Autoren-Archiv: Amélie Nothomb

Amélie Nothomb: Im Namen des Lexikons

30. Dezember 2012
Wer sein Kind Tanguy oder Joëlle nennen will, schickt es in eine Welt des Mittelmaßes hinein, versperrt ihm von vornherein den Horizont.

Nothomb_LexikonDiese Erzählung Amélie Nothombs zeigt wieder einmal, dass ihre direkt aus der eigenen Biographie gespeisten Texte (»Liebessabotage« oder »Biographie des Hungers«) deutlich stärker sind als ihre eher fiktionalen. Hier wie dort bleibt sie allerdings ihrem Interesse für bestimmte Motive – Gewalt, gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper, Bulimie – treu.

»Im Namen des Lexikons« (im Original »Robert de noms propre«) erzählt die Geschichte der jungen Plectrude, die bereits vor ihrer Geburt zur Halbwaisen wird, als ihre Mutter den Kindsvater erschießt, da sie glaubt, das Kind vor dessen banaler Namenswahl beschützen zu müssen. Nachdem die Mutter dann dafür gesorgt hat, dass Plectrude auf ihren raren Namen getauft wird, erhängt sie sich in ihrer Zelle.

Nach diesem etwas merkwürdig aus Camus’ »Der Fremde« und Jonny Cashs »A Boy named Sue« zusammengestrickten Auftakt wächst Plectrude im Haushalt ihrer Tante zu einem gänzlich außergewöhnlichen Mädchen heran: Hoch intelligent – wenn man dem mit traumwandlerischer Unbewusstheit bestandenen Test glauben darf –, aber an allem außer dem Tanz desinteressiert, verlässt sie die Schule mit mit knapp dreizehn Jahren und tritt ins Internat der Ballettschule der Pariser Oper ein. Hier ruiniert sie sich durch eine konsequente Fehlernährung ihren Knochenbau und muss, zur maßlosen Enttäuschung ihrer Tante, den Traum aufgeben, Tänzerin zu werden. Als sie schließlich die wahre Geschichte ihrer Herkunft erfährt, identifiziert sie sich mit dem Schicksal ihrer Mutter, lässt sich schwängern, gebiert den Knaben Robert und macht sich auf den Weg, Selbstmord zu verüben. Vom Ende soll nur soviel verraten werden, dass Nothomb versucht, den Text dadurch zu retten, dass sie sich von ihrer eigenen Figur ermorden lässt, um sie dann ratlos vor ihrer Leiche zurückzulassen.

Das Buch ist ganz nett, mehr aber auch nicht. Insbesondere die Passagen der Kritik an der Institution der Ballettschule und des Zerwürfnisses zwischen Plectrude und ihrer Ziehmutter überzeugen nicht – zu viel für eine so kurze Erzählung, der auch durch den abschließenden Schwenk ins Absurde nicht aufgeholfen wird.

Amélie Nothomb: Im Namen des Lexikons. Aus dem Französischen von Wolfgang Krege. detebe 23455. Zürich: Diogenes, 2004. Broschur, 148 Seiten. 7,90 €. (Derzeit anscheinend nicht lieferbar.)

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Amélie Nothomb: Biographie des Hungers

12. Oktober 2012
Wirklich, die Welt war ziemlich komisch. Und es gab Sprachen ohne Ende. Es würde nicht einfach sein, sich auf diesem Planeten zurechtzufinden.

Amélie Nothomb schreibt ganz wundervolle, autobiographisch unterfütterte Erzählungen. Ich habe sie vor vielen Jahren mit »Liebessabotage« entdeckt, das sich inhaltlich zu »Biographie des Hungers« wie ein kleiner, nicht konzentrischer Inkreis verhält. »Biographie des Hungers« erzählt etwa fünfzehn Jahre aus dem Leben der Tochter eines belgischen Diplomaten, die es aufgrund der regelmäßig alle drei Jahre erfolgenden väterlichen Versetzungen von Japan über China, den USA und Bangladesch nach Burma und schließlich Laos verschlägt; »Liebessabotage« war die Geschichte der ersten Liebe des jungen Mädchens im Pekinger Diplomatenviertel. Auch Nothombs Bücher »Mit Staunen und Zittern« und »Der japanische Verlobte« (von dem ich das allerdings nur vermute, da ich es bislang nicht gelesen habe) gehören zu diesen autobiographischen Zirkel. Ansonsten schreibt Nothomb auch noch Krimis, von denen zumindest einer ein ziemlich grobes Plagiat eines Hörspiels von Friedrich Dürrenmatt (lustigerweise im selben Verlag!) darstellt. Belesen ist die junge Frau also auch noch!

Wie der Titel schon besagt, fokussiert Nothomb diese Erzählung auf das Phänomen des Hungers, das sich zuerst als Gier des kleinen Mädchens nach Süßigkeiten und – man staunt – Wasser darstellt, sich dann in Bangladesch ganz in den unerträglichen Hunger der einheimischen Bevölkerung veräußerlicht, um sich schließlich als Anorexie der Ich-Erzählerin zu manifestieren, die sie fast zu Tode bringt. Alles rundet sich mit einer Rückkehr der 21-Jähringen an den Ort ihrer kindlichen Selbstvergottung in Japan und der Begegnung mit ihrem ersten Kindermädchen.

Nothombs Erzählen zeichnet sich in der Hauptsache durch drei Eigenschaften aus: Einen knappen, lakonischen Stil, präzise, von allem Überflüssigen befreite Beobachtungen und einen distanzierten, oft ironischen Humor. Man darf wahrscheinlich nicht zuviel auf einmal von ihr lesen, aber wenn man von Zeit zu Zeit bei ihr vorbeischaut, ist sie immer wieder ein Genuss.

Amélie Nothomb: Biographie des Hungers. detebe 24042. Zürich: Diogenes, 2010. Broschur, 207 Seiten. 9,90 €.

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