Andreas Reiter |
gangway #32 Best of Gangan |
2 Texte |
© 2004 by Gangan Verlag |
Allegretto Die Liebe pflegt den aufrechten Gang, gerade in einer Stadt wie Prag. Sie ist durchsichtig und zerbrechlich. Sie sieht mich morgens lange an und sagt, während ich mir die Zähne putze, ich will, daß Prag für dich Wirklichkeit wird. Die Prager Badezimmer sind gutbürgerlich, zu zwei Dritteln verfliest, und verstehen zu schweigen. Das Wasser wird von einem gasbetriebenen Boiler erwärmt. Das Rauschen der Klospülung verheißt auch hier das Ende der Liebe. In den Abwässern der Stadt treffen alle Lieben aufeinander. Während sie mir ihren Arm um die Schulter legt, wird mir bewußt, daß ich Ausländer bin. Die Grenze ist dünn und klapprig, aber dahinter liegt zweimal Ohnmacht. Ein Kuß wäre in diesem Augenblick ein unzumutbarer Grenzgänger. Meine Unsicherheit löst sich erst auf, als ich mich beim Rasieren schneide. Auf dem Weg in die Stadt reden wir wenig, und wenn, dann in der fremden Sprache. Vor dem Eingangsportal zum Café Slavia ist uns beiden klar, daß wir uns beim Kaffeetrinken gegenübersitzen werden. Wir stellen die Tassen mit einer für diesen Ort zu nachlässigen Handbewegung auf den Tisch. Die Anwesenheit anderer bringt uns bisweilen zum angemessenen Lachen. Das sind immer die gefährlichsten Augenblicke, denn sie lenken von uns ab. Vor dem Verlassen des Lokals legen wir dem Ober wohlwollend einige Kronen in die ausgestreckte Hand. Während meine Zunge in ihrem Mund Wurzeln schlägt, hält der Parteivorsitzende seine Schlußrede auf dem siebzehnten Parteitag. Besonderes Augenmerk werde wiederum auf die Agrarreform gelegt, die allen Bürgern der CSSR eine noch ausgewogenere, gesündere und besser auf die Arbeitskraft abgestimmte Ernährung garantieren soll. Die Haut der Prager ist genauso hell und dünn wie die der übrigen Mitteleuropäer. Der Taxifahrer, der uns vom Café nach Hause fährt, glänzt mit dieser Antwort im Rückspiegel. Zuhause wartet die Freundin ihres Bruders und erzählt von ihrer Heimat. In ihrem Dorf, und das ist kein böhmisches, müssen die Frauen das Wasser aus dem Brunnen schöpfen. Das härtet ab, sagt ihr Bruder, der auch noch vorbeigekommen ist, um nicht allein zu sein. Im Sozialismus haben es die Menschen eilig, einander zu begegnen. Als wir wieder allein sind, legen wir uns prüfend nebeneinander. Das Zimmer gleicht einer Toilettentasche: zu viele Utensilien, die man doch nicht missen möchte. In Prag ist die Liebe nicht leichter handzuhaben als die Distanz. Die Haut der Prager ist hell, die Höflichkeit geht ihnen stets voraus. Hier kommt die Liebe immer von unten, auch wenn sie über einem liegt. Manchmal gelingt es zwei Liebenden doch noch, einen Frühling aus sich zu machen. Prag verdankt seine Existenz der guten Laune eines Kartographen. Prag liegt mitten in meinem Kopf. Jeder Mensch legt Wert auf seine Erdkugel. Prag trägt mich ebensogut wie ich es trage. Im Spiegel sehe ich, wie sie ihren Kopf an meine Schulter legt. Ihre Tränen sind nicht die Hollywoods. Es fällt mir schwer, dies wahrzuhaben. Die Wirklichkeit löst keine Kinokarte ein. Im Traum bin ich wieder allein und im Westen. Der Westen allein macht auch noch nicht unglücklich, sagt der Taxifahrer und streckt die Hand nach dem Trinkgeld aus. Im Traum bin ich stets einer, der nie aufhört zu schlafen. Das gerade macht ihn so lebensnah und so verdächtig. Viele Prager leben in der Neuen Welt. Dieser Umstand allein begünstigt noch keine Symphonie. Sie denken wehmütig an zu Hause, wo noch jeder jeden des Glücks verdächtigen kann. Die Kleinstädter Gassen sind der Umschlagplatz für Botschaften aller Art. Die meisten Kommuniqués unterscheiden sich nur durch Unterschrift und Stempel. Die Phantasie ist von Amts wegen ein geschwollener Lymphknoten. Ich rate jedem, der von Natur aus abergläubisch ist, nach Prag zu fahren. Vielleicht, weil es Prag gar nicht gibt und nur in meinem Kopf liegt. So fällt die Orientierung leichter, und die Umgebung wird durchschaubarer. Der Schatten an den Häuserwänden regelt das übrige. In Prag hat somit jeder Fußgänger die reelle Chance, unbehelligt über den nächsten Fünf-Jahresplan zu kommen. Der Schweiß in ihren Achselhöhlen hat nichts mit dem Arbeiter- und Bauernstatus zu tun. Gerade hier transpiriert man noch vor Erregung. Die Zimmerwände sind historisch gewachsen und mit Schweigen verputzt. Selbst langjährige Nachbarn erkennen einander nicht am Hüsteln. Ich eigne mich schlecht für Katastrophen, das habe ich mit Prag gemein. Wir kommen uns so weit entgegen, daß einer von uns beiden gar nicht anwesend zu sein braucht. Eine geheime Absprache, die beiden gleichermaßen zugute kommt. Im übrigen denkt sich ein luzider Mensch wie ich nicht ohne Stolz an das Objekt heran. Das ehrt auch das Objekt. In Prag wird die Liebe durch den Zwangsumtausch geregelt, dreißig DM pro Tag. Endlich eine Stadt, die sich Gefühle noch was kosten läßt, sage ich. Meine Verstopfungen weisen mich auch hier als einen aus, dem das Loslassen schwerfällt. Im Osten wie im Westen ist der Körper der Feind. Ich kenne wenige Tische in Prag, die nicht umgeworfen, wenige Seiten, die nicht umgeschrieben werden. Die Anpassung an das Schicksal ist eine Frage der Kinderstube. Die Angst dient als Korrektiv, mit dem überflüssige und abwegige Papierstreifen in den Kanal gekehrt werden. In Prag ist der Straßenkehrer, meist eine Frau, Dirigent des Systems. Ich verstehe allmählich, daß Prag für viele eine Symphonie ist. In Prag gehen die meisten Menschen barfuß, auch sonntags. Das erfordert Standfestigkeit und verleiht den Sohlen den richtigen Schliff. Meine Geliebte ist eine Ausnahme (sie ist erst vor kurzem aus der Slowakei zugezogen): selbst beim Lieben behält sie die Schuhe an. Ihr Paß führt als besonderes Kennzeichen Bodenständigkeit an. Das müßte es im Westen geben, denke ich. Erst wenn du wieder außer Landes bist, werde ich zu mir kommen, sagt sie und blickt mir unbestimmt über die Schulter. Diese ist wie der Grenzstreifen und verbirgt die Gefahr, die von mir ausgehen kann. Ich bin froh, daß ich breit gewachsen bin. Auch ein gutes Herz muß abgefedert sein. In Prag promenieren die Menschen noch um ihr Glück. Ich bin oft versucht, mich ihnen anzuschließen. Aber ihre Gangart macht es mir nicht leicht. Von Prag aus führt eine kaum befahrene Straße in den Westen, der im Falle Münchens fünf Autostunden entfernt liegt. Das fordert eine Grenze nahezu heraus. Heute morgen bringt sie das Frühstück ans Bett. Das ist kein gutes Zeichen. Ich mißtraue von Anfang an der Farbe des Tages. Alle Abschiede sind transparent. Das haben sie mit der Liebe gemein. Die Angst zieht eine Linie durch mich, sodaß ich selbst das zu zwei Dritteln verflieste Badezimmer für eine gelungene Fälschung halte. Morgen kommt mein Sohn aus den Ferien zurück, sagt sie und wartet auf meine Reaktion. Im Flur wird die Konspiration noch einmal zur Transpiration. Ihre Achselhöhlen werden mir fehlen. Geborgenheit ist letztlich auch eine Frage der Zumutbarkeit. In Prag haben die Treppenhäuser etwas von einem Opferstock an sich: man verdient sich seinen Abgang. Als ich die Briefkästen nach Namensschildern absuche, finde ich keine. Das ist wohltuend. Prag ist ein Saatgut Babylons. Babylon ist nicht mehr auf meiner Erdkugel. Ich bin froh, daß ihre Achselhöhlen nicht parfumiert sind. Das könnte mir den Abschied verderben. Der Geruch weist den Menschen aus, und ein Paß ist längst noch kein Parfum: Ein vorsichtiger Staatsbürger hat beides. In den wenigsten Fällen läuft die Liebe in den Fingerspitzen zusammen. Der Prager Regen wird mir fehlen. Nirgends schaukeln die Kaffeetassen im Gewitterregen so wild wie auf einer Prager Kaffeehausterrasse. Angst darf man hier ohnehin keine haben. Sie machte sich breit und ließe einem die Tasse aus der Hand fallen. Darin gleicht Prag wiederum anderen Städten. Das wäre etwas, worüber ich ihr schreiben könnte, wenn ich wieder zu Hause bin. Briefe sollte man übrigens immer mit der Hand schreiben. Nur so kann der Empfänger das Zittern des Verfassers erkennen und dem eigenen vorbeugen. Als Abschiedsgeschenk hinterlege ich meinen Geruch. Alles andere ist nicht zu begleichen, sage ich ihr. Während sie mir meine Reisetasche ins Auto reicht, fällt mir unweigerlich das Allegro con fuoco in Dvoráks Neunter ein. Vergeblich versuche ich, darin einen Platz für sie zu finden. Entweder ich interpretiere das Stück falsch oder ich liebe sie. Prag ist eine Träne, die nicht hierbleiben und auch nicht mitgenommen werden darf. Prag ist eine Liebe, die den aufrechten Gang pflegt. Sie ist verschwiegen und schon nicht mehr heimlich. Prag ist eine Liebe, die meiner Traurigkeit mit einem Wenn du wiederkommst, werde ich den Spiegel im Badezimmer abgehängt haben! zuvorkommt. Die Neue Welt ist eine Lüge, sagt sie zum Abschied und hebt stolz ihren Kopf. Sie ist doch eine Pragerin, denke ich mir, als ich sie im Rückspiegel barfuß am Randstein sehe.
Ohio ist ein Irrtum Manche
behaupten, Josua wasche seine Hände in Blut. Sie sehen den Teufel
in ihm, der ihre Dächer einbrechen, ihre Wagen in den Graben schleudern
und ihre Töchter davonlaufen macht. Nicht so einer wie Josua, halte
ich ihnen entgegen, nicht mit so einem Namen. Josua:
ich vermute ihn nachts, wenn der Nebel die Stadt durchkämmt und
die Ängste ihr Spiel beginnen. Es heißt, dort, wo die Menschen
ängstlich und aufatmend zugleich in den Hauseingang springen, ist
Josua zu finden.
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