Jürgen Marschal

gangway #30/31

Dorfdetektiv Bordo Stokkkholm

© 2004 by Jürgen Marschal

 

Die Sommersonne schrie laut vom Himmel auf die schwitzenden Dächer des Bergdorfes hernieder. Alles roch nach normaler Normalität und nichts war wie es noch nie war, denn alles war wie immer. Bis gleich jedenfalls.

Eigentlich gab es ja auch gar keinen mächtigen Berg, welcher die Straßen und Grundstücke im Ort über sich aufwölben hätte können, um jedoch das eher häufige Geficke innerhalb der Familien zu rechtfertigen, ob der zivilisatorischen Aussätzigkeit und der dorfeigenen Trunksucht, wurde die kleine Siedlung eben einfach Bergdorf genannt.
Doch jäh wurde die Inzestidylle beschnitten: Der 27-jährige Sohn der lokalen Fußballplatzhure war verschwunden. Spurlos noch dazu.

Tränen streichelten schmerzhaft die Eiterkrusten ihres geschlechtsbekrankten Körpers, und ihre kebabförmigen Oberschenkel versuchten verzweifelt aber chancenlos aus der engen Hose zu fliehen, als sie im Takt mit ihrem Pulsschlag den Verlust des Sohnes beschluchzte. Sie war traurig, halbalt und nun auch noch ohne Sohn. Vor allem aber war sie die Nachbarin von Dorfdetektiv Bordo Stokkkholm. Und der war sogleich zur Stelle...

„Das ist ein äußerst offensichtlicher Moment“, murmelte der junge Bordo in seinen Mehrtagesbart und sein investigatives Herz blühte vor Freude über seinen ersten Fall ever auf.
„Schnell zum Fleischer! Der hat die meisten Messer. Und sein Beruf sei der Mord, sagt man.“ Stokkkholm glasierte seinen Leib in einen Second-Hand Detektiv-Anzug und hievte seinen großen schwarzen Zylinder auf sein Haupt. Seine einzige Waffe war sein Verstand, aber die war ständig geladen.

„Ich bekomme einmal 2 Semmeln mit ohne dieser Wurst hier und dann noch 2 Kilo nicht diesen Schinken da. Bin nämlich Vegetarier. Kann Tiere nicht ausstehen.“ – Der alte Fleischer packte das Gewünschte ein. „Sonst noch was?“ – „Ja. Haben sie den jungen Hurensohn ermordet, respektive entführt?“, Bordo Stokkkholms Unterkiefer trat vor das obere und er bließ sich seine fettigen Haare vom und dem kopfschüttelnden Fleischer seine Alkoholfahne ins Gesicht. – „Nein“ – „Gut. Das war’s auch schon wieder.“ Der Fall schien schwieriger zu sein als angenommen. Die Nacht fraß bereits den Tag auf, und Bordo beschloss, dass er für heute genug detektivte und widmete sich der Schnapsflasche in seinem Lederrucksack.

Am nächsten Morgen zierte ein tadelloser roter Ausschlag den dürren Anti-Adoniskörper des restalkoholisierten Detektivs. Seine Neoleichenallergie – ein wahrhaftiger Segen für jemanden in seiner teilmorbiden Branche – machte wieder einmal auf sich aufmerksam.
„Irgendwo in diesem Dorf reiht sich gerade ein erst vor kurzem abgelebter Körper vorbildlich in die faire Nahrungskette ein.“, und also funktionalisierte Stokkkholm seinen Körper in eine Art auf Leichnam geeichten Geigerzähler um, und streifte langsam durch die engen Gassen des Dorfes. Er starrte auf die Veränderungen seiner Haut und kam je nach Allergieintensität dem Wohnort der Leiche näher und näher.

„Sie verbergen tote Menschen. Meine Haut sagt’s mir.“ – Bordo Stokkkholm schob den zwischen dem Türstock stehenden Beschuldigten zur Seite, und drang in dessen Wohnung ein, während Bordos Ausschlag rhythmisch pulsierte und seine Haut glühte.

„Wer ist da, Poldi? Wer ist das?“, krächzte es aus einem Rollstuhl in der Zimmerecke. Dorfdetektiv Stokkkholm schritt – Eleganz vortäuschend – mit höflich gekrümmter Wirbelsäule zwecks Begrüßungsformalitäten gentlemännisch zur Großmutter des vermeintlichen Leichenversteckers.
„Tag! Für jemanden, der bereits in der Zielgerade seines Lebens ist, sehen sie ja eh noch ganz – “ plötzlich unterbrachen ärger arge Schmerzen seinen Redefluss, denn Bordos Haut schälte sich bereits fleißig von einem seiner Arme ab, die er der Alten zum Gruße entgegenstreckte.
„Aufklärung! Aufklärung! Ich verlange extremste Aufklärung!“, brüllte Stokkkholm, während er vom Rollstuhl einige Meter weit weg hechtete. „Sie! Sohnsohn dieser ihrer Oma hier! Was geht da vor?“ – Der Verdächtige zog der rollstuhligen Frau die Decke von ihrem Körper, und plötzlich wurde auch dem Dorfdetektiv so einiges klar.

Seine Allergie wies ihm nicht den Weg zum toten Vermissten, sondern zur alten Frau im Rollstuhl, welche bereits halbtot war. Aus ihren Waden krochen herrliche Würmer und bis zur Hüfte aufwärts war sie bereits sehr gut abgestorben. Diesen Zustand so ausharren zu lassen, wäre natürlich fahrlässig gewesen. „Bis diese Frau eine vollständige Leiche ist, kann es noch Monate dauern. Ich hingegen reagiere allergisch auf frischen Leichnam, habe nur gering Zeit und darf nicht von Halbleichen irritiert werden.“ – „Wollt grad sagen.“, pflichtete der junge Mann dem Detektiv bei, da hatte Stokkkholm auch schon aus sicherer Entfernung die alte Frau erschlagen.
Schon in wenigen Tagen, wenn die Leiche das Anfangsstadium der Verwesung hinter sich gelassen hat, würde sein Ausschlag nachlassen und er wird die Suche nach dem Verschwundenen Sohn fortsetzen können. Der Enkel, der nicht ganz unfroh über die Tat war, meinte, dass es so ohnehin besser für Oma sei und bedankte sich anständig.
Auf dem Weg nach Hause stellte Bordo fest, dass er bereits seit 4 Stunden nüchtern war. Aber er wusste von Anfang an, dass dieser Fall ihm einiges abverlangen würde.

Bordo kam schließlich die auch nicht gerade schlechte Idee, dass er vielleicht doch einmal die Wohn- und Arbeitsräume der Fußballplatzhure nach Hinweisen absuchen könnte. Gesagt, getan:
„Los, lesen Sie mal vor“ – Stokkkholm hielt der Sohnsuchenden ein von ihr selbst beschriebenes Briefpapier hin. „Ach, sie wissen doch, ich kann ja nicht lesen, bloß schreiben.“ – Der Detektiv seufzte, quälte sich schließlich jedoch selbst durch die schmierigen Zeilen und begann zu lachen.
„Aber das ist ja ein Abschiedsbrief, den Sie selbst ihrem Sohn geschrieben haben.“, erzählte er der Hure, deren Gesicht vor Freude plötzlicht leuchtete: „Ach ja. Der ist ja zur Armee gegangen. Ich hatte glatt vergessen, dass wir gerade im Krieg sind. Na, bei den vielen Kriegen heutzutage kann man das schon mal vergessen“. – „Meine Red’. Wir machen uns hier Sorgen, dass Ihrem Sohn was zugestoßen ist, während er sich einstweilen im Krieg amüsiert und seinen Spaß hat“ – Bordo Stokkkholm verabschiedete sich, schnappte sich als Lohn für seine Arbeit ein paar Flaschen aus der Bar, und beschloss, zu Hause zu warten, bis endlich einmal ordentliche Kriminalität im Dorf einzieht und er richtige Arbeit bekommt.

 

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