Reviews: Friedrich Hahn

Deutsch Friedrich Hahn: wie gesagt, neue zyklen. Passagen Verlag, Wien 2005.

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Bemerkungen zu Friedrich Hahns Buch: wie gesagt, neue zyklen, Passagen Verlag 2005.

Fast schon Huschhusch?

Nichts ist hier oberflächlich, nichts ist „huschhusch“ hingeschrieben. Die interessante Stelle lautet nämlich: „anstelle der wasserstelle / geschlossene türen die / allen gehören / allen gehören das / ist fast schon / ist freiheit (...) das ist fast schon / huschhusch“. Es ist die dichterische Analyse eines Gemüts- und Geisteszustands, der benannt werden will, denn „leben tut weh“. Wir lesen: „die horde zeit stiebt davon“, und „alle wege verlaufen sich / wohin auch immer du reist“. – „hungrig auf alles“, das bedeutet wohl, dass nichts wirklich sättigt. Man bestellt sich also „einen großen teller wirklichkeit, mit reis. oder salat. mit salat“. Mitunter scheinen die Tatsachen keine Tatsachen mehr zu sein.

In gewisser Weise ist das Buch auch eine Suche nach der verlorenen Zeit. In dem Gedicht mit dem nüchternen Titel „vorgänge“ (eine längere Wort-Performance, die in Wien aufgeführt wurde) entwirft der Autor zwar eine (befreien oder endgültig reinen Tisch machen sollende?) Utopie vom Ende der Zeit, „ eine zeit der man / die zeit genommen hat / eine menschheitsgeschichte / der die menschen abhanden / gekommen sind“, das hält ihn nicht davon ab, Raum, Zeit und Figuren subtil sich entfalten zu lassen. Ob es der tragikomische Onkel Theo ist, oder ob wir von Leo im Künstlerheim erfahren oder von Alois, der sich für einen Vogel hält, oder ob es Ralph ist, der nichts „anbrennen“ lässt, weil oder obwohl seine Frauenbeziehungen nie länger als ein Jahr dauern. Ob von der „zwischenliese“ die Rede ist, die sich nicht gerne zwischen Umständen einzwicken lassen möchte, oder ob wir von typischen Koch – Kellnerinnen – Verhältnissen erfahren, die dem Autor geläufig sind, oder von der zerrissenen Familie, die neu kombiniert und garniert in einem Cafe zusammentrifft. Ob es um die Wirtin im Schanigarten geht, die sich laut fragt, warum sie sich noch ein drittes Kind angetan hat (Subtext: wer ist hier der Schani für wen?), oder um den Schriftsteller, der sich dem gesellschaftlichen Druck gerne entziehen würde, indem er sich unkenntlich macht, oder ob es um Jugenderinnerungen, bizarre und kritische Momente in der Beziehung von Mann und Frau geht – es wird offensichtlich, dass sich alles in Momente auflöst, fast wie in einem Theaterstück, bei dem die Schauspieler zwar nicht ihren Text vergessen, aber den roten Faden verloren haben. Die Auftretenden sind keineswegs „figuren denen man / die zeit genommen hat“, nein, sie leiden an der Zeit, die sie ratlos zurücklässt, es sind „allesamt exilanten. exilanten in den gefilden der niemandsbucht“.

Hahn schreibt keine Geschichten; es sind „textflicken“, wie er sie nennt, von denen man vermuten kann, dass sie wie Pflaster auf Wunden sind. Die Texte verfließen tatsächlich, wie der Klappentext nahe legt, in der „idylle der druckerschwärze“, denn hier sind die Dinge in ein Gleichgewicht gehoben, hinter den Worten rumort es aber gewaltig. Der Autor beherrscht virtuos die Kunst der Auslassungen. Das, was ephemer ist und deshalb im Leben nicht zählt, gewinnt im Text Bedeutung. „alles sagt etwas aus“ – „und das sammeln beginnt“. Einmal heißt es: Die anderen „finden knappe sätze, um mich zusammenzufassen.“ Gut gesagt: so kann man das Stilmittel der Knappheit auch verstehen.

„ich?wir??wer???“ heißt die Überschrift für den 3. Zyklus; sie benennt das Problem: Denn Arthur Rimbaud, der dekretierte, „Ich ist ein anderer“, konnte dazu nur kommen, weil er ein radikales Programm der Dekonditionierung und Entprogrammierung bei sich selbst vornahm. Friedrich Hahns Texte zeigen eine Welt, in der alles durchprogrammiert ist, der Mensch ist eine funktionale Größe, er lebt nicht, sondern wird gelebt. „der akteur tritt vor (...) jeder seiner schritte / vorhersehbar“. Gesteigerte Subjektivität, allenfalls totale Vermischung von innen und außen, das mag als Gegengift gut wirken. Und die wie nebenbei hingeworfenen Fragen sind absolut nicht deplaziert: „was ist das denn / aus kleinsten vorkommnissen ahnung ziehen“?. Oder: „wo, also, strickt nun das heilige“?

Reviewed by Gerwalt Brandl, 13 June 2006

Deutsch Friedrich Hahn: egal. Verlag Der Apfel, Wien 2007.

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Zu Friedrich Hahns Roman „Egal“, Verlag Der Apfel, Wien 2007.

Die Liebe ist kein Roman

Friedrich Hahn hat einige Bücher über die Liebe geschrieben. Dies ist sein erster Roman. Die Liebe ist inkommensurabel, deshalb können Tina, aus einer achtjährigen Haft entlassen, und Harald, ihr vormaliger Bewährungshelfer, nichts über die Liebe sagen. Das, was Harald Kreill als „erfahrung jenseits der erfahrung“ bezeichnet, das getrauen sich die Liebenden nicht beim Namen zu nennen. Die Krise entsteht, weil im Gegensatz zur Unermesslichkeit des Gefühls plötzlich der Anspruch da ist, dass sich etwas Überschaubares, Einsehbares, Lenkbares entwickeln möge.

Die Hauptmelodie des Romans ist reich instrumentiert durch den Gang des Inneren, der Gedanken, Träume, Überlegungen und durch den Kommentar des Autors. Kein happy end! Bettina Szalto verschwindet nach Monaten spurlos und kommentarlos von der Bildfläche. Das ist vom Autor gut vorbereitet. Als sie einmal über den fragmentarischen nachgelassenen Roman ihres Vaters sinniert, den sie veröffentlichen möchte, meint sie: „vielleicht sollte die geschichte besser ohne schluss bleiben. pengg. einfach aus. abgerissen. schluss. ende. hat noch keiner geschichte geschadet ...“. – „wer schadet wem?“ kommt es Harald in den Sinn.

Die vielen Witze und Kalauer im Buch gehören zum Thema. Zwei Beispiele: „ich finde in situationen wie dieser kann man nur rauchen oder nicht rauchen.“ Harald hat Geburtstag: „man wird nur einmal das erste Mal 38.“ Klingt merkwürdig überdreht. Man kann es als speziell wienerische Art von existenzieller Verzweiflung lesen oder wird an Frédérik Beigbeder erinnert, der vom postmodernen Leben sagt: „Humor ist Pflicht; die Welt ist ein einziger Scherz.“ Des befreundeten Dusies Name ist eine Kompilation aus „du“ und „Sie. Dusie will vom ernüchterten Harald das Geheimnis einer langen Beziehung wissen, dann gibt er die Antwort selbst: „das geheimnis ist, dass man sich nicht trennt“. Hahaha!

„ich küsste sie, als sei ich in not. ich fühlte, dass sich da etwas breitmachte, was noch am reifen war. als lebten wir eine zeit, tina und ich, die erst eine fortsetzung suchte, die sich uns bisher immer nur in ersten ansätzen dargestellt hatte.“ Das ist nun das Liebesprojekt. Tina reagiert mit Panik. „hilfe, ich bekomm keine luft mehr ...“. Aber genau so wenig, wie Harald und Tina wissen, wie sie es richtig anstellen sollen, genau so wenig erschließt sich dem Leser, was richtig und was falsch sein könnte. Konzepte haben oder keine Konzepte haben, was die Liebe anlangt – alles gleich fragwürdig. Harald: „ich will nichts fordern. mit jeder forderung nehme ich mir selbst etwas. alles muss von allein passieren.“ Die Protagonisten fassen die Liebe als eine Art Naturgeschehen auf, ohne zu merken, dass sie sich damit zu Opfern machen. Tina macht sich die Sentenz ihres Vaters zu eigen, dass alles sein Gegenteil brauche, um wahr zu sein. Wenn man das in Gedanken weiterspinnt, braucht das Große das Kleine, das Gute das Schlechte, das Wahre das Unwahre, Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden. Und Tina spitzt das noch zu: „ alles, was machbar ist“, sagt sie, „ist auch zerstörbar.“ Da verschlägt es ihrem Freund die Rede. Was soll das heißen? Jedenfalls ist klar, dass jede Beziehung dann auch ihr Ende in sich trägt. Und so „natürlich“, wenn auch abrupt, endet dieser Roman, der uns mit Verhältnissen vertraut macht, in denen eigentlich nichts egal ist, denn es geht darum, etwas vom Leben zu haben. Posthistoire! Das Ende der Lebensentwürfe! Gibt es Gründe, die Liebe zu hegen, zu pflegen, weiterzuentwickeln? Oder sollen wir uns an etwas halten, das man eher als heidnisch bezeichnen könnte? Dann heißt die Wahrheit Aufbauen und Zerstören, Werden und Vergehen, dann ist entweder alles gleichgültig, oder – ist dann alles gleich gültig? Der Roman, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, vereinigt den Blick auf die Realität aber gerade in diesem Punkt des Zweifels. So manche Lebensäußerung wirkt gespielt, der Autor zeigt anschaulich, dass ein Als-ob herrscht. Auffallend jedenfalls, dass der Blick auf die anderen so zweifelnd ist: Meinen sie es ernst mit dem, was sie zeigen und sagen, oder ist es Theater? Und vieles scheint mehrdeutig zu sein. Es ist das Verdienst des Autors, dass er im Alltäglichen die richtigen Bilder für Ambivalenz findet. Tina sitzt am Frühstückstisch und hält „ihren vornüber gebeugten kopf an ihrem eigenen schopf hoch“. (Sie wartet auf ein Gummiringerl, um ihr Haar binden zu können.) Das kann man positiv sehen und lesen: Sie ist dabei, sich an ihrem eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Man kann es aber auch als Selbstköpfung auffassen. Oder sie erklärt Harald, was der Ausdruck „o.k.“ bedeutet. Ihrer Meinung nach kommt es von „oh, killed“, im Sinne von „es ist ausgestanden“. Auch das ist zweideutig, wenn man als Leser weiß, dass Tina verurteilt wurde, weil sie ihr neugeborenes Kind getötet hat, was übrigens zwischen den beiden nie zur Sprache kommt. Das Buch ist spannend geschrieben und durch Verknappung und Prägnanz gekennzeichnet. Und das Schöne daran: Es kommt leichfüßig daher, aber die Dinge werden intensiv befragt.

Reviewed by Gerwalt Brandl, 14 February 2008


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