Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich – Kjersti A. Skomsvold

9783832162047.jpg.17592Kjersti Annesdatter Skomsvold wurde 1979 in Oslo geboren, dort lebt sie auch heutzutage. “Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich” ist ihr Romandebüt und wurde nicht nur mit dem Tarjei-Vesaas-Debütpreis ausgezeichnet, sondern auch für den norwegischen Buchhändlerpreis nominiert.

“Wie traurig für die Welt, dass ihr die heitere Mathea entgangen ist. Aber eigentlich ist es wohl für mich selbst am traurigsten.”

Mathea Martinsen ist fast 100 Jahre alt und lebt in einem Randbezirk in Oslo. Matheas Mann Niels, genannt Epsilon, ist gestorben und sie muss nun lernen, alleine zurecht zu kommen. Dies gelingt ihr mehr schlecht als recht, denn für wen soll sie leben, wenn nicht für ihren Mann? Mathea hat keine Hobbies, keine Beschäftigung, keine Freunde und keine Familie. Epsilon war ihr Leben, ihr Leben war Epsilon.

“Leben. Den Tag nutzen. Ich stehe im Schlafzimmer vor dem Bett und weiß nicht, wie man den Tag nutzt.”

Ihre verbleibende Lebenszeit möchte Mathea noch einmal gut ausnutzen, aber es fällt ihr schwer, sich zu öffnen und Kontakt zu anderen Menschen zu knüpfen. Mathea ist einsam, unendlich einsam, und doch hat man als Leser den Eindruck, als würde sie unter dieser Einsamkeit kaum leiden. Mathea, die beinahe 100 Jahre alt ist, versucht auf eine unheimlich naive und anrührende Art und Weise mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen: in dem Supermarkt, in dem sie tagtäglich einkauft, bei der Nachbarschaftsinitiative oder auch im Seniorenzentrum. All ihre Versuche sind unheimlich unbeholfen und gerade deshalb auch so herzzerreißend.

“Jetzt liege ich hier im Bett, bin das Gegenteil von ungeduldig und wünschte, ich könnte den kleinen Rest, der mir noch vom Leben bleibt, aussparen, bis ich weiß, was ich damit anfangen soll. Aber das geht nicht, dafür müsste ich mich schon einfrieren, und wir haben nur eines dieser kleinen Gefrierfächer über dem Kühlschrank.”

“Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich” ist stellenweise unfassbar amüsant und gleichzeitig herzzerreißend traurig. Mathea ist allein, so alleine, dass niemand sie vermissen würde, wenn sie in ihrer Wohnung sterben würde. So alleine, dass sie kommunikationstechnisch völlig eingerostet und unbeholfen ist. Mathea hat Angst davor zu sprechen, ihre Stimme einzusetzen, in Kontakt mit anderen Menschen zu treten und gleichzeitig hat sie Angst davor zu sterben, nicht mehr da zu sein. Doch wie soll man leben, wenn man Angst vorm Leben hat, doch gleichzeitig auch nicht sterben möchte?  Mathea möchte sich nach Epsilons Tod dem Leben annähern, um “am Ende […] damit leben zu können, sterben zu müssen”.

Matheas Schüchternheit hat beinahe schon tragische Züge: am liebsten geht sie in einen Supermarkt hinein, wenn dort auch andere Kunden einkaufen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Obwohl sie die Marmeladengläser selbst nicht öffnen kann, findet sie keine Worte, um den freundlichen Kassierer darum zu bitten. Selbst ihr Zusammenleben mit Epsilon war von Scham und Schüchternheit geprägt, statt von ihrer Periode zu sprechen, sagte Mathea immer, dass sie Besuch von “Tante Rot” bekäme.

“Denn auch wenn ich das Leben vielleicht nicht schön gemeistert habe, so habe ich es immerhin mit Schwierigkeiten gemeistert. Und vielleicht genügt es, es so gut zu machen, wie ich konnte.”

Knappe 140 Seiten schmal ist “Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich”, ein Roman, der innerhalb kürzester Zeit gelesen werden kann, doch dafür um so länger nachwirkt. Kjersti A. Skomsvold ist ein feinsinniger, zarter Roman gelungen, der eine traurig schöne Geschichte erzählt. 140 Seiten lang habe ich Mathea begleitet, doch ich trage sie und ihre Geschichte immer noch im Herzen. Ihre Einsamkeit hat mir das Herz gebrochen, aber ihre Kraft, dem Leben zu begegnen, hat es wieder neu zusammensetzen können.

19 Comments

  • Reply
    Dina
    April 6, 2013 at 3:12 pm

    Liebe Mara,
    herzlichen Dank für diesen Tipp!! Super! 🙂
    In ein paar Wochen bin in Norwegen, ich werde mir das Buch dort kaufen. Muss unbedingt meine Muttersprache pflegen. 🙂
    Ich hoffe, dein lieben Vierbeiner wird richtig toll verwöhnt und genießt die Genesung.
    Liebe Grüße zum Wochenende
    Hanne

  • Reply
    Eva Jancak
    April 6, 2013 at 4:26 pm

    Interessant was es alles für Bücher gibt, von denen ich noch nie etwas gehört und keine Ahnung habe. Wo bekommt man diese Anregungen alle her? Da habe ich doch sehr intensiv vier Tage Leipzig gesurft und offenbar nichts mitbekommen!

    • Reply
      B.ee
      April 6, 2013 at 8:42 pm

      Weißt Du Eva, genau das wollte ich Mara auch schon fragen! *lach*

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 8, 2013 at 2:43 pm

      Liebe Eva, liebe Bee:

      dieses Buch war ein reiner Zufallsfund. Ich verbringe viel Zeit im Buchladen. Dort sah ich das Buch ausliegen und habe mich in das Cover und den Klappentext verliebt, es gekauft und sofort gelesen. So begeistert war ich! Das Hardcover, mit einem wesentlich unspektakulären Cover ist dagegen an mir vorbeigegangen. Ansonsten hole ich mir meine Inspiration dadurch, dass ich mich durch Vorschauen blättere und durch Amazon klicke. Ich mache also wahrscheinlich nicht viel anderes, als ihr auch – vielleicht habe ich einfach ein glückliches Händchen! 🙂

  • Reply
    literaturen
    April 6, 2013 at 5:29 pm

    Das Buch habe ich auch noch im Regal, allerdings in gebundener Form und mit einem völlig anderen Cover! Danke, dass du mich wieder daran erinnert hast. Eine Buchhändlerkollegin hatte davon schon sehr begeistert erzählt.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 8, 2013 at 2:45 pm

      Das Cover der gebundenen Ausgabe spricht mich irgendwie gar nicht an, auch wenn es thematisch natürlich ganz passend ist (Wollknäuel). Ich hätte mir das Buch aber wohl eher nicht gekauft, da es mir gar nicht ins Auge gesprungen wäre. Interessant, was für eine Wirkung also auch Cover haben können. Bei der Lektüre wünsche ich dir ganz viel Spaß, liebe Sophie. 🙂

  • Reply
    dasgrauesofa
    April 7, 2013 at 9:44 am

    Liebe Mara,
    vielen Dank für Deine schöne Besprechung. Ich habe es noch nicht einmal geschafft, mir Lucette ter Borg zu besorgen (sie war gestern in meinem Lieblingsbuchladen überhaupt nicht aufzutreiben), da hast Du schon das nächste Buch gelesen und beschrieben. (Hat Dein Tag mehr Stunden als meiner :-)?) Und es ist wieder eine interessante Autorin, die, obwohl selbst noch recht jung, sich doch wohl offensichtlich gut in die fast 100-jährige Mathea einfühlen kann. Das erinnert mich an Anna Weidenholzer, die das ja auch prima umgesetzt hat.
    Viele Grüße, Claudia
    PS: Mit Besorgnis lese ich jetzt schon zum zweiten Mal, dass Bandit “gepflegt” werden muss um “zu genesen”. Da wünschen wir drei ihm alle auch ganz schnell ganz viel gute Besserung!!!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 8, 2013 at 2:41 pm

      Liebe Claudia,
      mein Tag hat leider auch nur 24 Stunden und so viel wie ich gerne würde, kann ich leider auch nicht lesen. 😉 Ich habe aber zum Glück ein ganz gut bestücktes Archiv, aus dem ich schöpfen kann – die Lektüre dieses Buches liegt beispielsweise schon ein paar Wochen zurück. Ja, es ist wirklich erstaunlich, wie gut die Autorin sich in Mathea und ihre Gedankenwelt hineinversetzen kann. Genauso erstaunt hat mich, dass mich diese alte Dame und ihr Leben so sehr angesprochen haben. Von der Schrulligkeit erinnert das Buch in der Tat ein Stück weit an das Buch von Anna Weidenholzer, das ist eine gute Assoziation.
      Ich wünsche dir noch viel Erfolg dabei, “Fallkraut” zu erwerben! 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

      P.S.: Danke für die guten Besserungswünsche! 🙂 Bandit hat eine Schnittwunde unter dem Fuß, möglicherweise ist in der Wunde auch noch etwas drin. Wir pflegen ihn aber gut und von der Tierärztin hat er einen ganz schicken Verband bekommen.

  • Reply
    caterina
    April 7, 2013 at 11:51 am

    Oje, ich finde ja schon deine Rezension und die Zitate, die du ausgewählt hast, herzzerreißend. Einsame, schrullige Leutchen als Romanfiguren mag ich – erst recht, wenn das mit einer so schönen Sprache und so herrlichen Beobachtungen und Gedanken verbunden ist.
    Meine Kollegin war damals nicht so begeistert von dem Buch und hat es – glaube ich – abgebrochen, aber du hast mich überzeugt, dass es auf jeden Fall ein lohnende Lektüre wäre. Merci!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 8, 2013 at 2:36 pm

      Liebe Caterina,
      deine Leidenschaft für einsame und schrullige Leute teile ich, besonders ausgeprägt ist diese Leidenschaft bei mir bei älteren Menschen. 😉 Mathea ist eine so herzzerreißend liebe und naive Figur, dass ich sie unheimlich ins Herz geschlossen habe bei der Lektüre.
      Schade, dass deine Kollegin das Buch nicht überzeugen konnte, bei dem Preis für das Taschenbuch, kann ich dir die Lektüre aber nur ans Herz legen – das Buch lässt sich mit seinen 140 Seiten auch ganz gut zwischendurch lesen, auch wenn der Inhalt noch länger nachwirkt.
      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Für reife Leser | Literaturgefluester
    April 7, 2013 at 10:10 pm

    […] Bücherlisten der anderen Bücherblogger schaue, erlebe ich da auch oft Überraschungen, von mir völlig unbekannten Büchern, obwohl ich ja glaube mich in Sachen Buch ganz gut auszukennen und ein weiteres Werk eines […]

  • Reply
    buechermaniac
    April 8, 2013 at 6:08 am

    Ein bisschen erinnert mich deine Rezension auch an “Emily, allein”, auch wenn die beiden Damen grundverschieden sind.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 8, 2013 at 2:33 pm

      Das stimmt, Mathea und Emily haben nicht viel gemeinsam und doch ähneln sich die beiden Bücher auf gewisse Weise. Beide habe ich sehr gerne gelesen, auch wenn ich selbst noch nicht in dem Alter der beiden Frauen bin und mir über mein Weiterleben Gedanken machen müsste … dennoch haben beide Bücher mich sehr berührt.

  • Reply
    Mariki
    April 9, 2013 at 12:49 pm

    Ich hab’s auch grad gelesen und werde es bald rezensieren! Ganz so begeistert wie du war ich allerdings nicht – ich fand es schön und nett, aber nicht mehr.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 10, 2013 at 11:43 am

      Oh, echt? 😀 Irgendwie finde ich es sowieso interessant, dass du auf deinem Blog viele Bücher in den “Mittelstand” einsortierst. Manchmal denke ich schon, dass mein Anspruch entweder sehr viel geringer sein muss oder ich einfach nicht so kritisch lese wie du. 😉

      • Reply
        Mariki
        April 11, 2013 at 8:15 am

        Mich wundert das auch … ich halte mich für übersättigt, aber das müsstest du ja eigentlich auch sein 🙂

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          April 11, 2013 at 1:37 pm

          Das stimmt eigentlich! 🙂 Aber irgendwie gibt es dann doch immer wieder tolle Bücher, die mich begeistern können!

  • Reply
    lesenslust
    April 13, 2013 at 6:47 pm

    Obwohl das Buch stellenweise wirklich deprimierend war, konnte es mich sehr oft zu lauten Lachausbrüchen bringen. Es ist erstaunlich, wie authentisch der jungen Autorin die Darstellung der Geschichte im Blickwinkel einer alten Frau gelungen ist. Ich fand das buch wirklich bemerkenswert. =)

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 15, 2013 at 10:53 am

      Das Buch ist in der Tat bemerkenswert und ich freue mich, dass es dir ähnlich gut gefallen hat! Trotz der Tragik liegt auch einfach so viel rührende Komik in der Geschichte von Mathea, so dass es mir mit den Lachausbrüchen manchmal ähnlich erging. 🙂

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