gangway #1

Gerald Ganglbauer
Ich bin eine Reise (Teil 2)

 


Ein Österreicher, der in Australien lebt. Davon gibt's einige. Einer, der erst dreiunddreißig ist, und schon mit seinem ersten Buch im australischen Fernsehen war, das ist seltener. Ist erst zwei Wochen her, daß ich mit dem Fernsehteam im State Theatre war, wo die den Beitrag für The Book Show abgedreht haben. Ging diese Woche auf Sendung. Werde mir später das Videotape anschauen. (Werden Sie mir Eitelkeit unterstellen?) Technik ist auch zu etwas nütze. So wie ein Laptop, der mir immer mehr abgeht. Mit dieser 'Remington' auf den Knien komme ich mir bereits vor, wie ein Relikt aus der Vergangenheit.

Fällt Ihnen auf, daß ich ganz kurze Sätze schreibe? Früher gingen die noch über ganze Seiten. Das ist nicht ein zu-Herzen-nehmen der Empfehlung für Kronen-Zeitung Journalisten, sondern kommt daher, daß ich bereits in einem deutsch-englischen Gemisch denke. Manche Redewendungen übersetze ich mir bereits zurück. Mit den Jahren werde ich wahrscheinlich Deutsch zunehmend verlernen und Englisch auch nie richtig können. Dafür gibt's lebende Beispiele. Ein Drama? Ich weiß nicht.

So wichtig ist ja nichts Geschriebenes. Ein Zitat von Peter Pessl, das gut zu diesem Absatz paßt. Ich könnte es ja so machen, wie Lucas Cejpek in Diebsgut, und einfach Zitate zusammenstehlen. Würden Sie es merken? Da ich aber eingangs schon die Behauptung aufgestellt habe, daß alles schon einmal geschrieben worden ist, wird auch dieser Text sicherlich eine Ansammlung von Diebsgut. Unwissentlich, allerdings. Und wenn schon, zitiere ich nicht Goethe, Shakespeare oder Miller, sondern meine Ex-Frau, Pessl oder Cejpek. Sollten Sie kennen.

Wenn ich jetzt am Macintosh sitzen würde, wüßte ich, ob ich schon über die 2000-Worte-Barriere bin (da ich jetzt beim Abtippen daran sitze, weiß ich es: 3479 gezählte Worte) und damit, ob es bald an der Zeit ist, entweder zu einem Ende zu kommen, oder erst richtig loszulegen, mit der Reise. Einer Reise in zwanzig Jahren, mit ungezählten Stationen. Wollen Sie wissen, wie viele Länder ich gesehen habe? Ich weiß es selbst nicht, mit dem fünfzigsten Häkchen habe ich zu zählen aufgehört (wie auch bei den Geliebten). Rein rechnerisch noch nicht einmal die Hälfte der Staaten dieser Erde (und ein ridiküler Prozentsatz der weiblichen Weltbevölkerung). Wozu auch zählen. Mit den Flügen habe ich auch bei fünfzig aufgehört. Fünfzig Gepäckanhänger mit allen möglichen Destinationen hängen in dem Platz in Graz, der zwar mein Eigen ist, den ich aber kaum mehr zu sehen bekomme. Graz existiert nur noch als eine Postleitzahl: A-8045.

Dennoch war ich verdammt lange in dieser Stadt, die mir nur durch die vielen Aus-Reisen erträglich blieb. Dennoch nicht zu lange. Gerade eben bis zum Grenzwert. Peter Glaser nennt sie die Stadt, in der die Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Er selbst lebt in Hamburg. Alle, denen lokale Berühmtheit auf die Dauer nicht genügt, verlassen die Stadt. In Berlin oder Wien unbekannt zu sein, ist immer noch besser. Ich konnte da gar nicht weit genug weg kommen, auf die andere Seite der Welt, Down Under, wo Freiheit noch wörtlich aufgefasst wird, wo man unkomplizierter miteinander umgeht. Ohne ein 'Sehr geehrter Herr Ministerialrat' und so Zeugs. Sie kennen das ja.

Nein, ich werde nichts schreiben über New York oder Brasilia, die Karibik oder Hawaii. Schauen Sie sich das selbst einmal an. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Ich habe schon öfters Bekannte enttäuscht, mit meinen 'Calcutta ist großartig'-Reden und mußte mir danach anhören 'Das ist aber eine schmutzige Stadt'

Apropos Bilder: Vor einem Jahrzehnt habe ich mich noch mit zwei Kamera-Gehäusen, einem halben Dutzend Objektiven und allerlei Foto-Zubehör abgeschleppt; vor einigen Jahren nur mehr mit einer Kompaktkamera, nun bin ich frei von all diesem Abbildungs-Ballast. Dafür sehe ich immer mehr Nikon's und Olympus' von den Schultern der Thais baumeln. Mindestens ein 300er Zoom-Tele-Rohr daran. Times are changing. And say 'cheese'!

Worüber sich vielleicht zu schreiben lohnen würde, sind die Veränderungen. Jene, die man selbst vollzieht; und jene, die zu beobachten sind. Bangkok anfang der 80er Jahre und Bangkok in den 90ern. Oder Bombay. Oder Singapore. Dort ist kein alter Stein auf dem anderen geblieben. Sogar das berühmte Raffles ist unter die Bauhämmer geraten, mitsamt der Somerset Maugham-Romantik. Die kleine chinesische Pension, in der ich früher abgestiegen bin, gibt's auch nicht mehr. In dieser Straße kratzt nun Glas und Metall an den Wolken. Waren Sie vor 10 Jahren in Singapore oder Hong Kong? Nein? Sie würden es kaum wiedererkennen.

Ich lese Steinbeck's The Grapes of Wrath (wie haben die das übersetzt, 'Die Früchte des Zorns'?) und denke dabei an jene Menschen, die Tausende Meilen nach Kalifornien reisen mußten, weil man sie mit der industriellen Revolution um ihre bäuerliche Heimat gebracht hat. Heimat waren ihnen staubige Baumwollfelder und karges Brot unter einfachsten Lebensbedingungen, bis den Banken all das Land gehörte und sie fort mußten, in den Westen. Australische Aborigines konnten das nicht verstehen, wie die Weißen nur Land besitzen wollten, wo es doch allen Menschen ohnedies gehörte. Heimat war gerade dort, wo Wasser im Billabong war und etwas Getier zur Jagd. Nomaden der Steinzeit. Auch heute, in diesem Jahrhundert, gibt es wieder Nomaden: ich bin einer davon. Heimatlose, Entwurzelte. Ich brauche kein Land zu besitzen, weil mir ohnedies die Welt gehört und niemand kann es in den Tod mitnehmen. Sehr vereinfacht, das Ganze, aber es kommt schon hin. Ein Nomade des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, der nur die Rücken der Pferde mit den großen silbernen Vögeln vertauscht hat, die mit Lärm und Gestank die Lüfte zerschneiden.

Im Grunde liebe ich das einfache Leben. Letztes Jahr habe ich Monate im australischen Outback verbracht. Den Himmel als Zelt in den Nächten am Dach des Land-Cruisers. Dennoch: einige Dinge des technischen Zeitalters brauche ich einfach. Macintosh Computer, Anrufbeantworter, Kopiergeräte, Faxmaschinen. Was noch? Einen Kühlschrank (es geht nichts über ein kühles Bier im Schatten eines Gumtrees). Das habe ich davon. Jetzt denke ich an ein eiskaltes Bier und schwitze über der Schreibmaschine und es ist weit und breit keines zu haben. Da hab ich mir schön was eingebrockt.

Ich geh schwimmen. Das kühlt auch. Mein Körper bekommt langsam wieder eine goldbraune Tönung. Zwar komme ich geradewegs aus dem Sommer der südlichen Hemisphäre, bin aber dabei ziemlich blaß geblieben. Ein einziges Mal am Strand in Sydney, zu Ostern Bushwalking in den Blue Mountains und zwei, drei Mal segeln. Und etwas Gartenarbeit. Die meiste Zeit dennoch in den kühlen vier Wänden des Hauses an der Northshore. Arbeiten. Zwei weitere australische Bücher sind in Vorbereitung: experimentelle Texte (die ich auch mitübersetze) und ein Band Gedichte. Wird kaum einer kaufen, das kenne ich schon; und Geld ist auch kaum da. Dennoch. Auch in Wien wartet Buchproduktion auf mich. All die Literatur auf schöne Seiten zu drucken und zu binden, ist verdammt teuer. Und ich habe kein Geld mehr.

Lange Zeit habe ich mich vom Wasser treiben lassen, bin ohne mich zu bewegen am Türkisblau gelegen, Augen geschlossen. Dabei habe ich vergessen können, daß Geld diese Welt bewegt. Alles nicht so wichtig, solange die Natur in Ordnung ist. Im Busch habe ich einen Aborigine gefragt, warum das Wetter so komische Sachen macht. Darauf hat er nur gemeint: Ihr Whitefellers müßt das eigentlich wissen. Ihr macht ja das Klima kaputt. Darauf blieb nur betroffenes Schweigen. Wir machen ja wirklich die Natur kaputt. Jeder auf der Welt trägt sein Schärflein dazu bei. Jeder. Auch in diesem Paradies. Sie müßten nur einmal hinter die Hütten sehen. Der Dschungel deckt nicht alles gleich zu.

Hier hat ein langsamer, sanfter Regen eingesetzt. Ich bin zurück an Land geschwommen und habe mich nackt auf eine Matte gelegt. Die Tropfen haben mir das Salz vom Körper geleckt; jeden einzelnen habe ich auf der Haut gespürt. Die heiße Erde hat zu dampfen begonnen. Das Blau des Himmels ist einem dunklen Grau gewichen, der Horizont setzt sich schärfer ab. Das Meer ist dunkler und unscharfer geworden. Die Tropfen tanzen und springen von der unruhigen Oberfläche zurück. Ich beobachte, daß die meisten Badenden in ihre Hütten flüchten; auch ich gehe nun unter mein Dach auf der Veranda - und während ich auf der Schreibmaschine klappere, nimmt der Regen ebenso langsam wieder ab, wie er gekommen ist.

Meine Ex-Frau ist Schriftstellerin. Eine richtige. Das wissen Sie wahrscheinlich ohnedies. Ihr drittes Buch wird dieses Jahr erscheinen. Einmal waren auch wir gemeinsam hier auf dieser Insel, vor vielen Jahren. Die Hütte, die wir damals gemietet hatten, steht immer noch. Später habe ich sie einmal mit einer Australierin geteilt. Mit ihr hatte ich keine Affäre. Auch nicht, als ich sie später einmal in Melbourne wieder getroffen habe. Nettes Mädchen, aber warum erwähne ich das? Meine Ex-Frau hat über diese Insel nichts geschrieben, soweit ich weiß. So ist das.

Den Abend habe ich in französisch-amerikanischer Gesellschaft verbracht. Tintenfisch gegessen und Cola getrunken. Währenddessen wurden Reiseerfahrungen ausgetauscht. Die Unterschiede beim Überqueren einer Straße in Tokio, New York und Wien, zum Beispiel. Sehr aufschlußreich, das Ganze. Und unterhaltsam. Zwar sind dabei keine weltbewegenden Erkenntnisse herausgekommen, aber ein netter Abend. Später wollten wir noch Karten spielen, waren aber zu faul, um sie aus der Hütte zu holen. Morgen esse ich im Restaurant in der benachbarten Bucht. Dort ist das Menu umfangreicher. Und außerdem gibt's neue Gesichter. Noch was: Heute ist Vollmond. (Vor Jahren habe ich an dieser Stelle eine völlige Mondfinsternis miterleben dürfen, wahrlich ein Ereignis). Aber auch das beflügelt mich diesmal nicht sonderlich. Eine Lethargie hat sich breitgemacht. Ich genieße es, völlig auszuschalten und ruhig zu werden, zufrieden mit mir selbst.

Wir schreiben das Jahr 2534. Nein, keine Angst, ich versuche mich nicht plötzlich in Science Fiction. Ich füge diese Tatsache nur ein, weil ich mich über die katholisch-weiße Großkotzigkeit ärgere, die Jahresrechnung mit der fiktiven Geburt Christi zu beginnen. Ich will auch nicht sagen, daß der buddhistische Kalender mehr Berechtigung hat, es ist nur, daß er von großen Teilen der Welt gar nicht wahrgenommen wird. Wenn mich ein Beamter in Mitteleuropa nach meinem Geburtsjahr fragt, und meine Antwort lautet: 2501, läßt er mich glatt in die Klapsmühle einweisen. Wenn es nicht so verdammt viel Arbeit wäre, Millionen Geschichtsbücher, Lexika und Milliarden Dokumente umzuschreiben, würde ich darauf bestehen, wir alle sollten wieder mit Null beginnen. Nach der kommenden Apokalypse wäre Gelegenheit dazu. Mit einem Jahr, in dem endlich alle Menschen erkannt haben, daß wir nur auf einem Planeten, dem Raumschiff Erde, gemeinsam leben dessen Raum und Ressourcen wir gemeinsam verwalten, erhalten und redlich teilen müssen.

Es gibt viele Arten des Reisens. Hat man einmal damit begonnen, begegnet man jeder einzelnen und legt sich aus dieser Summe an Eindrücken seine eigene Methode zurecht. Der Beginnen hat immer zwei, drei kluge Handbücher in der Tasche. South-East-Asia on a Shoe-String, oder ähnliches. Komischerweise von einem Verlag, der sich Lonely Planet nennt. So einsam ist unser Planet aber nirgends mehr. Speziell entlang dieser tief eingegrabenen Traveller Routen ist man unter sich. In allen Rucksäcken dieselben Handbücher, dieselben Empfehlungen. Eine kleine Welt umgibt einen: ein Kanadier, eine Deutsche, das Paar aus England; sie alle haben das Buch gelesen: How to get there and where to stay. Nach einigen Jahren wirft man diese Bücher über Bord und verliert sich wieder im Unerforschten. Auf eigene Faust.

Dann entdeckt man die Welt, wie sie ist - und präsentiert auch einmal seine Master Card, um einen Tag Luxus zu genießen: ein heißes Bad, den Kühlschrank im klimatisierten Zimmer, einen Pool vorm Haus oder am Dach. Nach Monaten billiger Absteigen mit Cockroaches und stinkenden Toiletten eine feine Sache. Dort trifft man dann eine andere Spezies Reisender. Jene, die den abenteuerlichen Teil der Welt gar nicht kennen (die Angst vor Unvorhersehbarem haben), die vom Airport abgeholt und in die Sicherheit solcher Hotels verfrachtet werden. Anfangs bedauert man die Neckermann-Reisephilosophie: die sehen doch nichts als die Scheinwelt der Touristen-Ressorts. Die wissen gar nicht, daß ein paar Kilometer hinter den weiß gestrichenen Mauern Elend ist und Hunger und Krankheit. Die sind alle gegen alles geimpft - und was übrig bleibt, daheim, sind die Gespräche über das Essen und das Bier und die Bilder vom Papa mit rosa Bäuchlein. Man kann es sich eben leisten, statt an die Adria nun in die Karibik zu jetten. An der Mentalität ändert sich dadurch nichts. Man besucht einschlägige Massagesalons und erzählt am Stammtisch, natürlich wenn die Gattin nicht dabei ist, wie man es diesen exotischen Mädchen besorgt hat.

Ein andere extreme Spezies sind die Mini-Budget-Traveller. Die Überleber. Die schaffen es, sich mit 50 Dollar im Monat durch Indien zu schnorren - und sind auch noch stolz darauf, daß sie es so weit geschafft haben. Daß sie dabei meist ärmere Mitmenschen ausbeuten, die nicht die Sicherheit von Konten in DM oder Schweizer Franken in der Heimat haben, stört sie kaum. Es ist ein Sport, billiges noch billiger zu bekommen, Einladungen schamlos zu verlängern und notfalls sogar Mitreisende anzubetteln. Und im Kaffeehaus beschämen sie die sechs-Wochen-Reisenden mit einem nonchalanten: 'Ich bin ja schon sechs Monate unterwegs'.

Die schönste Art zu reisen ist aber ein steter Wechsel. Arbeit und Faulenzen. Pleite sein und Luxus. Kurze, rasch wechselnde Aufenthalte gegen lange Perioden auszutauschen. Menschen kennenzulernen. Immer irgendwo auch eine Zeitlang zu leben: Miete zahlen, in den Supermarkt einkaufen gehen, einen kleinen Haushalt führen. Nicht nur in Restaurants essen zu gehen, sondern selbst zu kochen, wie jene Leute, die dort leben. So lernt man sie kennen so lernt man sich kennen. Ich habe es nicht immer so gehalten, oft war ich ruhelos unterwegs. Ich habe es aber gelernt, erfahren, selbst erfahren. Und es war OK. Mit dreiundzwanzig war ich am richtigen Weg. Und ich habe weiter an mir gearbeitet, mich geöffnet. Das Fremde nicht zu einer bloßen Attraktion werden lassen, sondern die Mosaiksteine zu einem Ganzen zusammengebaut: zu unserem blauen Planeten.

Sehen Sie, jetzt werde ich schon wieder schwärmerisch (oder kitschig?). Dabei ist das ja alles ein Schmarrn, blauer Planet und so. Nach dem Exxon-Oilspill. Und den jüngsten Katastrophen im Mittelmeer. Wir versauen diesen blauen Planeten zusehends. Und wenn es auch nur das Silberpapier einer Zigarettenpackung ist, das man achtlos fallen läßt. Gehen Sie ins Hinterland dieser Insel, wenn Sie gelegentlich hierherkommen. Eine einzige Müllkippe. Man wartet, daß der Dschungel darüberwächst und die Schweinerei abdeckt. Bloß: Abdecken ist nicht aus der Welt schaffen. Aber im Abdecken sind sie gut, die Menschen. Make-Up auflegen. Was man nicht sieht, ist nicht da. Zu begreifen, daß es über die Luft und das Wasser und die Nahrung wieder in unsere Körper zurückkommt, erfordert abstraktes Vorstellungsvermögen. Und damit ist's offenbar schlecht bestellt.

Eine Woche bin ich nun hier auf der Insel und gerade solange habe ich gebraucht, um richtig auszuspannen, mich zu ent-spannen. Jetzt werde ich nicht mehr viel aufschreiben. Werde die kommende Woche einfach nur am Strand und im Meer und in der Hütte sein, Bücher zu Ende lesen und dabei vielleicht an die Bücher denken, die ich noch vor mir habe. Heute habe ich Hunderte Seiten Steinbeck gelesen, so etwas kann ich im normalen Leben gar nicht. Hat auch eine Woche gedauert, bis ich mich so richtig eingelesen hatte. Und wie entspannt ich bin! Die Sonne geht gerade unter, als ich diesen Absatz tippe und ich fühle guten Appetit in mir wachsen auf ein Dinner am Strand. Jetzt wird's Zeit, den Urlaub zu beginnen.

Urlaub: ein komisches Wort. Ich erinnere eine Geschichte der Pichelsteiner, Comics einer Sippe aus der Steinzeit, die ich als Kind gerne gelesen habe. Die sind einmal ausgezogen, das Ur-Laub zu suchen, das ihnen vom weisen Guru gegen den Alltags-Streß verschrieben wurde. Dabei haben sie so viel Spaß gehabt, waren so relaxed, daß sie diese Art des Verreisens Urlaub nannten. Ur-Laub zu finden, ist heutzutage nicht mehr so einfach. Zu viele Menschen strömen überallhin aus, um es zu suchen. Gelingen tut's den wenigsten. Aber man ist halt bestrebt, die Suche nicht so schnell aufzugeben. Irgendwo muß es doch noch Ur-Laub geben!

Ur-Laub. Das wär's. Seit Tausenden Jahren suchen wir danach, wie nach dem Stein der Weisen, oder nach der Rezeptur der Alchimisten, wie Gold herzustellen sei. Oder nach dem unendlichen Leben oder was halt sonst gerade erstrebenswert scheint, in Mode ist. Sonnenbräune oder noble Blässe, Shirts aus Seide oder Hawaii-Hemden, Elfenbein aus Afrika oder Hängematten aus Mexiko. Immer aber versuchen wir, etwas Ur-Laub aus dem Urlaub mitzubringen. Um ihn daheim zu verlängern, festzuhalten, daran erinnert zu werden. Die gebräunte Haut wird schnell blasser, auch Hawaii-Hemden halten nicht ewig und sogar die Hängematte aus Mexiko reißt nach Jahren irgendwo ein und kann nicht mehr geflickt werden. Dann ist es wieder an der Zeit, neues Ur-Laub heimzuschleppen und immer wieder, und immer wieder.

So schließt sich der Kreis. Ur-Laub wird heimgebracht und verwelkt und neues wird geholt. Manchmal nur alle zwei Jahre ein paar Wochen Suche. Für manch andere wie für mich eine Lebensaufgabe. Beruf: Selbständiger Ur-Laub-Sucher. Niemand muß mir den Auftrag erteilen, in die Welt zu gehen, um Ur-Laub zu suchen. Es zieht mich ganz von selbst. Itchy feet. Und dann hat man diese Krankheit Reisefieber. Und man wird sie nie mehr los. Und man paßt sich ihr an; man stellt sein Leben und seinen Beruf und seine Beziehungen auf diese Krankheit ein. Eine Reise zu sein, wird ein Leben.

Nun geht mein Papiervorrat zu Ende. Ich habe auch keine Lust mehr, den Urlaub zu vertippen. Buch ist es keines geworden, aber geschwätzt habe ich genug. Jetzt werde ich mich einfach den Vorzügen dieses Stückchens Erde hingeben. Auf diesem Stop-Over. Ich verlasse Sie jetzt. Was werden Sie tun? Einmal will ich Sie noch beschwören: Reisen Sie! Reisen Sie jetzt! Suchen auch Sie Ur-Laub!

Und ich reinige die 'Remington' sorgfältig, blase den Sand heraus, straffe das grau werdende Farbband und lasse ein letztes Mal den Deckel einschnappen. Ich packe sie in meinen Rucksack, und sie wird ihre Reise in Wien zu Ende geführt haben und bei ihrem Besitzer bleiben. Ich habe keinen Besitzer und meine Reise ist auch bestimmt noch lange nicht zu Ende.


E-mail: gerald@gangan.com