas länger über die Namen der Figuren nachgedacht haben. Milla und Jan standen relativ früh fest, aber Kristina hieß am Anfang ganz anders.
Sina: Stimmt, auf Kristina sind wir erst ganz zum Schluss gekommen. Erst sollte sie Nora heißen, aber das war vom Klang her zu nah an Milla. Uns war wichtig, zu zeigen, dass die beiden Frauen sehr unterschiedlich sind.
Aylin: Sina hat schließlich Christina mit Ch vorgeschlagen, weil sie ein komplizierter Charakter ist und somit mehr als zwei Silben brauchte. Wir haben uns dann aber auf Kristina mit K geeinigt, weil sie etwas Kantiges an sich hat.
Sina: Dieser Namensfindungsprozess fasst unsere Zusammenarbeit gut zusammen. (Schauen sich zufrieden an)
Interessant ist auch die Berufswahl der Figur Milla, die wie Aylin als Lektorin in einem Verlag arbeitet. Seid ihr gemeinsam auf die Idee gekommen oder stand das von Anfang an fest?
Sina: Das stand tatsächlich schon fest, bevor ich Aylin kennenlernte. Sie fand das anfangs auch gar nicht so toll. In der Verlagswelt hat man es scheinbar nicht gern, Geschichten über das eigene Umfeld zu lesen. Warum muss man in Büchern auch noch über Bücher lesen? (lacht)
Für mich war die Wahl der Lektorin allerdings eine gute Balance, weil ich wollte, dass alle drei Protagonisten etwas Künstlerisches machen: Jan zeichnet, Kristina widmet sich der plastischen Kunst, und Milla arbeitet mit Texten. Damit wollte ich zeigen, wie man Kreativität leben kann, aber auch, wie es ist, kreativ sein zu wollen, sich aber nicht zu trauen. Ich glaube, das ist ein Phänomen, das für viele kreative Menschen in dieser Lebensphase, mit Mitte oder Ende 20, eine Rolle spielt. Milla hätte natürlich auch Galeristin sein können, aber ich wollte, dass sie jemand ist, der mit Sprache arbeitet. Obwohl sie eigentlich selbst schreiben will, arbeitet sie ständig an den Büchern anderer.
Aylin: Die Arbeit für andere raubt ihr die ganze Zeit und Energie, wodurch sie nie zu sich selbst kommt. Wir haben auch überlegt, ob sie vielleicht was mit Film machen könnte…
Sina: … aber die Sprache spielt eine entscheidende Rolle bei Milla, weil sich an ihr zeigt, dass sie ständig die Fehler anderer korrigiert.
Aylin: Das spiegelt sich auch auf anderen Ebenen im Verhältnis zu Kristinas Tochter Emma, um die Milla sich kümmert, als Kristina es nicht kann. Die Arbeit und die Pflege des Kindes füllen ihren gesamten Tag aus, wodurch sie sich selbst komplett aus den Augen verliert. Am Ende konnte ich mich jedenfalls gut mit der Entscheidung anfreunden, dass Milla Lektorin ist – zumal ich ja zu diesem Zeitpunkt auch selbst noch einen etwas anderen Job hatte.
Ab wann wurde aus eurem freundschaftlichen Verhältnis eine Zusammenarbeit zwischen Autorin und Lektorin?
Aylin: So richtig offiziell losgegangen ist das Ganze vor zwei Jahren, als Sina ihren Uni-Abschluss hatte. Ich war inzwischen Lektorin bei Ullstein, musste den Roman aber natürlich erst einmal verlagsintern meinen Kollegen vorstellen und mit ihnen gemeinsam über die Positionierung nachdenken. Das Ullstein-fünf-Imprint war zu diesem Zeitpunkt gerade im Entstehen und wir fanden, dass der Roman hier perfekt passen würde.
„Schwimmen“ hat dich also schon begleitet, bevor der Roman zu deinem eigenen Projekt im Verlag wurde. Unterscheidet er sich dadurch sehr zu den anderen Projekten, an denen du arbeitest?
Aylin: Die Arbeit mit deutschsprachigen Autoren ist fast immer sehr intensiv, aber es ist nicht der Regelfall so früh bei der Entstehung eines Projektes miteinzusteigen. Das war bei Sina etwas sehr Besonderes.

© Marie Krutmann
Wann stand für dich, Sina, fest, dass du Autorin bist? Zu Beginn der Arbeit am Roman oder erst als du den Verlag an deiner Seite hattest?
Sina: Ich habe einen ziemlich großen Respekt vor dem Begriff Autor oder Autorin. Mir war es lange Zeit sogar peinlich vor anderen zu sagen, dass ich einen Roman schreibe. Das klingt total bescheuert, aber ich lese selbst gerne und viel und habe dadurch eine große Anerkennung für Personen, die Romane schreiben. Mir nun selbst anzumaßen, dass ich das ebenfalls mache und vor allem, dass ich das genauso gut kann, fiel mir erst einmal schwer. So langsam werde ich aber lockerer mit mir selbst in diesem Prozess und freue mich, wenn ich Schwimmen zwischen anderen Romanen in der Buchhandlung sehe. Dass ich schreiben will, stand aber schon immer für mich fest.
Siehst du deine Tätigkeit als Journalistin mehr als eine Arbeit, um Geld zu verdienen und das literarische Schreiben als Kunst?
Sina: Ich glaube, ich stecke in beiden Bereichen in einem Prozess des Erwachsenwerdens. Der Journalismus ist für mich das normalere Berufsfeld, weshalb es mir hier erst einmal leichter fiel, mich als Journalistin zu bezeichnen. Bei der Arbeit am Roman schwingt noch mehr das Gefühl mit, dass meine Worte so wichtig sein sollten, dass sie es verdienen, in dieser Form festgehalten zu werden. Vielleicht hängt das aber auch mit meinem Umfeld zusammen. Ich kenne bislang nicht so viele andere Menschen, die Bücher schreiben.
Es fällt mir schwer, meine eigene Arbeit als Kunst zu bezeichnen. Im Idealfall kann man mit beidem, Journalismus und Romaneschreiben, Geld verdienen, dass das auch mit dem literarischen Schreiben klappt, ist tatsächlich eine Kunst.
Gelingt es dir denn, die Bereiche Literatur und Journalismus in deinem Berufsalltag so strikt zu trennen?
Sina: Ich trenne den Journalismus und mein literarisches Schreiben bewusst voneinander, auch wenn ich einen Trend zum literarischen Journalismus beobachte. Ich habe jedoch gemerkt, dass mein Roman eine eigene Sprache hat, die sonst nie aus mir herauskommt. Diese Sprache ist für mich eine Quelle, die ich nicht für andere Zwecke anzapfen möchte.
Das klingt vielleicht etwas seltsam, aber ich möchte sie nicht durch meinen Beruf verunreinigen lassen, auch wenn ich im Journalismus ebenfalls mit Sprache arbeite. Bevor ich mich an den Schreibtisch setze, mache ich mir daher genau bewusst, was und für wen ich schreibe. Die Freude an den Texten ist in beiden Fällen immer da, aber in der Literatur versuche ich, etwas anderes zu sagen, Emotionen einzufangen und mir ganze Welten und Personen zu erschließen.
Die Worte in einem Roman sollten (laut Sina) so wichtig sein, dass sie es verdienen, in dieser Form festgehalten zu werden. Was macht „Schwimmen“ zu einem wichtigen Roman?
Aylin: Neben der besonderen und gleichzeitig unprätentiösen Sprache des Romans, bewundere ich die Tatsache, dass es Sina mit „Schwimmen“ gelingt, ein Abbild ihrer Generation zu zeichnen, ohne dabei einen autobiographischen Roman zu schreiben. Gerade bei Debütanten kann man ja häufig die Parallelen zwischen Protagonist und Autor ausmachen, was auch nicht zwingend negativ und zudem absolut naheliegend ist.
Sina schafft es jedoch, die Geschichte anderer Mittzwanziger zu erzählen und denkt sich dabei zum Beispiel auch in die Figur einer jungen Mutter ein. Gleichzeitig ist „Schwimmen“ auch eine Coming-of-Age-Geschichte mit Spannungselementen.
Sina: Mir ging es beim Schreiben um zwei Grundgefühle: Zum einen ging es mir um das Loslassen – eine Person loszulassen und den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten. Es geht darum, nicht mehr nach der Schuld oder einem Grund für den Tod zu suchen, sondern zurück ins Leben zu springen. Mit dieser Erfahrung können sich wahrscheinlich viele Menschen identifizieren, die einen Verlust erlebt haben. Das geht nicht nur Leuten aus meiner Generation so. Zum anderen ging es mir aber auch darum, eine Lebensphase zu beschreiben, in der junge Menschen ins Leben springen und erwachsen werden. Dabei merken sie, dass die Dinge nicht immer so laufen, wie man denkt.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Marie Krutmann
Das Buch
Wer springt, hat zwei Möglichkeiten: schwimmen oder untergehen. Milla und Jan kennen sich seit Kindertagen. In einem heißen Sommer fahren sie gemeinsam mit Jans Freundin Kristina ans Meer. Drei Tage lang schweben sie zwischen Angst, Liebe und Sehnsucht. Bis sich alles bei einem heftigen Gewitter katastrophal entlädt. Jan überlebt nicht.
Vier Jahre später sind Milla und die kleine Emma an einem kalten Morgen durch die große Stadt unterwegs. Da findet Milla etwas, das sie an Jan erinnert und stellt sich endlich der Vergangenheit: Was genau ist damals passiert? Tragen Milla und Kristina Schuld an Jans Tod? Und warum sagt Emma eigentlich nicht Mama zu Milla?
Links
„Schwimmen“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
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